Mit der Tasche über dem Arm betrat Derek das kleine Stadttheater über die Seitentür und begrüßte die Kollegen, die schon mit den Vorbereitungen für die heutige Abendvorstellung beschäftigt waren.
»Oh gut, dass du jetzt schon da bist. Fleur hat heute einen schlechten Tag und möchte unbedingt einige Szenen nochmals durchgehen, bevor es nachher auf die Bühne geht«, rief ihm der Intendant über den Gang zu, bevor er seine kleine Garderobe betrat.
Brummend warf er die Sporttasche in die Ecke und fiel in den Stuhl.
Diese egozentrische Diva brachte sie alle zur Weißglut.
Er zog sich schnell um und machte sich nervlich darauf gefasst, diese Zicke zu ertragen.
»Komm schon, Derek. Du schaffst das. Immerhin bist du Profi. Dieses Monster von Weib bekommt dich nicht klein«, murmelte er seinem Spiegelbild zu und straffte die Schultern.
Er verließ den kleinen Raum und betrat die Bühne, vorbei an den Statisten, die ihre Kostüme gerichtet bekamen und an den Requisiteuren, die noch immer Gegenstände hin und her trugen und für Ordnung sorgten.
»O es würd auch Sseit, dass du endlisch mal aufdauchst, Derek. Isch dachte sschon, isch müsste noch länger warten...«, fauchte die hübsche blonde Französin und blickte ihn arrogant an.
»Es ist auch schön, dich zu sehen, Fleur«, brummte er und stellte sich auf Position, um die leidigen Szenen wieder und wieder zu proben, bis das Fräulein Mäkelig zufrieden war.
»Ok, macht noch eine Pause. In einer Stunde geht es los und ich möchte, dass ihr dann fit seid.« Der Regisseur des Stückes scheuchte Derek und Fleur in ihre Garderoben und der junge Mann fummelte auf dem Weg dorthin eine Zigarette aus seiner Tasche.
Er steckte sie an und sah sich in dem kleinen Theater um.
Als er vor 7 Jahren nach London kam, den Kopf voll von närrischen Träumen, einst einmal ein großer und berühmter Schauspieler zu sein und nur noch in den besten Stücken Londons oder gar am Broadway zu spielen, damals hätte er nicht geglaubt, dass er einmal an einem kleinen Theater hängen würde, sich mit Möchtegern-Diven herumschlagen müsste und von seinen Gagen gerade so ein kleines Loft bezahlen konnte.
Dass er auf einer miefigen kleinen Bühne zweitklassige Stücke spielen würde, fern von seinen Hoffnungen, Shakespeare zu geben.
Er hasste es.
Und doch war dies alles, was er stets wollte. Er hatte dafür die Sicherheit seiner ländlichen Heimat Kent verlassen, hatte mit seinem Vater gebrochen und die Aussicht auf einen sicheren und gut bezahlten Job aufgegeben.
Und er hatte Clark verlassen, den einzigen Menschen, der immer an ihn glaubte, der ihn bestärkte in seinem Wunsch, Schauspieler zu werden, der sich immer als Publikum angeboten hatte, damit er möglichst viel üben konnte.
Er hatte Clark geliebt. Doch dies war ihm erst bewusst geworden, als er bereits in London lebte und versuchte, sich mit winzigen Rollen und Jobben über Wasser zu halten.
Und als er, zwei Jahre nach seiner Ankunft, begann, als Eskort für wohlhabende Damen und Herren zu arbeiten, hatte er einfach nicht mehr den Mut gehabt, sich bei ihm zu melden.
Er, Derek, schämte sich, dass er sich für sexuelle Gefälligkeiten hatte bezahlen lassen. Er machte diesen Job nicht lange, aber im Bezug auf Clark konnte er einfach nicht aufhören, daran zu denken.
Und so konzentrierte er sich in den vergangenen 5 Jahren ganz auf sein Schauspiel, wurde mit jeder Rolle besser und besser und bekam eine Anstellung in dem kleinen Stadttheater, in dem er nun stand und seine einsame Zigarette rauchte.
Es war nicht perfekt, doch so hatte er es gewollt. Er war 27 Jahre alt. Seine Chancen, jemals an den Broadway oder die großen Theater Londons zu kommen, waren längst im Sande verlaufen.
Doch irgendwie machte es ihm nichts mehr aus. Er war zufrieden mit seinem Leben, auch wenn er Fleur am liebsten in den Bühnenschacht werfen und vergammeln lassen würde.
Und er würde nachher, wie jeden Abend, auf der Bühne stehen, seinen Part spielen, Fleur küssen, weil es die Rolle verlangte und sein Bestes geben, um den Leuten, die das Theater besuchten, einen tollen Abend zu bereiten.
Denn das war schließlich seine Aufgabe. Und der Applaus war sein liebster Lohn.
»Kommst du, Derek? Du brauchst noch dein Makeup.« Lindsay, die kleine Visagistin, grinste ihn an, zog ihn in die Garderobe und begann, schnell und fachmännisch sein Gesicht zu bearbeiten.
»Danke, Liebes.«
»Viel Glück gleich da draußen.«
Derek linste durch den Vorhang und schmunzelte.
Das Theater war nur klein, aber es war immer gut besucht. Offizielle meinten, dies läge an der schönen Fleur, doch alle im Theater (außer Fleur) waren der Meinung, es läge an der hübschen männlichen Hauptrolle, Derek.
»Seid ihr bereit?« Der Intendant versammelte seine Schauspieler und alle hielten sich an den Händen, während das Licht im Zuschauerraum dunkel wurde.
Die Musik setzte ein, Derek stellte sich für die erste Szene in Position und schloss einen Moment die Augen.
Es war jeden Abend das Gleiche. Der Vorhang würde aufgehen und das Licht läge auf ihm. Der Saal war leise und nur seine Stimme würde zu hören sein.
Manche mochten sagen, dass dieser Ablauf nach einiger Zeit langweilig werden würde, doch wie hieß es so schön?
The show must go on!
Jemand musste dieses Stück am Leben halten und er würde es tun, solange man ihn sehen wollte.
Der Vorhang hob sich und der erste Applaus brandete auf. Ein Moment, der Derek die Gelegenheit gab, ins Publikum zu schauen, bevor das eigentliche Stück begann.
Und von den vielen Gesichtern, die zu ihm hochblickten, gab es nur eines, das er wiedererkannte und welches sein Herz rasen ließ.
Clark!
Nach 7 Jahren, die er ihn nicht gesehen hatte, hatte dieser ihn nun gefunden und lächelte zu ihm hoch, wie früher, als Derek seinen Text noch ausschließlich für ihn sprach.