Du bist Aji.
Ohne groß nachzudenken, springst du auf und läufst zum Eingang des Thronsaals, wo der Kampf am heftigsten tobt. Du hörst das Klirren von Stahl auf Stahl, das panische Wiehern von Pferden, Todesschreie. Über den Köpfen der Dunkelelfen zucken goldene Blitze und erhellen flackernd deinen Weg auf den Streifen Tageslicht zu, der von draußen herein fällt.
Ein Elf bemerkt dich und greift nach dir, du tauchst unter seinem Arm hinweg. Mehrere Elfen hämmern eiligst Holzbretter in den Eingang, aber du kannst durch eine Lücke schlüpfen und taumelst ins Freie.
Um dich herum herrscht Chaos. Die Dunkelelfen sind vom Angriff überrascht und mehrere in Panik geraten. Überall laufen Krieger mit gezogenen Waffen durcheinander. Sie sind offenbar keine Angriffe gewohnt, denn sie benehmen sich wie ein Haufen Hühner in Gegenwart des Fuchses. Nur ein Elf hat mehrere Andere um sich geschart und Ordnung in die Reihen gebracht. Dort gehen die Dunkelelfen organisiert und diszipliniert vorwärts und schützen sich gegenseitig mit ihren Schilden vor Allysters Blitze.
Du siehst auch Brenna, die auf ihrem Pferd sitzt und die Säbel tanzen lässt. Um sie herum sprühen Fontänen aus Blut in den Himmel, unzählige Elfen liegen bereits gefällt unter den Hufen ihres braunen Tinkers.
Du willst zu ihr rennen, als plötzlich eine Hand deinen Arm packt. Du wendest dich um und starrst in die weit aufgerissenen Augen eines Dunkelelfen, der in seiner eigenen Sprache wie von Sinnen schreit. Du willst dich losreißen, doch der Elf ist viel zu kräftig. Verzweifelt trittst du ihm vor das Schienbein, dann zielst du etwas höher. Nichts davon zeigt Wirkung. Der Elf zerrt dich zurück zum Thronsaal und tastet dabei nach einem Messer. Dabei wendet er für einen kurzen Moment den Kopf und du erstarrst.
Der Hinterkopf des Dunkelelfen ist mit Blut verklebt, eine helle Masse hat seinen Rücken bekleckert, die Schädeldecke ist gesplittert. Der Elf dreht dir wieder das Gesicht zu, doch sein Blick gleitet über dich hinweg – er sieht dich überhaupt nicht. Doch jetzt hat er sein Messer gegriffen und hebt es über seinen Kopf, die Klinge ragt unten aus der zitternden Faust. Du musst kein Dunkelelbisch sprechen, um zu wissen, was er plant. Da du dich nicht losreißen kannst, tust du das einzige, was dir bleibt: Du wirfst dich nach vorne und schlägst dabei die Zähne in den Hals des Elfen. Der schreit auf, sein Messer trifft nur die Luft. Der Griff der Hand um deinen Oberarm lockert sich. Du stößt den Elfen von dir, so fest du nur kannst, dann drehst du dich um und rennst los, ohne dich noch einmal umzusehen.
Du prallst zurück, als sich plötzlich ein Pferd vor dir befindet. Dein Erlebnis hat dich so entsetzt, dass du kaum auf deine Umgebung geachtet hast. Ehe du zurückweichen kannst, greift eine Hand deinen Nacken und hebt dich auf den Sattel.
Du schreist – dann erkennst du Brenna, die mit grimmigem Gesichtsausdruck ihren Tinker wendet.
„Allyster!“, schreit sie laut. „Ich habe ihn!“
Der Magier taucht aus dem Getümmel auf. Sein Schimmel Melréd ist mit roten Spritzern gesprenkelt. Seite an Seite galoppieren die Pferde aus dem Burghof heraus, gerade noch rechtzeitig, bevor die Dunkelelfen ihren Ring um euch schließen können.
Ihr seid mitten in der Stadt, als dich plötzlich eine Welle von Übelkeit überkommt. Du rollst dich im Sattel zusammen und wärst um ein Haar gefallen.
„Scheiße! Was ist das?“, stöhnt Brenna.
Die Pferde halten an und wiehern nervös. Allyster wirft euch einen wilden Blick zu: „Die Macht eines Schöpfersteins! Das ist Magie! Reite, Brenna!“
Mit einem Schrei treibt Brenna die Tinkerstute an. Du kannst dich nur an den Sattelknauf klammern. Die Pferde galoppieren die steilen Straßen herunter, hinter euch heulen und kreischen die Dunkelelfen.
Du bemerkst Bewegung in der verlassenen Stadt. Du wendest den Blick und siehst schwankende Gestalten, die in den Straßen erschienen sind. Sie scheinen Dunkelelfen zu sein, bleich und rothaarig, doch etwas stimmt nicht.
Dir wird übel, als du es erkennst: Die Elfen besitzen keine Augen mehr, an ihre Stelle sind zwei violett leuchtende Punkte getreten.
„Schneller!“, schreit Brenna panisch. „Schneller!“
„Das sind die Toten!“, ruft Allyster. Die Stimme des Zauberers ist dunkel vor Furcht.
Du klammerst dich an die Mähne von Brennas Tinker, während die Pferde über die Straßen aus versteinertem Holz galoppieren. Eure Panik hat sich auf die Tiere übertragen, vielleicht ist es auch der Geruch nach Tod, der jetzt in der Luft hängt wie Rauch.
Endlich tauchen die Wurzeln vor euch auf und die Pferde sprengen in den Schutz des Waldes. Ein Blick zurück zeigt dir, wie die toten Dunkelelfen eine dicht gedrängte Masse in der Stadt im Baumstumpf bilden. Es ist ein Meer blasser, toter Gesichter mit den seltsamen, leuchtenden Augen.
Doch sie folgen euch nicht. Schon verdeckt das Unterholz den grausigen Anblick vor euren Augen, der Baumstumpf bleibt hinter euch zurück und mit ihm das Reich der Dunkelelfen.
°°°
Ihr sammelt das Maultier und einige Vorräte dort ein, wo ihr zuvor Rast gemacht habt. Brenna und Allyster sind dir gefolgt, ohne etwas mitzunehmen.
Obwohl die Pferde nass geschwitzt sind, macht ihr keine Pause, sondern reitet direkt weiter, im Schritt und, wenn es geht, im Trab.
„Verdammte Scheiße!“, sagt Brenna irgendwann.
„Das kannst du ausnahmsweise laut sagen“, brummt Allyster in deinem Rücken – du sitzt wieder vor dem Zauberer auf dem Pferdehals.
„Das war ein Schöpferstein?“, fragt Brenna.
Allyster nickt. Du siehst die Bewegung nicht, spürst sie aber daran, wie sein dünner Bart deine Kopfhaut kitzelt. „Das war der Ametrin, der Stein der Toten.“
„Lass mich raten – er lässt die Toten auferstehen?“
„Es ist schon etwas komplizierter“, meint Allyster missbilligend. „Man muss die Toten zuvor mit dem Stein verbinden. Sie müssen ihn im Augenblick ihres Todes sehen oder berühren.“
„Das heißt …“ Brenna wird still und Allyster nickt erneut.
Eines der Pferde schnaubt.
„In der Stadt ist kein Durchkommen mehr“, bricht Allyster schließlich das Schweigen. „Der König hat sich gut vorbereitet, würde ich sagen.“
„Das ist grausam. Die anderen Elfen haben ihn einfach gewähren lassen?“, fragt Brenna. „Er muss das halbe Volk abgeschlachtet haben, wenn nicht sogar mehr.“
„Mehr“, bestätigt Allyster. „Aber er ist nun einmal ein König. Wir haben Glück, dass wir entkommen konnten. Einige Minuten später …“
Du spielst mit dem Sattelknauf. „Aber wir müssen zurück! Wir müssen den Stein holen!“
Allyster seufzt. „Das geht nicht, Aji. Sich erneut in die Stadt zu begeben, wäre ein Selbstmord!“
„Aber …“, widersprichst du, doch Brenna unterbricht dich: „Du hast ihn gehört, Aji. Der Steine ist außerhalb unserer Reichweite. Weit außerhalb unserer Reichweite.“
Schweigen senkt sich über eure Gruppe. Ihr habt eine traurige Bilanz vorzuweisen: Keinen Schöpferstein, keine Informationen, dafür die Demütigung, zweimal gefangen worden zu sein und dabei einen Großteil eurer Vorräte verloren zu haben. Noch dazu kennt ihr nun die Macht eines einzigen Schöpfersteins. Und ihr wisst von mindestens drei, die sich im Besitz der Jenseitsvölker befinden. Das ist eine Macht, der Kalynor niemals gewachsen ist.
„Tja. Schöne Scheiße“, sagt Brenna und ihr reitet weiter, dem Waldrand entgegen. „Verlassen wir endlich diesen verfluchten Wald!“
Dies ist kein Canon-Ende, deshalb gibt es hier keine Fortsetzung.
Für das Canon-Ende musst du dem Schöpferstein folgen.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!