Er saß wie angegossen. Genau auf meine Größe angepasst, wie mir die künstliche Intelligenz des Schiffes im Tank verraten hatte.
Ich studierte den Handschuh, den ich übergestülpt hatte. Auf der Rückseite bestand er aus harten Kunststoffschalen in Grün und Weiß. Die beweglichen Elemente waren aus winzigen silbrigen Metallmaschen gefertigt. An den Fingerspitzen und der Handinnenseite waren Metallplättchen angebracht, deren weiße Oberfläche im Schein der Innenbeleuchtung grünlich glänzte. Auf dem Handrücken befanden sich kleine Schlitze und Anschlüsse.
Ich legte den Handschuh auf ein Panel der Wandverkleidung, auf dem die Lichtströme hin und her flitzten. Sofort spürte ich ein leichtes Kribbeln in meinen Fingerspitzen. Dasselbe Kribbeln, wenn man mit der Zungenspitze eine Batterie berührte. Erschrocken zog ich meine Hand zurück. Die Benutzung sollte ungefährlich sein, hatte mir die KI versichert. Ich zögerte kurz und senkte meine linke Hand ein zweites Mal.
Ich hielt dem Kribbeln stand, das erst die Hand und dann den Arm hinauf bis zu meiner Schulter wanderte. Von da sprang es über den Nacken in den Kopf. Mein Gesicht fühlte sich an, als tanzte eine ganze Ameisenarmee darauf. Aber ich lebte noch. Kein Stromschlag, der mich Funken sprühend durch den Raum schleuderte oder mich wild zuckend an der Wand festhielt. Ich schloss meine Augen.
Bilder und Informationstafeln hoben sich vom Schwarz meiner Augenlider ab. Ich war nicht sicher, ob das optisch überhaupt möglich war. Wurden die Informationen direkt an den Sehnerv gesendet?
Hüllensegmente leuchteten in verschiedenen Farben auf, dann ein Querschnitt des gesamten Schiffes, gespickt mit Informationen über Beschaffenheit und eingesetzte Technologien. Ich hatte den Handschuh bekommen, weil ich das angeblich alles verstehen sollte. Nun, ich hielt das nicht für vollkommen unmöglich, aber es würde seine Zeit dauern. Wenigstens fühlte ich mich im Moment so, als ob es kein Geheimnis gäbe, das ich nicht hätte entschlüsseln können.
Das Kribbeln ebbte ab, aber es war wie ein leichtes Summen immer noch zu spüren. Ob mein Kopf es irgendwann komplett ausblendete, so wie das etwa mit einem Tinnitus passieren konnte?
Ich konzentrierte mich auf diesen Raum und konnte mit den Bewegungen meiner Finger von der groben Übersicht hinein in einen dreidimensionalen Raumplan wechseln. Alle Dinge waren mit fremdartigen Schriftzeichen versehen. Ich konzentrierte mich auf die Tanks und die fremdartige Beschriftung änderte sich in das Wort Tank. Als studierte die KI meinen Wortschatz, um meine Sprache zu lernen und mir die unbekannten Informationen zugänglich zu machen. Die Datenbanken des Schiffes mussten riesig sein und der Handschuh war meine Schnittstelle, um darauf zuzugreifen, es zu verstehen und irgendwann auch zu steuern.
Ich erkannte mehr und mehr der Namen und arbeite ich mich durch die einzelnen Decks des Raumschiffes. Begutachtete den Schaden, der von Dunkelrot für fatale bis hin zu einem sanften Grünton für unversehrte Bereiche reichte. Außerdem machte ich eine Bestandsaufnahme der Tiere. Die KI hatte mich um Hilfe gebeten, den erlittenen Schaden zu reparieren und die Tiere wieder einzufangen. Denn die Hülle des Schiffes war eine Grenze, die sie nicht selbst überschreiten konnte. Ich sollte ihr Avatar in der Außenwelt sein, mit dem Handschuh als Werkzeug und Insignie der Macht. Auch die Anderen spielten alle eine Rolle dabei, jeder mit seinen ureigenen Fähigkeiten, wie sie auch immer aussehen mochten.
Wir waren alle in den Tanks gelandet. Hatte diese weiße Gestalt uns dorthin gebracht, die ich gesehen hatte, bevor ich ohnmächtig wurde? Ich fragte mich, wer sie war, und stellte diese Frage dem Schiff, doch es blieb stumm. Wusste es die Antwort nicht, oder sollte ich sie einfach nicht erfahren?
Stattdessen wurde ich mit immer mehr Daten über Schiff und Tiere geflutet. Das Aufnehmen all der Informationen war wie ein Rausch. Ein Unwohlsein machte sich in meiner Magengegend bemerkbar. Ich musste mich stoppen, bevor ich mich in all den Informationen verlor oder an Reizüberflutung starb. Ich riss meine Hand von dem Panel und öffnete die Augen.
Die Informationen, die ich zuletzt angesehen hatten, flackerten noch invertiert als schwarze Flecken in meinem Sichtfeld, und es dauerte eine Weile, bis ich den Raum wieder klar erkennen konnte.
Moritz starrte mich von der Seite her ausdruckslos an. Vielleicht sah er auch durch mich hindurch. Das konnte ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Wir hatten ihn in einem der Tanks gefunden und befreit.
"Kannst du dich inzwischen an deine Eltern erinnern?", fragte ich ihn. "Deinen Bruder? Wie du hierher gekommen bist?"
Keine Reaktion. Vorhin hatte er wenigstens noch geantwortet. Aber er wusste von nichts. Nicht einmal vom Schnee. Ob das eine Nebenwirkung seines Aufenthalts im Tank war? Bei all der fremdartigen Technologie, die uns umgab, nicht unmöglich. Ob sie überhaupt für Menschen geeignet war, oder genauso giftig wie die Atmosphäre hier drinnen? Vielleicht war sie sogar so tödlich wie die Tiere dort draußen. Ein Kratzer hatte gereicht und Sergej verlor seinen Arm. Hier hatte er einen Neuen bekommen. All das wirkte so magisch und verlockend, doch wir mussten vorsichtig sein.
Das Gebiet um das Schiff herum war ohne Rücksicht auf die Bewohner in eine Eiswüste verwandelt worden. Wir waren jetzt zwar die Auserwählten, die das Schiff und seine Passagiere retten sollten, aber was geschah danach mit uns?
Ich streifte den Handschuh ab und hängte ihn an den Gürtel, der mit zur Ausstattung gehörte.
"Nun, wie es aussieht, haben wir da ein ganzes Stück Arbeit vor uns", richtete ich meine Worte an die anderen. "Bei manchen Punkten bin ich nicht mal sicher, wie wir es anstellen sollen."
"Wir haben hier Betäubungsgewehre." Dr. Pfaff zeigte auf einen Tisch hinter sich. "Mit der richtigen Planung schaffen wir es, die Tiere ohne große Verluste einzufangen."
Ja, wir hatten uns in der Gruppe inzwischen untereinander bekannt gemacht und ich schaffte es sogar, mir ihren Namen zu merken. Ihrer Ansicht nach würde unsere Zusammenarbeit aber nicht lange dauern. Am besten so kurz wie möglich. Sie wirkte so kühl und ich fragte mich, ob diese Verluste ihrer Meinung nach in unseren Reihen oder der Bevölkerung zu suchen waren.
"Das ist nicht das einzige Problem, dem wir uns stellen müssen", fuhr ich fort. "Die Beschaffenheit der beschädigten Ebenen und ihre Größe. Wie wir die Tiere sicher dorthin bekommen. Wir können schließlich nicht alle Tiere gleichzeitig betäuben. Wir wurden nicht nur von den Wölfen angegriffen, sondern auch von einem Riesenmaulwurf. Wir müssen unbedingt zuerst die gefährlichen Tiere finden, bevor wir uns um den Rest kümmern können. Die Kleinen können wir mit Schlitten transportieren, für andere bräuchten wir eher einen Schwerlasttransport."
Dr. Pfaff rieb sich nachdenklich über die Lippen. "Das Klima dort draußen wird doch vom Schiff erzeugt, um die Tiere am Leben zu erhalten, oder?"
Ich nickte.
"Können wir das nicht einfach schrittweise den Radius verringern und sie dazu zwingen, zum Schiff zurückzukommen?"
Ich nickte. "Hört sich nach einer guten Idee an. In der Theorie. Dazu müsste ich aber Zugriff auf die Funktionen haben, die das steuern. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt kann oder darf. Im Moment kann ich nur Informationen über das Schiff abfragen, mehr aber auch nicht. Die KI ist, seitdem ich aus dem Tank raus bin, stumm."
"Dann steig doch einfach wieder rein." Dr. Pfaff machte eine einladende Geste zu den Tanks hinüber.
Ich verzog das Gesicht. "Einmal ertrinken reicht mir heute."
"Dann solltest du dich beeilen und einen anderen Weg finden." Sie zog die Augenbrauen zusammen. "Die Außenwelt wird sicher nicht ewig tatenlos zusehen. Es herrscht Notstand und die ersten Soldaten sind bereits gefallen."
Sie war offensichtlich nicht erbaut, dass es nicht absolut reibungslos ablaufen würde. Aber was verstand sie schon von Hard- und Software, die nicht organischer Natur war?
Ich blickte hilfesuchend zu Sergej, der mich mit verschränkten Armen finster anblickte. Von ihm war keine Unterstützung zu erwarten. Klara sah sich ungeduldig im Raum um. Klar, so eine Planung hätte mich in dem Alter auch gelangweilt.
Ich seufzte.
"Ich bin kein Zauberer. Ich brauche meine Zeit, um mich hier zurechtzufinden. Und dem Schiff wird es übrigens egal sein, wie viele Doktorgrade Sie haben. Ohne das richtige Vorgehen erreichen wir hier nichts."
Gerade sie als Ärztin musste doch verstehen, wie wichtig es war, seine Arbeit gut und gewissenhaft durchzuführen. Stattdessen sah ich nur Trotz in ihrem Blick.
"Wir sollten einfach mit den Kreaturen anfangen, die wir jetzt schon einfangen können, ohne viel Zeit zu verlieren. Schapp dir ein Betäubungsgewehr und komm mit. Du auch, Sergej."
Sergej gehorchte, wie ein artiger Soldat und ging auf den Tisch zu, auf dem Dr. Pfaff einige Apparaturen ausgebreitet hatte. Wie ungewohnt von ihm.
"Das ist doch Wahnsinn!", protestierte ich. "Wenn ich eine Lösung für das Problem mit dem Eis finden soll, muss ich hier drin bleiben und danach suchen. Das Einzige, was ich da draußen erreichen kann, ist mich zerfleischen zu lassen."
Außerdem hatte ich keine Lust auf Eis und mich von einer Möchtegern-Göttin in Weiß herumkommandieren zu lassen.
"Na schön." Sie sah sich in der Runde um, als ob sie abwägte, ob sie eines der Kinder mit auf die Jagd nehmen sollte. Sie richtete ihr Analysegerät wieder auf Klara und dann auf Moritz. Dann schwenkte sie es zu einem leeren Platz zwischen ihnen und Sergej, als ob dort eine weitere Person stehen sollte. Verwirrt zog sie ihre Stirn in Falten. Wen hatte sie dort erwartet?
Ich hätte ihr auch ohne Analyse sagen können, dass Klara mit ihren kleinen Händen keines der Gewehre halten konnte. Das hätte ich auch niemals zugelassen. Moritz starrte weiterhin abwesend in den Raum. Er war zwar älter, aber in diesem Zustand kaum eine Hilfe.
"Na schön", wiederholte sie sich und griff sich selbst eins der Gewehre. "Dann bleibt das vorerst wohl an uns zwei hängen. Aber du beeilst dich besser."
Ich nickte und ersparte ihr und mir eine Antwort. Ich war erleichtert, als ich wieder allein im Raum war. Nun, nicht ganz allein, aber Moritz störte nicht wirklich.
Von den Tanks waren zwölf im Raum verteilt, angeordnet in einem Halbkreis, gegenüber der Tür. Vor jedem Tank befand sich ein durchsichtiges Bedienteil, wie aus Plexiglas, über das Lichtströme zuckten, genau wie über die Wände des Schiffes.
Die Tanks waren so groß, dass ein ausgewachsener Mensch hineinpasste, vorausgesetzt der war nicht größer als 2,5 Meter. Sie erinnerten mich entfernt an Stasiskammern aus einem Science-Fiction-Film. Die hätten da drinnen besser mal Personal mitgeschickt, dann müssten wir jetzt nicht das Schiff retten.
"So viel Arbeit", murmelte ich vor mich hin. Ich dachte an die Schäden an der Hülle und der Technik, welche die Kreaturen gefangen hielt.
Jede Ebene war ein eigenes Biotop, angepasst an eine oder mehrere Spezies, die einen Nahrungskreislauf bildeten. Oft interagierten sogar mehrere Ebenen miteinander. Allerdings war ich kein Biologe und konnte die Kreisläufe nicht mehr als ansatzweise nachvollziehen. Über Kraftfelder und bewegliche Wandelemente konnten die Arten getrennt werden.
Der erste Schritt war also, nach einer Lösung für die Kraftfelder zu suchen, die ausgefallen waren. Nachdem die Ärztin so übereilt aufgebrochen war, ohne mich zu Ende erklären zu lassen, hatte das sogar noch mehr Priorität als das Problem mit dem Eis. Wer wusste schon, wann sie mit den ersten Tieren zurückkehren würde?
Ich wandte mich wieder dem Panel an der Wand zu und hielt auf halben Weg inne. Ein Videobild war darauf erschienen und zeigte einen Außenbereich des Schiffes.
Scheinbar hatten wir die erste Kreatur bereits gefangen.