"Um euren Planeten zu retten, müsst ihr hinab, auf die unterste Ebene des Raumschiffes."
Die unterste Ebene. Die unbekannte Ebene. Die Ebene, zu der uns die KI alle Informationen verwehrt hatte.
"Was ist dort?", fragte ich.
"Der Terraformer. Er hüllt eure Welt in Eis. Ihn müsst ihr zerstören."
"Warum soll die Welt in Eis gehüllt werden."
"Um Lebensraum zu erschaffen, nachdem das einheimische Leben vernichtet wurde."
Gab es dort draußen eigentlich einen einzigen Außerirdischen, der nicht unsere Welt für neuen Lebensraum erobern wollte?
"Und wir sollen dabei vernichtet werden?"
"Das ist ein Verlust, den das Schiff in Kauf nimmt. Der Planet, der eigentlich Ziel des Schiffes war, enthielt kein Leben. Die KI wurde nicht auf den Fall vorbereitet, dass es Leben auf dem Planeten geben könnte. Keine Routine, um abzuwägen, welche Spezies Priorität hat. Keine Möglichkeit, die Mission zu stoppen. Was für euch aber am schlimmsten ist: Das Schiff ist gar nicht in der Lage, aus eigener Kraft zu starten. Es hat keine Möglichkeit, den Planeten zu verlassen. Also muss es die Mission hier beenden."
Hatten die auf keinem anderen Planeten einen Beta-Test gemacht? Wegen eines solchen Fehlers stand jetzt das Schicksal unserer Welt auf dem Spiel?
"Das Schiff ist doch eine künstliche Intelligenz, wenn ich das richtig verstanden habe. Fähig zu lernen, neue Problemstellungen zu erfassen und sich dementsprechend weiterzuentwickeln. Kann man dem Ding die Situation nicht verständlich machen? Wenn der Welt die Gefahr bewusst wird, werden die Nationen sicher alles daran setzen, das Schiff zu reparieren und wieder ins All zu schicken."
Oder einfach eine Atombombe darauf abladen, wenn es nicht verhandeln sollte.
Dünne Fäden schlängelten sich von seinem Rumpf fort und trockneten ein, als er zur Antwort ansetzte.
"Denkst du, das war nicht das Erste, was ich versucht habe? Nachdem klar war, dass wir auf eurem Planeten notlanden müssen, habe ich Stunden mit der KI darüber diskutiert, wie eine Lösung aussehen könnte. Ich konnte sie nicht davon überzeugen, nach einem anderen Weg zu suchen. Am Ende weigerte sie sich sogar, weiter mit mir zu reden. Also habe ich nach der Notlandung die Tiere freigelassen, um das Terraforming zu verhindern."
"Erfolgreich war das ja nicht gerade. Die Stadt ist trotzdem im Schnee versunken." Ich machte eine kurze Pause und fragte ihn dann: "Welche Rolle nimmst du eigentlich auf diesem Schiff ein?"
"Auf diesem Schiff gar keine. Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Ich bin ein blinder Passagier. In eurer Gesellschaft würde man mich, durch den mir selbst auferlegten Auftrag, vielleicht als einen Aktivisten bezeichnen."
Ein Aktivist. Hatte der Eiszombie wirklich eine Ahnung, wie wir unseren Planeten retten konnten? Ich hatte wenigstens gehofft, dass er ein Mitglied der Schiffscrew war. Aber ein Aktivist? Hatte er sich vielleicht am Raumschiff festgebunden, um seinen Start zu verhindern?
"Und wofür genau setzt du dich ein?"
"Den Erhalt aller Spezies. Die auf dem Schiff transportierten und die eures Planeten. Das schließt sogar euch Menschen mit ein. Auch wenn ich, bis wir in diesem System angekommen sind, noch nicht einmal von eurer Existenz gewusst habe."
"Moment, du setzt dich für den Erhalt der menschlichen Spezies ein und hast heute trotzdem so viele Leben ausgelöscht?"
"Kleine Opfer für den Erhalt der ganzen Menschheit. Dein angeblicher Freund dort hinten hat alles gefährdet. Beinahe hätte er die letzten Menschen getötet, die das Terraforming noch aufhalten können."
"Ach ja? Du bist nicht viel besser als die KI. Angeblich kleine Opfer zur Rettung von etwas scheinbar Wichtigerem. Sergej war mein Freund. Ich glaube dir nicht, dass er mich umgebracht hätte."
"Die KI hat ihn umgepolt. Bestimmt jeden von euch. Er hat geglaubt, euch umbringen zu müssen, weil ihr seine erfundene Familie getötet habt. Du hast geglaubt, dass du die Tiere einfangen musst, um die Welt zu retten. Welch noble Aufgabe."
Ich hatte mich tatsächlich recht schnell damit abgefunden, dass ich diese Aufgabe erfüllen musste. Es erschien mir plötzlich seltsam, warum ich das nicht stärker hinterfragt hatte. Wenn ich mich fragen musste, ob meine Erinnerung an meine und Sergejs Vergangenheit real war oder die Erinnerung jedes anderen, musste ich dann nicht auch alles andere anzweifeln, was ich sah oder hörte? Ich versuchte, mich an Details meiner Kindheit zu erinnern, irgendein Bild, das sich ins Gedächtnis eingebrannt hatte, damit ich für mich selbst einen klaren Beweis hatte, dass sie real war. Stattdessen flackerte nur das Bild dieses Raums auf, wie ich ihn verschwommen aus dem Inneren des Tanks gesehen hatte und die Bewegung einer Gestalt darin. Das führte zu nichts, also konzentrierte ich mich wieder auf das, was ich scheinbar real vor mir sah.
"Trotzdem unterscheidet sich deine Geschichte kaum von der der KI. Ich brauche nur in die unterste Etage des Schiffes, dann ist die Welt gerettet? Woher soll ich wissen, dass du mich nicht auch anlügst?" Ich brüllte ihm die letzten Worte entgegen und richtete anklagend den Zeigefinger auf ihn. Nein, ich musste ruhig bleiben, durfte die Kontrolle nicht verlieren. "Woher weiß ich, dass es nicht nur ein weiterer Schritt ist, die Eiswüste auszubreiten. Du scheinst dich nämlich im Schnee recht wohl zu fühlen."
Der Blick des Eiszombies wurde grimmiger, als er die Augenbrauen zusammenzog.
"Wie gesagt, ich habe mir das nicht ausgesucht. Das hat mir das Schiff angetan."
"Er hat recht. Er ist von Parasiten befallen. Gott, was habt ihr mit meinem Kopf gemacht?" Die Ärztin setzte sich neben mir auf und tastete mit schmerzerfüllten Zischlauten ihren Hinterkopf ab. Nachdem sie offenbar kein tieferes Loch gefunden hatte, fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. "Sie gehen eine Verbindung mit ihrem Wirt ein. Sie regenerieren seine Zellen durch ihre eigenen Körper, unfassbar schnellen Stoffwechsel und Zellteilung. Alles, was sie dafür benötigen, ist Flüssigkeit. Aus der näheren Umgebung und, wenn diese keine mehr bietet, aus dem Wirt selbst. Sollte dieser Fall eintreten, wird er nur kurze Zeit überleben."
"Die Würmer waren ursprünglich zur synthetischen Herstellung von Lebensmitteln gedacht. Ein Projekt, das fehlgeschlagen ist. Das Schiff hat mich mit ihnen infiziert, als ich die Tiere befreit habe. Hier drinnen gibt es keine Waffen, welche die KI einsetzen kann. Außer den Kreaturen des Schiffes selbst. Und", er blickte uns finster an, "wie ich feststellen musste, auch Menschen."
"Die KI kann die Tiere steuern, so wie Klara das getan hat?"
Kein großartiger Gedanke. Falls ich in die unterste Ebene wollte, musste ich mich also durchkämpfen. Durch Wölfe, Raubkatzen und Killer-Schneehörnchen.
"Ja, die Kontrolle beschränkt sich aber auf das Innere des Schiffes, also hat es dem Mädchen diese Fähigkeit implantiert. Ohne ihre Hilfe hättet ihr Wochen gebraucht, um die Tiere wieder einzufangen."
Nun fragte ich mich, ob Klara wohl in Sicherheit war. Befand sie sich immer noch bei den Maulwürfen? Konnte sie sich mit dem Schiff messen, falls es zur Konfrontation kam? Der Soldat mit dem Luftstoßdingens war bei ihr, der sollte sie zumindest beschützen können.
"Mit diesem Handschuh hatte ich Kontrolle über die Schiffssysteme. Jetzt habe ich keinen Zugriff mehr. Kann das bei Klara auch passiert sein?"
"Ich gehe davon aus, dass es ein operativer Eingriff war", erklärte der Eiszombie. "Aber falls es zu einem Kräftemessen zwischen ihr und dem Schiff kommt, setze ich auf die KI."
Also, noch ein Grund, in die Tiefen des Raumschiffes hinabzusteigen. Klara retten, den Terraformer zerstören und dann uns selbst retten. Den Eiszombie auch? Da war ich mir allerdings nicht so sicher.
"Wenn wir versuchen, dich wieder auf die Beine zu bringen, tötest du uns dann auch?", richtete ich mich an den Haufen, der von ihm noch übrig geblieben war.
"Ist das dein Ernst? Du willst dem Monster helfen, das so viele Soldaten auf dem Gewissen hat?" Fassungslosigkeit und ein Hauch von Furcht schwangen in der Stimme der Ärztin mit. Eine Reaktion, die ich ihr nicht einmal verübeln konnte, denn besonders wohl fühlte ich mich bei dem Gedanken auch nicht. Andererseits wollte sie mich vor ein paar Minuten selbst noch kochen und ihre Kritik verlor in meinen Augen jeglichen Halt.
"Wenn wir ganz nach unten müssen, werden wir jede Hilfe brauchen. Es sind einige Ebenen. Jetzt, da Sergej tot ist -"
"Sergej ist tot?" Sie wurde weiß, nicht unähnlich der Farbe der Wände.
"Er liegt dort hinten. Mr. Eiszombie hier hat ihn auseinandergenommen, bevor ich ihn stoppen konnte. Sie können gerne nachsehen, ich vertrage das Blut einfach nicht. Scheinbar hatte Sergej mit uns aber genau dasselbe vor, wenn man dem Eiszombie glaubt."
Sie drehte sich in die Richtung der Blutlache, sah um den Tank herum und schluckte hörbar. "Ich …", fing sie an, aber der Rest ihrer Worte wurde zu undeutlich, um sie zu verstehen. Sie murmelte nur noch vor sich hin.
Ich war allerdings weder gewillt, noch in der Lage, sie zu beruhigen. Ich wandte mich stattdessen wieder Mr. Eiszombie zu. "Wie sieht's aus?"
"Ich weiß nicht, ob ich noch zu etwas zu gebrauchen bin. In diesem Zustand war ich seit meinem Befall noch nie. Wir müssten irgendwo genug Flüssigkeit herbekommen, um mich zu heilen." Seine Stimme wurde schwächer und ich war mir nicht sicher, ob wir ihn am Ende nicht auch noch aufgeben mussten.
"Falls wir das schaffen?"
"Mein Ziel ist es, das Terraforming aufzuhalten. Seid ihr auf meiner Seite, bin ich auf eurer."
"Selbst wenn wir uns, warum auch immer, gegen dich stellen sollten", sagte ich ihm bestimmt, "will ich, dass du uns nicht tötest oder verstümmelst. Schlag uns meinetwegen K.O., wie auch immer du es anstellst, aber das musst du mir versprechen. Gleiches gilt für Klara oder jeden anderen Zivilisten oder Soldaten, denen wir begegnen. Die stehen nämlich im Gegensatz zu dir nicht wieder auf."
"Du würdest dich also nicht für die Rettung der Menschheit opfern?"
"Was? Ich würde es bevorzugen die Menschheit zu retten und am Leben zu bleiben. Wäre klasse, wenn du das aktiv unterstützen würdest."
"Einverstanden, ich werde mich bemühen, deinen Wunsch zu unterstützen."
Er bemühte sich stets, seine Kameraden am Leben zu lassen? Zumindest besser als nichts.
"Und wo sollen wir das Wasser herbekommen?" Dr. Pfaffs Stimme war dünn und zittrig. Nachdem sie zuvor so herrisch und selbstsicher aufgetreten war, wirkte sie wie ein anderer Mensch auf mich. Kein Wunder. Unser Plan war gescheitert und sie hatte versagt.
"Nach draußen gehen wir besser nicht. So wie sich das angehört hat, erfrieren wir sofort. Ich habe deswegen an die Tanks hier gedacht. Lasst mich mal machen."
Die Tanks waren leer, dennoch hatte ich eine Idee. Probeweise legte ich den Handschuh auf eines der Bedienteile, doch nichts regte sich. Damit hatte ich fast gerechnet.
Stattdessen richtete ich den Stanzer auf den Tank ganz am Rand, der der Tür und Eiszombie am nächsten war. Ich regelte die Kraft der Waffe herunter, legt sie auf den Boden und feuerte. Ein sauberer Tunnel entstand im Sockel und eine Fontäne blauer Flüssigkeit schoss aus einem Rohr hinein in den Tank. Wasser war das wahrscheinlich keins, aber vielleicht funktionierte das trotzdem. Jetzt mussten wir nur noch den Eiszombie dorthin bekommen.
"Bist du eigentlich ansteckend?", fragte ich ihn.
"Solange ich bei Verstand bin, habe ich eine gewisse Kontrolle über die Würmer", erklärte er.
Ich erinnerte mich an die Szene mit dem Eisbären, den er geheilt hatte. Gut zu wissen, schließlich wollte ich nicht so wie er enden.
Im Loch, das ich im Sockel erschaffen hatte, bildete sich eine kleine Pfütze, die wild blubbernd wuchs und in den Raum schwappte. Die Flüssigkeit hatte einen bissigen Geruch und ich trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, damit sich bei Kontakt nicht versehentlich meine Schuhsohlen auflösten. Damit hatte sich die Frage geklärt, wie der Zombie zum Wasser kam, denn es kam nun zu ihm.
Als der Rand der Lache einen der ausgetrockneten Fäden erreichte, die vom Eiszombie ausgingen, vollzog sich eine Wandlung. Die Fäden streckten sich von seinen beiden Körperhälften aus, tasteten sich durch die Luft und suchten einander. Wo sie sich fanden, verbanden sie sich mit einem Schmatzen. Sie gewannen an Substanz, bis die Löcher schließlich komplett ausgefüllt waren. Die regenerierten Stellen waren im Gegensatz zum restlichen Körper nicht von Eis bedeckt, sondern schimmerten in einem hellen Blauton, so wie die Flüssigkeit, die sie absorbierten. Der Panzer war jetzt verschwunden und der Eiszombie schlanker und kleiner. Fast wie ein Mensch, nur in Blau.
Während der ganzen Prozedur richtete ich den Stanzer auf ihn. Ich war besser vorsichtig, trotz seiner guten Vorsätze. Dr. Pfaff starrte ihn nur mit großen Augen an. Diesen Prozess aus der Nähe zu sehen, war für sie als Ärztin bestimmt besonders faszinierend, spottete er doch all unseren bekannten Heilungsmethoden.
Spannender als sein Heilungsprozess war für mich hier wieder heil rauszukommen. Je schneller, desto besser.
"Wie kommen wir nach unten? Ich gehe mal nicht davon aus, dass wir den Aufzug noch bedienen können. Gibt es irgendwo einen Leiterschacht? Am Aufzug vielleicht?"
"Nein, es gibt keine Leitern oder Treppen. Nur den Aufzug, der entweder automatisch vom Schiff oder manuell von einem Crewmitglied bewegt werden kann", erklärte er.
"Klasse, wie sollen wir dann runter? Soll ich etwa Löcher in den Boden schießen?"
"Es gibt noch einen anderen Weg", meldete sich die Ärztin zu Wort. "Die Biotope sind über Röhren verbunden, in denen Nahrung oder organische Abfälle transportiert werden. Die müssten groß genug für uns sein."
"Was man nicht alles für die Rettung der Welt tut." Ich rümpfte die Nase und zuckte mit den Schultern. "Also gut, kennen Sie den Weg?"
Sie kannte ihn. Bewaffnet mit dem letzten verbliebenen Betäubungsgewehr übernahm sie die Führung. Die Thermoskanne, bei der es sich laut Analysator in Wirklichkeit um einen Sprengsatz handelte, packten wir auch ein. In meinen Rucksack, wo er der Taschenlampe des Pförtners, Keksen und einer Wasserflasche Gesellschaft leistete. Das war auch alles, was wir noch an Nahrung hatten. Die Kantine war außer Betrieb, aber momentan war uns ohnehin nicht nach Essen zumute.
Es war ein kleiner runder Raum, zu dem uns Dr. Pfaff führte. Über mehreren Löchern in der Mitte des Raums, hing ein Apparat an der Decke. Ich kniete mich hin und sah mir die Löcher an. Jedes von ihnen hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter.
"Groß genug, würde ich sagen, auch wenn ich darin nicht die Ewigkeit verbringen will. Und was ist das?" Ich fuhr mit der freien Hand über die Innenseite einer Röhre. Eine grüne Substanz bedeckte meine Finger und zog Fäden, als ich sie auseinanderzog.
"Nahrungsmittel, wie in der Kantine. Schleimig, trocken, tödlich." Die Ärztin zeigte nacheinander auf drei der Öffnungen.
"In dem Fall bevorzuge ich trocken." Ich spähte in die Röhre hinein, die nach ein paar Metern eine Biegung machte. "Wie tief sind die?"
"Nicht tief genug, dass wir abstürzen und sterben", erklärte sie und da war die verlorene Entschlossenheit zurück. Sie ließ sich in die Röhre hinab, drückte sich mit Füßen und Rücken an den Wänden ab und tastete sich Stück für Stück nach unten. Kurz vor der Biegung ließ sich fallen und verschwand rutschend in der Dunkelheit.
Stille folgte.
"Sind sie okay?", rief ich in die Röhre und meine Worte verhallten in der Ferne.
Ein schwaches Geräusch antwortete, dann ein etwas lauteres "Ja, ihr könnt den ganzen Weg rutschen!"
Der Eiszombie ließ sich das nicht zweimal sagen und sprang einfach in den Schacht. Nachdem ich seinen Ruf abgewartet hatte, kletterte ich hinein. Hielt mich am Rand fest, atmete kräftig durch und ließ mich vor Freude schreiend in die Tiefe fallen.
Nicht schlimmer als eine steile Abenteuerrutsche, außer dass man bei der nicht in müffelndem Trockenfutter landete. Dr. Pfaff und der Eiszombie sahen mich entgeistert an.
"Was? Hat euch das Rutschen früher nie Spaß gemacht?"
Offenbar nicht.
Auf jeder neu erreichten Ebene empfingen uns die Lichtströme auf den Wänden mit roten Farbtönen, intensiver und bedrohlicher, je weiter wir hinab kletterten. Das Schiff war in Alarmbereitschaft und der einzige Grund, warum wir noch nicht angegriffen worden waren, lag meiner Meinung darin, dass wir bisher nur Pflanzenfressern begegnet waren.
Ich betrachtete eine von flackernden Kraftfeldern eingezäunte Herde Rentiere. Das Flackern wurde schwächer und erlosch. Konnte das Schiff meine Gedanken lesen? Die anderen waren weitergegangen und ich beeilte mich, aufzuschließen, bevor die Tiere mir auf den Fersen waren. Als ich sie erreichte, hörte ich schon das Getrappel hinter mir.
"Schnell, zur nächsten Röhre, wir bekommen Gesellschaft!", rief ich und eilte an ihnen vorbei, dorthin wo ich den Weg nach unten vermutete. Ich wich stolpernd einem der Reinigungsroboter aus, einem kleinen Stück Technik in Form eines Mülleimers, der mir bis zum Knie reichte.
Der Gang endete vor einer Öffnung in der Wand. Braune Brühe floss gemächlich und Blasen schlagend durch den horizontalen Teil des Kanals, welcher vor mir in einem Wasserfall, wenn man das denn so nennen durfte, in das Rohr stürzte.
Keuchend holte mich die Ärztin ein und auch sie zögerte. Der Eiszombie hatte weniger Hemmungen. Er trampelte an uns vorbei, sprang hinein und rutschte das waagerechte Stück entlang, bis zu der Stelle, an welcher der Kanal einen Knick zur nächsten Ebene machte.
"Hat der denn keine Geruchsorgane?"
Das würde ich ihn unten mal fragen. Ich schluckte, holte tief Luft, dann gab ich mir einen Ruck und folgte ihm. Es ging steil bergab, gefühlt mehrere Etagen, bis ich in einem großen Becken landete. Noch mehr von der Brühe. Ich hielt mir im Fallen die Nase zu, kam aber mit den Füßen auf, und tauchte nur bis zu den Schultern ein.
Jetzt musste ich wieder atmen und der brennende Gestank schnürte mir den Hals zu. Ich würgte und watete zum Rand des Beckens, wo mich der Eiszombie hinauszog. Erst als ich daneben lag, bekam ich überhaupt wieder Luft. Ich wälzte mich über den Boden, damit das Zeug irgendwie ab ging, und wäre beinahe in einen anderen Kanal gefallen, durch den die Brühe aus dem Becken davon floss.
Es war einer von mehreren, die aus dem Raum hinausführten. Ich erinnerte mich. Das war ein Verteilerraum, aus dem der Bioabfall als Dünger über das Biotop verteilt wurde.
Die Ärztin kletterte aus ihrem Schneeanzug und befreite sich so vom Dünger. Die Glückliche. Ich konnte nur meinen Pullover abwerfen, wenn ich nicht in Unterwäsche in den Krieg ziehen wollte.
Sie öffnete eine Tür, die uns in das Biotop führte. Sattes Grün bedeckte die Ebene, die sich vor uns entfaltete und das Gras wiegte sich sacht im rauschenden Wind. Ich hatte gewusst, dass es in den unteren Ebenen nicht nur Kreaturen der Kälte gab, aber dieser Anblick überraschte mich doch.
Der Wind ebbte ab und ein röhrender Schrei ertönte über uns. Große Augen blickten uns an. Die gehörten zu einem noch größeren länglichen Kopf, bedeckt mit braunem Leder und grauen Hornplatten, fortgesetzt in einem langen Hals und einem massigen Körper. Den Abschluss des riesigen Vierbeiners bildete ein langer Schwanz mit einer Keule am Ende.
Die Kreatur machte einen Schritt auf uns zu und die Erde bebte. Wir hatten wohl gerade eine Zeitreise gemacht. Ich hatte schon immer einmal echte Dinosaurier sehen wollen, doch leider konnten wir uns nicht damit aufhalten, dieses Ungetüm der Urzeit zu bewundern.
"Wohin müssen wir jetzt?"
Obwohl ich mir die Ebenen angesehen hatte, hatte ich inzwischen den Überblick verloren. Von den Rutschpartien war mir schwindelig und der Gestank benebelte meine Sinne. Die Kreatur wandte sich von uns ab, in Richtung noch grünerer Wiesen.
"Wenn ich das richtig sehe, liegt die Ebene mit dem Tunneleingang direkt unter uns." Dr. Pfaff betrachtete die Anzeige ihres Analysators. "Allerdings gibt es hier nur den Aufzug und einen riesigen Schacht, der gleich einige Etagen nach unten reicht."
"Klasse, dann müssen wir jetzt den Aufzugsschacht hinabklettern? Mit der Brühe am Körper wird -", begann ich, als ich aus dem Augenwinkel den Schwanz der Kreatur auf den Eiszombie zusausen sah.
"Achtung!", rief ich, als ihn der Treffer bereits von den Beinen hob und entlang der Wand von uns wegschleuderte.