Motorengeräusche rissen mich aus meinem unfreiwilligen Schlummer. Ich schlug die Augen auf und fand mich auf einer olivgrünen Trage festgeschnallt, hinten in einem Fahrzeug wieder. Mein Handschuh lag auf meiner Brust und hüpfte bei jedem Schlagloch auf und ab. Ich hob den Kopf und stechende Schmerzen zuckten bis zur Hälfte meines Rückens hinab.
"Du hattest echt Glück. Ein Meter weiter links und du wärst von den Stangen eines Baugerüsts aufgespießt worden", ertönte die Stimme von Professor Kudyan, die immer wieder von den Rucklern des Fahrzeugs unterbrochen wurde.
Er saß rechts von mir auf einer Sitzbank, die an der Außenwand angebracht war, und hielt sich an einer Schlaufe fest, die von der Decke hing. Klara hockte zwischen seinen Beinen am Boden und Fipsi saß auf ihrem Schoß, wo es mit vollem Einsatz eine Tüte Studentenfutter durchwühlte.
"Du musst besser auf dich aufpassen", ermahnte sie mich. "Das sah echt so aus, als ob es wehgetan hätte."
"Das sah nicht nur so aus, glaub mir. Hatte mein Opfer wenigstens einen Sinn?"
"Du hast ein ganzes Haus auf dem Typen abgeladen. Selbst wenn er wirklich unsterblich ist, braucht er jetzt eine Weile, bis er sich befreit hat." Das war Sergejs Stimme, der auch irgendwo im Fahrzeug war.
"Wohin fahren wir?" Ich lockerte meine Gurte und stützte mich auf die Ellenbogen. Ich presste mich nach oben, aber Bauchmuskeln und Beine versagten ihren Dienst. Ich stöhnte und gab frustriert wieder auf. Ich schloss die Augen.
"Wir fahren zum Raumschiff", antwortete Professor Kudyan. "Mit allen Überlebenden des Angriffs. Viele sind es nicht. Frau Dr. Pfaff war der Meinung, dass wir nur vom Schiff aus etwas unternehmen können. Ausrüstung und Waffen sollten wir im Camp zurücklassen, die seien sowieso nutzlos. Hat aber keinen überzeugt, sich von seinen Waffen zu trennen."
Am Ende hatte sie doch ihren Willen bekommen. Wir flüchteten zum Schiff und aus irgendeinem Grund hörten die verbliebenen Soldaten auf sie? Ich war wohl selbst schuld, nachdem ich unsere Wichtigkeit betont hatte.
"Viel Überzeugungsarbeit hat sie aber nicht gebraucht." Ich erkannte die Stimme des Offiziers, der uns begleitet hatte. "Ein Mann, der Schüsse ohne einen Kratzer überlebt und unsere Soldaten mit bloßen Händen umbringt? Da waren keine weiteren Argumente nötig."
"Gleich sind wir da", rief der Fahrer zu uns nach hinten.
Ich erschrak. "Wir sind schon da? Die Verteidigungssysteme …"
"… scheinen nicht aktiv zu sein", erklärte der Offizier. "Wir sind bereits mit dem letzten Aufklärungstrupp näher an das Objekt gekommen, als unsere Helikopter geschafft hatten. Wir vermuten, dass sich die Verteidigung nur gegen Flugobjekte richtet."
Das war mit Sicherheit Unsinn. Wahrscheinlich hatte ich beim Rumspielen mit der Energieversorgung irgendetwas kaputtgemacht. Deswegen hatte vorher auch der Laser nicht funktioniert. Aber ich schwieg. Hatte das Gefühl, dass ich manche Informationen für mich behalten musste.
Wir stoppten und die Heckklappe wurde von außen geöffnet. Zwei Soldaten schleppten mich auf der Trage ins Freie. Ich öffnete meine Augen, sah Soldaten umhereilen und hörte die Ärztin, die ihnen Kommandos zurief. Sie verfrachteten die betäubten Wölfe in das Schiff. All die Bewegungen und der Lärm waren zu viel für meinen Kopf, vereinten sich zu einem hämmernden Schmerz und ich schloss die Augen wieder.
Ich war total im Eimer. Der Kampf hätte auch besser laufen können. Mein Kopf platzte gleich und ich spürte meine Beine nicht mehr. Ich schickte ein Stoßgebet zu Gott und allen Außerirdischen, dass das nur ein vorübergehender Effekt war. In einem der Tanks konnte ich mich sicher untersuchen und reparieren lassen, aber wenn das Militär Wind von meiner wunderbaren Genesung bekam, würde ich am Ende in einem Labor landen. Darauf konnte ich nun wirklich verzichten.
Meine Trage wurde abgestellt und ich blinzelte. Wo war ich? Ich erkannte die Umrisse der Tanks und neben mir das Panel, an dem ich heute schon gearbeitet hatte. Sie hatten die Trage so gedreht, dass ich die Wand berühren konnte. Auf einen Befehl hin oder war das nur ein glücklicher Zufall? Ich schlüpfte in den Handschuh und tippte die Wand an. Diesmal war es anders. Die lärmende Welt um mich herum verstummte und die Kopfschmerzen ebbten ab. Das Meer an Daten fühlte sich vertraut an und versprach eine Geborgenheit, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte.
Das Einzige, das diese Geborgenheit störte, war das Gefühl, nicht zu wissen, was im Schiff vor sich ging. Ich suchte nach Kameras im Innenbereich und eine blaue Welle schwappte über das dreidimensionale Modell des Schiffs hinweg und ließ eine Unzahl kleiner blauer Augen zurück.
Probeweise sah ich mir die Bilder der Kameras an, aber das Ergebnis war enttäuschend. Das Licht im Schiff war momentan in den meisten Bereichen gedimmt oder ganz abgestellt. Der Eisring fraß bestimmt das meiste der verfügbaren Energie. Vom Rest floss jetzt zu viel in die Aufrechterhaltung der Energiefelder der Habitate.
Ich wechselte zur Kamera des Eingangsbereichs und Symbole wurden in der rechten oberen Ecke des Bildes angezeigt. Ich konzentrierte mich auf eines der Symbole und das Bild verschwand. Stattdessen wandelte es sich in blaue und rote Farbflecken in verschiedenen Abstufungen. Ich erkannte die warmen roten Körper der Soldaten und Wölfe, die aus dem kühlen Blau der Schiffswände hervorstachen. Die Kameras verfügten also über unterschiedliche Anzeigearten.
Ich folgte zwei Soldaten, wie sie mühsam einen der Wölfe durch die Gänge trugen, bis hin zu einer runden Plattform in der Mitte der Etage. 'Lastenaufzug' erklärte mir eine schwebende Schrift, die das Schiffsystem für mich in das Kamerabild eingefügt hatte.
Es gab keine Möglichkeit für die Soldaten, den Aufzug manuell zu bedienen, die eigentliche Besatzung hatte das mit ihren Gedanken getan. Aber ich konnte ihn von hier aus auf die Ebene des Wolfshabitats fahren lassen. Dort müssten die Wölfe nur noch in den richtigen Bereich gebracht werden, damit ich die Energiefelder hochfahren konnte. Am besten von jemandem, der seine Beine bewegen konnte.
"Hallo?", rief ich und wartete.
Es kam keine Reaktion. Sie hatten mich abgestellt und waren abgehauen. Klasse. Wie sollte ich ihnen denn sagen, was sie machen sollten, wenn keiner in Rufweite war?
Wenn es schon draußen keine Lautsprecher gab, hier drinnen mussten die Außerirdischen doch irgendwie kommunizieren. Bei dem Gedanken wurde ich mit einer weiteren Welle kleiner Symbole belohnt, rote Lippen.
Offensichtlich waren uns die Erbauer des Schiffes nicht ganz unähnlich. Kommunikation über Laute. Visuelle Wahrnehmung der Umgebung. Und wenn sie selbst unsere Anatomie rekonstruieren konnten, um uns zu reparieren, waren sie entweder so fortschrittlich, dass ihre Methoden für jedes Lebewesen anpassbar waren oder ihre Körper waren den unseren ebenfalls ähnlich.
Jeder Raum verfügte auch über Mikrophone, sodass ich mich nicht einmal bewegen musste, um zu kommunizieren. Ich hatte keine Ahnung, wie die Nachrichtenübertragung eigentlich ablaufen sollte, aber ich verband einfach das Mikro meines Raumes mit dem Lautsprecher bei der Plattform, an der ein Soldat die Anlieferung der Wölfe überwachte. Warum das nötig war, dass er Wache stand, war mir nicht klar. Wahrscheinlich, damit alles irgendwie seine Ordnung hatte. Soldaten eben. Oder die Wölfe sollten nicht weglaufen, wenn sie aufwachten, sondern erstmal ihn fressen. Ein Mysterium, dem ich nicht nachgehen würde. Ich sprach ihn an.
"Hey du!"
Er zuckte zusammen und sah sich um. "Wer, ich?"
"Na klar, oder siehst du sonst noch wen? Und nein, wölfisch sprech ich nicht."
"Wer bist du?"
"Ich bin dein Vater, Luke", röchelte ich in das Mikrofon.
"Ich heiße aber nicht Luke. Hast überhaupt einen schwarzen Helm auf?"
"Nein? Okay, du hast mich durchschaut. Ich bin nicht dein Vater. Ich bin Bob, das zoologische Notfallprogramm des Raumschiffes. Ich gebe dir jetzt Anweisungen, wohin ihr die Wölfe bringen müsst."
"Das ist nicht meine Aufgabe. Ich habe andere Befehle."
"Jetzt ist es deine Aufgabe. Oder willst du gefressen werden, wenn die Wölfe in ein paar Minuten aufwachen und noch nicht eingesperrt sind?"
"Die fallen doch keine Menschen an, oder?"
Ich hatte es wohl mit einem besonders hellen Kerl zu tun. Kein Wunder, dass die anderen ihn dort abgestellt hatte.
"Nein, nur wenn sie hungrig sind. Das letzte Mal haben sie wahrscheinlich gefrühstückt. Vorgestern. Ich weiß zwar nicht, wie das bei Wölfen ist, aber wenn ich ein Mensch wäre, hätte ich jetzt schon wieder ein Loch im Bauch."
"Oh …"
"Oh ja. Hey, hat sich da grad einer bewegt?"
Der Soldat zuckte wieder zusammen, wahrte dann aber die Fassung, als er merkte, dass ich ihn nur veräppelte.
"Ist ja gut, was soll ich machen?"
"Warte auf die Soldaten, die den nächsten Wolf reinschleppen, und ich transportiere euch auf die Etage, in der sich das Wolfsgehege befindet. Dort bekommt ihr weitere Anweisungen."
"Okay."
Die Soldaten kamen, bevor einer der Wölfe wach wurde und den armen Aufpasser fraß. Ich wies auch sie ein und als sie auf der Plattform standen, startete ich den Aufzug. Eine Erschütterung lief durch das Schiff, die ich selbst in meinem Raum spürte und die gedimmten Lichter flackerten. Dann versank die Plattform langsam in der Tiefe.
Unten angekommen, leitete ich etwas Energie in die Beleuchtung um und schneebedeckte Hügel wuchsen vor den Soldaten aus dem Schatten des Habitats.
"Seht ihr die flackernden Kraftfelder dort hinten?" Eine rhetorische Frage, denn wer konnte diese Lasershow schon übersehen? "Dort bringt ihr sie hin. Kehrt dann einfach zum Aufzug zurück und er wird euch wieder nach oben bringen."
Das erledigte ich ganz nebenbei. Die Soldaten nickten stumm, in welche Richtung sollten sie auch salutieren, und machten sich an die Arbeit.
Das erste Problem war also gelöst und wir kamen der Normalität einen Schritt näher.
Jetzt würde ich zu etwas drastischeren Maßnahmen greifen, damit wir auch die anderen Tiere in die Nähe des Schiffes bekamen. Wenn das Schiff die Umgebung in den tiefsten Winter versetzen konnte, musste es doch auch möglich sein, den Sommer zurückzuholen. Der Plan war, nur einen schmalen Streifen Eis um das Schiff zurückzulassen, damit die Tiere dorthin flüchteten.
Ich arbeitete mich zum Klimaprogramm vor. Hier gab es noch andere Programme. Neben der Wetteränderung war auch eine komplette Umgestaltung der Umgebung in mehreren Schritten möglich. Beispielsweise eine Wüste in einen blühenden Dschungel verwandeln. Oder umgekehrt. Terraforming. Keine Ahnung, wie lange so ein Prozess dauerte. Aber ich war erleichtert, dass dieser Schritt in meiner Stadt nicht für nötig erachtet worden war. Oder? Für einen flüchtigen Moment flackerte ein Hinweis vor meinen Augen auf. 'Terraforming abgebrochen – Energieversorgung unzureichend'. Dann war er wieder verschwunden. Hatte ich mir das nur eingebildet?
Rumpelnd liefen irgendwo in den Eingeweiden des Schiffes die Temperaturgeneratoren an, nachdem ich die Zieltemperatur in der weiteren Umgebung um das Schiff anhob.
"Packt eure Badesachen aus, demnächst ist die Stadt ein großer See."
Jetzt hieß es abwarten. Ich wusste nicht, wo die Anderen waren, aber zumindest die Ärztin hatte ja irgendeinen Plan. Wenn etwas schief ging, würde ich das sicher mitbekommen. Ich schaltete einige Kameras auf meinen internen Bildschirm, um zu sehen, wann der Schnee geschmolzen war, und begab mich in einen geistigen Stand-by-Modus. Wenn ich meine Augen jemals wieder öffnen wollte, ruhte ich mich besser aus.
Ich bekam auch etwas Ruhe. Das Schmelzen des Schnees und die Reduzierung auf eine kleinere arktische Region hatten tatsächlich funktioniert. Größere Teile der Stadt standen jetzt unter Wasser, weil es nicht schnell genug abfließen konnte, aber so etwas war ja zu erwarten gewesen.
Mit dem, was dann passierte, hatte ich nicht gerechnet.