Ich steckte meine Fäuste tief in die Taschen und zog den Kopf ein. Von der Wärme des Krankenhauses, in dem ich - eingemummelt in die Decke - zufrieden hätte sterben können, musste ich wieder hinaus in diese bizarre Winterlandschaft.
Die beiden Sanis trugen rote Rucksäcke mit Rettungsausrüstung, deren Leuchtstreifen bei jeder Laterne, die wir passierten, blendend aufleuchteten. Einer von ihnen hatte ein Smartphone gezückt und navigierte unsere Gruppe.
"Ihr konntet das Opfer so genau orten?", fragte ich. Ich war neugierig, aber vielleicht wollte ich mich auch nur von der Gefahr ablenken, die hier draußen drohte. Schläger, entlaufene Hunde und natürlich Eiszombies. Ja, ja.
"In der Stadt ist das eigentlich kein Problem", erklärte der ohne Smartphone. "Zumindest, wenn man Straßen und Hausnummern erkennen kann. Das hier ist so, als müssten wir jemanden retten, der in der Wildnis verunglückt ist. Er musste uns seine GPS-Position durchgeben."
Ich nickte und ließ meinen Blick über die schwach beleuchtete Schneefläche gleiten. Der Schnee klebte teilweise an den Hauswänden und selbst ohne ihn hätte ich bei dem Licht Probleme gehabt, zu erklären, wo ich war. Klar eine Handvoll Straßennamen kannte ich, aber mit denen war es wie mit Telefonnummern. Warum merken, wenn man ein Smartphone hatte?
Irgendwo heulte es und mir lief ein Schauer den Rücken hinab.
"Hunde aus dem Tierheim, sag ich doch." Dimitri hielt seine Waffe fest umklammert und seine Hände hatten einen bläulichen Farbton angenommen. Ja, die Unfallstelle war nicht weit entfernt, verdammt kalt war es aber trotzdem.
"Da vorne muss es sein", erklärte der Sani mit dem Smartphone. "Lasst uns einfach unseren Job machen und dann zurück ins Krankenhaus."
"Hallo? Hier ist der Rettungsdienst!" Der andere Sanitäter hatte eine Taschenlampe gezückt und leuchtete den Boden vor uns ab. Der Lichtstrahl wanderte über weißen Schnee, rote Flecken, dann wieder weißen Schnee. Er fixierte die Flecken und folgte einer Spur, die von hier aus weiter in die Dunkelheit führte. Es kam keine Antwort.
"Irgendwie muss er es ja bis in Sicherheit geschafft haben", murmelte ich und betrachtet die Spur und den zerwühlten Schnee.
"Sonst hätte er kaum die Zeit gefunden, seine Posi…", begann die Ärztin in besserwisserischem Tonfall, als ein Knurren aus der Dunkelheit erklang.
Der Sani schwenkte seine Taschenlampe in die Richtung und ein weißer Schemen sprang ihm entgegen.
. * .
Meine Lungen brannten, die Seiten stachen und der Puls hämmerte wild in meinen Ohren. Aber ich durfte nicht stehenbleiben.
Panik trieb mich an und das Adrenalin hielt meinen Körper am Laufen. Ich wagte einen Blick zurück. Ein kurzes Stück hinter mir waren Sergej und die Ärztin. Den zweiten Sanitäter und Dimitri hatte ich aus den Augen verloren. Der erste Sanitäter war nicht mehr in der Lage, zu laufen. Dafür hätte er beide Beine gebraucht.
"Verdammt!", fluchte ich. Ich war wieder in einen der großen Schneehaufen gelaufen und watete mühsam hindurch. Nicht überall hatte der Wind Wege freigelegt und der Untergrund war in der dämmrigen Beleuchtung der Laternen trügerisch.
Mit einem Knurren landete ein riesiges Ungetüm zwischen uns. Sein weißes, eisverkrustetes Fell streifte meinen Arm und ich spürte einen Hauch seines heißen Atems, als es keuchend an mir vorbei schlitterte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ein Hund war das auf alle Fälle nicht. Auch keine Raubkatze.
"Scheiße! Da rauf!" Sergej hatte die Richtung gewechselt und zeigte auf eine Leiter an einer Hauswand.
Die Leiter lag nicht auf meinem Weg. Ich versuchte, die Richtung zu wechseln, und kam selbst ins Schlittern.
Die anderen beiden waren bereits an der Leiter. Sergej ließ der Ärztin den Vortritt und sicherte mit dem Rücken zu ihr und zum Kampf ausgestreckter Stange ihren Aufstieg. Für mich würde die Zeit nicht mehr ausreichen, um die Leiter auch noch hinaufzusteigen.
Panisch sah ich mich nach einem anderen Fluchtweg um. Ein Stück weiter gab es einen überdachten Warenanlieferungsbereich. Den steuerte ich jetzt an.
Fehlanzeige, hier gab es keinen Ausweg. Ein Stück weiter vorne aber eine Gasse zwischen diesem und dem Nachbargebäude. Vielleicht konnte ich dort entkommen.
Hinter mir hörte ich wieder das Knurren. Es war mir gefolgt. Ein schwacher Trost, dass ich als Köder die beiden anderen retten würde, so wie die anderen der Gruppe wahrscheinlich uns die Flucht ermöglicht hatten.
Ich lief an einer Mülltonne vorbei, erwischte sie am Griff und warf sie dabei um, direkt in den Weg des Monsters. Krachend prallte es mit der Tonne zusammen, als ich in die Gasse bog.
Der Tod saß mir im Nacken. Dennoch gab es keinen Film für mich, der vor dem Ende ablief, so wie man es kurz vor dem eigenen Tode erwarten sollte. Stattdessen zeigte sich mir eine Metalltreppe, die am Ende der Gasse begann und um die nächste Ecke des Gebäudes herumführte. Keine Zeit, viel darüber nachzudenken. Das musste der erhoffte Ausweg sein.
Schnaubend bog die Bestie hinter mir in die Gasse und stieß einen missbilligenden Knurrlaut aus. Der Raum zwischen den Gebäuden war eng. So eng, dass sie sich durchzwängen musste. Es würde sie aber nicht aufhalten.
Ich erreichte die Treppe und nahm mehrere Stufen gleichzeitig und stürzte dabei fast. Dann um die Ecke herum. Dort endete sie. Von der Treppe führte eine Plattform bis zum Rand des Gebäudes. Links war eine Tür, an der ich rüttelte. Natürlich verschlossen! Jetzt wäre echt ein guter Zeitpunkt für die Kavallerie gewesen, um mich zu retten.
Es kam nur keine.
Ich ließ meine Augen noch einmal über die Umgebung huschen. Das Pochen in meinen Ohren hatte sich in ein gleichmäßiges lautes Rauschen gesteigert. Nun würde ich das Monster wenigstens nicht mehr hören, wenn es über mich herfiel.
Doch vielleicht würde ich noch nicht sofort als Monsterimbiss enden. Ein Hoffnungsschimmer blitzte auf. Am Gebäude nebenan, zwei Meter höher, befand sich ein Balkon mit Metallgeländer. Ich nahm auf der Plattform Anlauf, setzte auf dem Geländer auf und sprang.
Im Weitsprung war ich leider nie besonders gut gewesen. Im Hochsprung auch nicht. Meine rutschigen Schuhsohlen gaben zudem ihr Bestes, um meinen Fluchtversuch zu sabotieren. Auf dem Geländer der Plattform rutschte ich ab und statt zu springen, stürzte ich dem Balkon entgegen.
Mein Schwung reichte aus, dass ich mich gerade noch an die unterste Stange des Balkongeländers klammern konnte, und meine Unterarme krachten gegen die Seite des Balkonbodens. "Fu...arh!" Ich stöhnte auf. Es tat verdammt weh, aber da musste ich durch. Lieber blaue Flecken als die Alternative.
Ich schwang mich weiter, zur Ecke des Balkons und drehte meinen Kopf nach hinten. Hätte ich mal besser gelassen.
Das Vieh kletterte auf Treppe, Plattform und Geländer entlang, weitaus besser als es mir jemals gelungen wäre, direkt auf mich zu. Dann riss es das Maul weit auf und stieß sich vom Geländer ab.
Die eisfreien Stellen seines Fells wehten majestätisch im Flugwind, Schnee und Eis glitzerten im Licht der Laternen. Der Sprung, der nur Sekunden dauerte, zog sich cineastisch quälend in die Länge. Die wilden Augen starrten mich an und ich konnte fast die Vorfreude über die bevorstehende leckere Mahlzeit darin leuchten sehen.
Ich ließ den Balkon mit der linken Hand los, griff um die Ecke und schaffte es, ein Stück weiter zu hangeln. Einen Bruchteil, bevor sich das Maul der Bestie in die Metallstange grub, die ich eben noch festgehalten hatte. Widerstandslos biss sie ein ganzes Stück heraus.
Ich schluckte.
Die Vorderpfoten, die sich in meinen Rücken hätten schlagen sollen, schlugen ins Leere. Ein zweiter Biss verfehlte mich knapp und sie stürzte ab.
Leider nicht weit. Uns trennten nur zwei oder drei Meter vom Boden. Ich zog zitternd meine Beine ein, um gerade so außer Reichweite des springenden und schnappenden Ungetüms zu bleiben. Ich hatte es fast geschafft. Jetzt würde ich nicht aufgeben. Mit einem letzten Kraftakt klemmte ich die Füße unter die unterste Stange und zog mich Stück für Stück an den anderen nach oben. Auf der sicheren Seite fiel ich wie ein Sack Kartoffeln zu Boden.
Das Monster rannte ein paar Mal hin und her und suchte nach einem Weg, um mich doch noch zu erreichen, gab irgendwann aber mit enttäuschtem Jaulen auf. Es rannte zurück, hinaus aus der Gasse, wahrscheinlich in der Hoffnung, dort noch Beute zu finden.
Ich atmete durch und blickte an der Seite des Balkons nach oben. Es gab eine Feuerleiter. Ich pries den Herrn für die Erfindung der Feuerleitern. Über die kam ich bis auf das Dach.
Wenn man nach einem Ausweg suchte, waren Dächer nicht immer die beste Wahl. Ein Glück, dass das heute nicht galt.
Vom Flachdach des Nachbargebäudes rief mir Sergej zu. Er und die Ärztin hatten es geschafft.
Und der Rest?
Keuchend trat ich zum Rand des Daches. In die Richtung, aus der wir gekommen waren, und blickte hinab.
Das Rudel hatte sich an drei Stellen um ihre erlegte Beute gesammelt.