Manche Biografie liest sich wie ein Märchen und manche wie ein Horrorfilm. Wie das mit meiner war, konnte ich nicht so recht sagen.
Nervös trat ich auf der Stelle hin und her, kaute nervös auf einem Kaugummi und schaute immer wieder zu der dicken Holztür, hinter der ich dunkles Murmeln hörte.
Heute würde sich einiges ändern. Mein Magen krampfte sich zusammen. Dazu kam noch dieses trockene Gefühl im Hals, die Tatsache, dass meine fast schwarzen Haare nicht sitzen wollten und mein rotes Lieblingskleid einfach nicht sitzen wollte.
Wieso ausgerechnet heute?
Meine klammen Finger öffneten und schlossen sich immer wieder, um Blut hinein zu pumpen. Auch dann noch, als die elegant gekleidete Dame in dem marineblauen Kostüm die schwere Holztür öffnete und mich in einen Saal mit mindestens zwei Dutzend Menschen führte.
Plötzlich war es mucksmäuschenstill geworden. ´
Alle beäugten mich einen Moment und ich ließ schüchtern den Blick schweifen. Da waren alle Altersgruppen, von Kindern, die noch zu jung waren, um in die Schule zu gehen, über mein eigenes Alter, bis hin zu gestandenen Erwachsenen und einigen Senioren.
"Das hier ist Elisa. Ich hoffe, ihr könnt sie alle herzlich willkommen heißen. Wie ich euch schon erklärt habe, ist sie Samuels leibliche Tochter."
Enge machte sich in meinem Brustraum breit. Ganz als würde mein Kopf in einem Fass mit Wasser untergetaucht werden und alle Luft aus meinen Lungen drängen, da ich drohte zu ertrinken.
Vielleicht war das hier keine gute Idee gewesen.
Bisher sah mein Leben so anders aus. Ich kam zu einer Familie, die mich nicht mehr wollte, als sie eigene Kinder bekam. Ich war mit etwa 10 Jahren dann auch zu alt für eine neue Familie. Mit 14 haute ich, nachdem mich einige Mädchen drangsalierten, aus dem Waisenhaus ab. Es war dort kein Platz für mich.
Von da an lebte ich auf der Straße, oder wenn ich mich für älter ausgeben konnte, auch in winzigen Zimmern zur Untermiete. Das Geld zu beschaffen war nie einfach. Aber es klappte schon irgendwie.
Mit 16 griff man mich, nachdem ich halb verhungert beim Ladendiebstahl erwischt wurde, auf. Man brachte mich in eine Resozialisierungsmaßnahme, die schlimmer als der Knast war. Ich holte die Schule nach und sobald ich 18 wurde, versuchte ich herauszufinden, wer meine Eltern waren. Die Mutter war, nach damaligem Recht, als unmündig erklärt worden. Zwangsadoption nennt man das heute. Dann kam die Wende, als ich erst einige Tage alt war.
Unterlagen verschwanden oder wurden absichtlich beseitigt. Die Welt veränderte sich von heute auf morgen.
Und nun stehe ich hier. Ich bin 30 Jahre alt und habe zumindest die Familie meines Vaters finden können. Langsam begreife ich, weshalb unter den Tisch gekehrt wurde, dass ich existiere. Sie waren damals schon wohlhabend und prominent. Meine Mutter ein armes Mädchen ohne Familie, deren Interessen in dem Staat namens DDR niemanden interessierte.
Genauso wie meine. Ich war eine Ware, die vom System in den letzten Atemzügen verkauft wurde. Zumindest lässt viel darauf schließen.
Noch immer zitterte ich, als ich in die Gesichter dieser fremden Menschen sah.
Hatte ich die gleichen Augen, wie der ältere Mann dort? Ähnelte meine Nase der Frau, die mich scheu ansah. Aber meine Haare sahen genauso schwarz aus, wie die des Mädchens dort drüben.
Plötzlich stand eine ältere Frau vor mir und berührte ungefragt mein Gesicht. "Sie sieht genauso aus wie meine Schwester an Tag, als sie geheiratet hat."
Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, als kurz darauf immer mehr Menschen auf mich zu kamen, mir die Hand gaben oder mich umarmten.
Tränen liefen mir die Wangen herab.
Vielleicht muss das Leben manchmal wie ein Horrorfilm sein, wenn das Märchenende eintreten soll.