In der Tür stand also der Eiszombie.
Ich sah mich im Raum nach einer Waffe um. Einer Waffe, die ihn, wenn schon nicht töten, dann aber vielleicht so lange aufhalten konnte, bis ich das Weite gesucht hatte. Dr. Pfaff wusste, wie seine Regeneration funktionierte. Wenn sie nur nicht so bewusstlos am Boden liegen würde. Ich nahm nicht an, dass er sich genauso bereitwillig selbst außer Gefecht setzen würde wie sie.
Er griff sich an die Brust und ein gurgelndes Grummeln entsprang seiner Kehle. Wollte er mit mir reden? Vielleicht, denn er war immer noch nicht auf mich zugestürmt oder hatte mich in Stücke gerissen. Er hustete und ein Brocken landete klatschend auf dem Boden. Ein weißer Haufen, in dem sich irgendetwas bewegte. Die Bewegungen verlangsamten sich, dann trocknete die Masse ein. Ich hatte es nur aus dem Augenwinkel heraus betrachtet, glaubte aber, Würmer gesehen zu haben.
So sonderbar das auch war, ich durfte die eigentliche Gefahr nicht außer Acht lassen. Vielleicht konnte ich auch ohne Waffe entkommen. Hinaus ins Freie. Den kleinen Ring aus Eis durchbrechen, danach hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen und war sicher. Wenn mir die KI den Zugriff auf die Schiffssysteme verweigerte, sollte sie doch selbst sehen, wie sie das Schiff wieder flottbekam.
"Ihr Narren!" Der Eiszombie sprach mit tiefer, kratziger Stimme. Einer Stimme, die ich verstand. Steckte unter der gefrorenen Oberfläche tatsächlich ein Mensch? "Ihr habt euch euer eigenes Grab geschaufelt."
Er betrat den Raum. Langsam und, wie es schien, ohne Absicht, mich anzugreifen. Ich machte dennoch einen Schritt rückwärts, warf noch mal einen Blick auf den Tisch. Viel war nicht mehr übrig. Ein Betäubungsgewehr, das war nutzlos und schied aus. Ein Objekt in Form einer Thermoskanne, mit weißen Streifen an den Rändern. Was das wohl war? Enthielt es etwa eine tödliche Ladung Kaffee? Ohne zu wissen, was es tat, war es momentan ebenfalls unbrauchbar.
Das Objekt, das ich der Ärztin auf den Fuß hatte fallen lassen, konnte auch eine Waffe sein. Es hatte zumindest eine Öffnung an dem einen Ende und einen Griff am anderen. Unglücklicherweise lag es in der Mitte des Raumes und außerhalb meiner Reichweite. Ansonsten gab es nichts. Fast nichts. Ich konnte immer noch den Handschuh nach ihm werfen, ihn ablenken und mir eine Sekunde Zeit verschaffen. Und mir erst dann alle Knochen brechen lassen. Aber solange er mit mir redete, würde er mich nicht umbringen, oder? Also sorgte ich am besten dafür, dass er weiterredete.
"Was haben wir denn getan? Wir schicken doch nur dieses gestrandete Raumschiff wieder nach Hause. Die Tiere kommen an ihr geplantes Ziel und für uns kehrt Normalität zurück."
"Eure Welt wird nie wieder so sein, wie sie war. Dafür habt ihr gesorgt, als ihr brav die Kreaturen eingefangen habt. Dieses Schiff wird nicht abfliegen. Denn inzwischen ist es gar kein Schiff mehr, sondern ei-"
Das Geräusch brechenden Hartplastiks und Metalls, das über seine Belastungsgrenze hinaus gequält wurde, schnitt ihm das Wort ab. Krachend brach Sergej durch die Wand neben ihm und zerschmetterte den Unterarm, den der Eiszombie schützend in die Höhe riss. Überrascht machte der einen Satz auf mich zu und überbrückte so die letzten Meter, die uns noch trennten. Er umfasste meinen Hals und drückte mir die Kehle zu. Seine Hand war so gewaltig, dass sie meinen Hals fast komplett umschloss. Danke Sergej, jetzt war ich eine Geisel. Ich versetzte dem Eiszombie einen Tritt und schlug auf seinen Arm ein, tat mir dabei aber mehr weh als ihm.
"Drück ruhig zu, das macht mir nichts aus. Daniel hat seinen Zweck erfüllt." Er blickte zu der Stelle, an der die Ärztin lag, zog den linken Mundwinkel nach oben und stieß einen zufriedenen kurzen Lacher aus. "Wie es scheint, muss ich für meine letzte Aufgabe den Raum nicht einmal mehr verlassen."
Machte er sich denn keine Sorgen um mich? Oder war das ein Trick, um Mr. Eiszombie aus dem Konzept zu bringen? Der harte Antiheld, der sich offenbar nicht um die Geisel kümmerte, damit der Schurke sie losließ?
"Dr. Pfaff hatte recht, das Monster braucht Flüssigkeit, um sich zu regenerieren. Hier drin gibt es davon nicht mehr viel. Tut mir leid Daniel, ich denke, dass du gleich gefressen wirst. Erspart mir die Arbeit, dich selbst kalt zu machen."
Unglauben machte sich in mir breit. Sergejs Gesicht war hart, er meinte es ernst. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er so ein guter Schauspieler gewesen war. Und irgendwie passte es zu dem Gefühl der Ablehnung, sogar Feindseligkeit, die ich in ihm gespürt hatte, seitdem wir im Raumschiff waren.
Ich packte das Handgelenk des Eiszombies und drückte meine Finger zwischen seine Hand und meinen Hals. Es half nichts, er war zu stark. Ich konnte mich einfach nicht befreien, schaffte es aber, seinen Griff etwas zu lockern. Ich sog einen erlösenden Atemzug ein. "Was ist los Sergej? Wir sind doch Freunde", presste ich hervor.
"Du und Dr. Pfaff, ihr beide seid daran schuld, dass mein Bruder und meine Mama tot sind!" Er spuckte die Worte aus, jedes einzelne triefte vor Bitterkeit.
Ich war verwirrt. In meinem Kopf rauschte es. Der Griff um meinen Hals wurde wieder fester und es fiel mir schwer, mich auf etwas anderes, als die Schmerzen zu konzentrieren. Sergej hatte doch gar keinen Bruder, oder? Er hatte ihn all die Jahre im Waisenhaus nicht ein einziges Mal erwähnt. Und seine Mutter war schon vor Jahren gestorben. Wie sollte ich denn dafür verantwortlich sein.
"Ich habe … keinen von bei…den je getroffen." Das Reden wurde mit jedem Wort schwieriger.
"Das ist ja herrlich." Der Eiszombie lachte grimmig. "Ihr seid ja so einfach zu beeinflussen. Habt ihr es nicht gemerkt? Das Schiff hat eure Erinnerungen und Gedanken manipuliert, damit ihr erst seinen Plan ausführt und euch dann gegenseitig aus dem Weg räumt. Außerhalb des Schiffes hat es bereits jeden getötet. Ihr seid die Nächsten, die sterben sollten."
"Das ist doch deine Schuld, Monster!", brüllte Sergej. "Du stehst auch noch auf meiner Liste!" Er stürmte auf uns zu.
Der Eiszombie ließ mich fallen. Er brauchte den Arm zum Kämpfen, denn der andere endete am Ellenbogen in Eissplittern. Er holte aus, um Sergej einen Schlag zu verpassen. Doch statt zuzuschlagen, drehte er sich weiter, hinaus aus Sergejs Pfad.
Es war eine Finte gewesen. Sergej war voll in Fahrt und verfehlte den Eiszombie. Er versuchte zu bremsen, war aber so rücksichtslos angestürmt, dass er stolperte und in einem der Tanks landete, der unter der Wucht des Aufpralls zerbarst.
Wie schon beim Kampf vor dem Raumschiff bewegte sich der Eiszombie mit einer Behändigkeit, die seiner Masse einfach nicht entsprach. Er war so schnell über Sergej, dass ich noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, Atem zu holen, nachdem er mich losgelassen hatte. Das holte ich jetzt japsend nach und schwarze Punkte sprangen in meiner Sicht wild umher. Ich rollte mich über den Boden und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit.
So sah ich nicht, wie der Eiszombie über Sergej herfiel, sondern konnte nur hören, wie ihr Kampf endete. Ein schmatzendes Geräusch gefolgt von einem gellenden Schrei. Sergejs Schrei. Ein heller Klang, Metall, das auf Metall fiel, unterbrach den Schrei, der zu einem Wimmern wurde und kurz darauf ganz verstummte.
Als ich wieder sehen konnte, bemerkte ich Sergejs Prothese, die vor dem Sockel eines der Glasbehälter lag. Um den Tank herum kroch rotes Blut und breitete sich zu einer großflächigen Lache aus. Dahinter, vor meinem Blick verborgen, musste Sergej liegen.
Der Anblick des Blutes raubte mir den Atem und gleich würde mir wieder schwarz vor Augen werden. Ich schnaufte, atmete gezwungen gleichmäßig, zwang die aufsteigende Übelkeit herunter und krabbelte auf den Ausgang zu. Ich musste wieder auf die Beine kommen.
"Keinen Schritt weiter!", befahl der Eiszombie. "Dich werde ich am Leben lassen. Er aber hätte dir keine Gnade gezeigt. Es führte kein Weg daran vorbei. Sein Schicksal war schon besiegelt, als er auf der Flucht von den Wölfen verletzt wurde. Er hätte euch nicht lange überlebt, nachdem er euch kaltblütig umgebracht hätte."
"Woher willst du das wissen?" Ich hatte es geschafft, das rechte Bein unter meinen Bauch zu ziehen, drückte mich nach oben und blickte zur Tür. Im Rahmen stand der einarmige Hüne und versperrte den Fluchtweg. Ich tastete mich zum Tisch vor, um mich dort hochzuziehen, und traf dabei auf ein Hindernis. Der Apparat, den ich Dr. Pfaff auf den Fuß fallen gelassen hatte. Der Handschuh füllte die Schwärze in meinem Kopf mit Informationen und ich griff zu.
Der Eiszombie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich Widerstand leisten würde, mein Verstand eigentlich auch nicht. Aber mein Körper arbeite wie von selbst. Die Waffe war bereits korrekt eingestellt, ich musste nur noch anlegen und abdrücken. Mit einem tiefen Basston stanzte sie ein großes Loch in den Unterleib des Eiszombies, durch die Wand des Ganges und die Außenwand des Schiffes, die den Raum dahinter von der Außenwelt trennte. Bevor er zusammenbrach und mir die Sicht versperrte, konnte ich einen kurzen Blick auf die Eiswüste erhaschen, die das Schiff umgab. Sie erstreckte sich bis zum Horizont.
Schnee stob auf, als der Eiszombie auf dem Boden aufschlug, und Eissplitter wurden durch den Raum geschleudert. Wenigstens kein Blut. Wacklig erhob ich mich und legte die Waffe wieder auf ihn an. Er lebte noch. In seinem Blick lag kein Schmerz, nur Verachtung.
Er hatte Sergej kaltblütig ermordet. Andere hätten mit ruhigem Gewissen Vergeltung geübt und dem Eiszombie den Rest gegeben. Ich hätte ja betont, dass ich kein rachsüchtiger Mensch und mir Gewalt zuwider war. Doch die Wahrheit sah so aus, dass ich im Moment einfach nichts empfand. Keine Reue, aber auch nicht den Wunsch nach Rache. Das alles wirkte nicht real und ich fühlte mich verloren und deplatziert.
Ich drehte mich zu der Stelle um, an der Sergej liegen musste. Es war so viel Blut, er konnte nicht mehr am Leben sein, oder? Ich wollte nachsehen, aber allein bei dem Gedanken, was mich erwartete, wurde mir schwindelig. Ich konnte nicht riskieren, ohnmächtig zu werden. Erste Hilfe war eher ein Job für andere.
Ich kniete mich zur Ärztin herab und fühlte ihren Puls. Sie lebte noch und hatte nur eine kleine Beule am Hinterkopf. Ich schüttelte sie an der Schulter.
"Wenn du fliehst, wirst du nicht weit kommen", erklärte der Eiszombie nüchtern, als kümmerte es ihn gar nicht, dass er hinter mir in Stücken auf dem Boden lag. "Ihr werdet erfrieren, wie alle anderen da draußen."
"Wir haben Schneeanzüge und draußen stehen Schneefahrzeuge." Ich versuchte weiter, die Ärztin zu Bewusstsein zu bringen. Sie stöhnte.
"Ihr werdet keine zwei Schritte vor die Tür setzen können. Die Kälte wird euch mitsamt den Schneeanzügen in Eis verwandeln."
"Besser, als den Rest meines Lebens mit einem Eiszombie, einer Horde wilder Tiere und einer hinterhältigen KI in einem Raumschiff eingesperrt zu sein." Ich ohrfeigte die Ärztin, die endlich ihre Augen öffnete, verdrehte und wieder schloss. Ein Eimer Wasser konnte vielleicht helfen, aber hier gab es ja nur verdammtes Eis.
"Eiszombie?" Ein ungläubiger Ton mischte sich in seine Stimme. "Denkst du denn, dass ich gerne so bin. Diese Gestalt habe ich doch nur, weil ich euch Menschen vor dem bewahren wollte, was da draußen passiert ist. Hör mir zu, Junge, dann gibt es noch eine winzige Chance, das Eis aufzuhalten. Eine Chance, um auch den Rest der Welt zu retten."
Den Rest der Welt? Wovon redete er? Ging es nicht nur um unsere Stadt? Stand in Wirklichkeit viel schlimmer? Ich blickte am Eiszombie vorbei auf die vereiste Landschaft, die sich so weit erstreckte, wie ich sehen konnte. Das war nicht so verlaufen, wie die KI es mir erklärt hatte.
Es würde noch einen Moment dauern, bis Dr. Pfaff vollständig bei Bewusstsein war. Da konnte ich mir auch anhören, was Mr. Eiszombie zu sagen hatte.
"Dann schieß los. Und erzähl mir keinen Mist, sonst drück ich nochmal ab!"