Wir sahen dem Eiszombie kurz hinterher, dann einander an und ergriffen schließlich die Flucht.
"Erschießen oder betäuben?", rief ich Dr. Pfaff zu, während ich in die Weiten des Habitats rannte und dabei braune Pfützen zurückließ.
"Schwer zu sagen, ob ihn das Betäubungsgewehr aufhält." Sie versuchte im Rennen, den Analysator auf den Dino zu justieren.
"Ihn?"
"Ist groß und trampelig, muss ein Mann sein."
"Sehr witzig. Wie wär's, wenn Sie einfach schießen, statt zu analysieren?"
Mit einem Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte, steckte sie das Gerät ein, nahm das Gewehr in beide Hände und versuchte, rückwärts zu rennen, während sie ihn ins Visier nahm. Der Dinosaurier verfolgte uns mit gesenktem Kopf und der Boden bebte bei jedem seiner Schritte. Er wackelte so stark, dass der erste Schuss im Blau des Himmels verschwand. Himmel? Keine Zeit, sich zu wundern, wie das jetzt wieder möglich war.
Sie fluchte und schoss ein zweites Mal. Diesmal erwischte sie sein linkes Vorderbein, wovon er sich aber nicht aufhalten ließ. Wir rannten weiter. Ich schlug einen Haken und wechselte in Richtung des Eiszombies. Ich würde eine Ablenkung brauchen, damit ich selbst richtig anlegen konnte, ohne die Energie der Waffe mit zu vielen Fehlschüssen zu verschwenden. Vielleicht war ja unser widerstandsfähiger Freund inzwischen wieder auf den Beinen.
Ein dumpfer Schlag hinter mir schickte eine Vibrationswelle durch den Boden der Ebene, die meine Knie zittern ließ. Entweder hatte der Dino einen Sprung gemacht und war auf der Ärztin gelandet, oder – ich drehte mich im Laufen um – er war zu Boden gegangen. Er kreischte und versuchte vergeblich, wieder aufzustehen. Das getroffene Bein gab bei jedem Versuch nach und die Schnauze des Dinos bohrte sich immer wieder in die Erde. Seine klagenden Rufe waren herzerweichend, aber ich fand es nach kurzer Überlegung dann doch leicht, nur ein bisschen Mitleid mit ihm zu haben. Stattdessen zeigte ich Dr. Pfaff meinen nach oben ausgestreckten Daumen und setzte den Weg zum Eiszombie fort.
Der saß seelenruhig im Gras und genoss den Schein der künstlichen Sonne, während ein dünner Wasserfilm in seiner Haut versickerte. Bildete ich mir das nur ein oder sah er jetzt noch schlanker aus? Die Muskeln unter seiner blauen Haut traten nun deutlich hervor und jede Spur unnötigen Fetts, sollte sein Körper über so etwas überhaupt verfügen, war verschwunden.
"Geht es dir gut?", fragte ich.
"Ja. Ich sitze hier eigentlich nur rum, damit ich euch nicht gefährde. Mit dem Saurier seid ihr ja selbst fertig geworden." Sein Blick verriet es nicht, ob er nur die Auswirkung seines Flugs herunterspielen oder sich über uns lustig machen wollte.
"Hast du eine Idee, wie wir nach unten kommen?"
"Schieß doch ein Loch in den Boden", schlug er mit ernster Miene vor.
"Ist das dein Ernst?"
"Das ist vielleicht nicht die schlechteste Idee", pflichtete ihm die Ärztin bei. "Selbst mit Kletterausrüstung würde ich mich nicht in den Aufzugsschacht trauen. Ich bin mir sicher, dass er sich genau dann in Bewegung setzt, wenn wir hinunter klettern und uns in die Tiefe stürzt."
"Wir sind hier zwar in keinem Horrorfilm, aber der KI würde ich das zutrauen", stimmte ich zu. Die Alternative barg natürlich auch ihre Gefahren. "Was ist, wenn Klara genau an der Stelle steht, auf die ich schieße? Ich kann nicht durch Wände schauen, jemand von euch etwa?" Ich blickte die beiden herausfordernd an.
"Wie groß kann die Wahrscheinlichkeit schon sein, dass sie genau dort steht? Schau dir mal an, wie groß das Gebiet hier ist. Kannst du die andere Seite des Raums sehen? Überleg dir mal, wie klein das Mädchen ist. Außerdem haben wir keine Zeit. Wer weiß, wann dieses Trampeltier wieder auf die Beine kommt."
Ich ließ meinen Blick durch das Biotop schweifen. Es wirkte tatsächlich gigantisch, das konnte es aber nicht sein.
"Dir ist klar, dass die scheinbare Unendlichkeit dieses Raumes nur eine optische Täuschung ist?" Ich tippte gegen die Wand neben uns, an welche grüne Weiten projiziert waren. Aber sie hatte nicht ganz unrecht, der Raum war trotzdem groß. Doch ich hatte selbst keine bessere Idee. "Hoffentlich geht das gut", murmelte ich und richtete den Stanzer im 45°-Winkel auf den Boden vor mir.
Die Decke musste dick sein, damit sie solche Kreaturen tragen konnte. Da war es keine schlechte Idee, wenn wir langsam rutschen konnten und nicht fallen würden.
Das reißende, hochfrequente Geräusch, mit dem der Schuss den Boden durchschlug, weckte in mir Erinnerungen an meinen letzten Zahnarztbesuch. Erde, Gras und Metallspäne flogen mir entgegen und ich kniff die Augen zusammen. Nach einer Pause wiederholte sich das Geräusch schwächer in einiger Entfernung und dann ein drittes Mal, kaum noch hörbar. Falls es in den nächsten Etagen auch keinen Weg nach unten gegeben hatte, jetzt gab es ihn. Als sich Dreck und Staub wieder gelegt hatten, blickte ich in die Öffnung. Vergeblich, denn das Licht dieser Etage verlor sich irgendwo im Tunnel.
Ich schnallte den Rucksack ab und holte die Taschenlampe heraus. Der Lichtkegel erhellte den Tunnel und traf in einiger Entfernung auf den metallenen Boden der Etage unter uns. Es sah hoch aus. Ob das wirklich eine Alternative zum Aufzugsschacht war?
"Zu hoch?", fragte die Ärztin. Mein Gesicht schien Bände zu sprechen.
"Soll ich es testen?", fragte der Eiszombie. "Die Wahrscheinlichkeit ist niedrig, dass es mich umbringen würde."
"Bist du dir sicher?" Ich musterte seinen Körper.
Was würden die Würmer als Nächstes fressen, wenn er sich verletzte? Meiner Beobachtung nach brauchten sie viel Flüssigkeit, um vergleichsweise wenig Zellen zu regenerieren. Er zuckte nur mit den Schultern. Mein Blick wanderte weiter zum Dinosaurier, der sich durch die Erde schob, als wolle er ein Feld pflügen. Wir sollten bald einen Weg finden, bevor er wieder auf die Beine kam.
"Hallo?" Die Stimme klang hohl und hallend. Wo kam sie her? "Hier unten!"
Ich leuchtete in das Loch zu meinen Füßen. Hinunter in Klaras Gesicht, die schützend ihre Hände in den Weg des Lichtstrahls hielt.
"Hey, du blendest mich!"
Ich schaltete die Taschenlampe ab und kniete mich neben die Öffnung.
"Geht es dir gut?"
"Geht so. Ist dunkel bei uns. Der Onkel hier hat das Licht kaputtgemacht."
"Onkel? Hey, ich würde außerdem behaupten, dass ich dich gerettet habe."
Die Stimme kam mir bekannt vor. War das nicht der Soldat, den ich zum Fahrstuhldienst verdonnert hatte? Dann hatte der Befehlshaber wohl ihn losgeschickt, um den Tunnel zum Einsturz zu bringen.
"Wir versuchen, zu euch herunterzukommen, aber es ist zu hoch zum Springen. Der Aufzug funktioniert nicht und es gibt keine Rohre, die in eure Etage führen. Gibt es eine Stelle bei euch, die nicht so hoch ist?"
"Nein", antwortete der Soldat.
"Springt doch einfach auf einen Maulwurf!", rief Klara. "Die sind schön weich."
Das war eigentlich eine gute Idee. Die Maulwürfe waren riesig. Der Fall wurde durch das Fell abgefedert, an dem man sich beim Abstieg auch festklammern konnte. Falls die Maulwürfe das mitmachten.
"Kannst du noch mit ihnen reden, Klara?"
"Ja, jetzt geht das wieder."
Von unten war der Klang von Krallen auf Metall zu hören.
"Schau mal, die beiden stehen schon bereit für euch."
Ich leuchtete wieder in die Öffnung hinein. Unten standen tatsächlich zwei Maulwürfe Seite an Seite nebeneinander. Ich sicherte den Stanzer, krabbelte den schrägen Gang bis zu seinem Rand hinunter und spähte in die Tiefe.
So dicht aneinandergedrückt bildete sich zwischen ihren Rücken eine Kuhle. Ein wenig sah das wie ein Sprungtuch aus, nur mit Fell statt Stoff. Mir wurde bei dem Anblick flau im Magen und ich fragte mich, ob sich so Leute fühlten, die aus einem brennenden Haus springen sollten. Probeweise ließ ich meine Waffe auf die Maulwürfe fallen und sie überlebte. Ich schluckte meine Zweifel herunter, ob das so eine gute Idee war, und folgte meiner Waffe. Ich landete weich zwischen den beiden Tieren und krabbelte zum Stanzer hinüber. Das Fell war etwas verfilzt und Erdklumpen bröckelten heraus, wo immer ich hineingriff.
Als ich wieder auf dem Rücken des Maulwurfs saß, ging Bewegung durch seinen Körper.
"Hoppla!", rief ich und klammerte mich fest, bevor ich abstürzte.
"Keine Sorge, er legt sich nur hin, damit du leichter runterklettern kannst."
Aus dieser Position konnte ich problemlos auf den Boden der Ebene rutschen. Bonuspunkte, weil ich so auch den Großteil der übriggebliebenen Düngebrühe verlor. Dann kamen die Ärztin und der Eiszombie.
"Was ist das?", rief Klara und kniff ihre Augen zusammen. Die Maulwürfe erhoben sich, knurrten und scharrten mit ihren Krallen.
"Stop!" Ich hob beschwichtigend die Hände. "Er ist jetzt auf unserer Seite."
Nur zögerlich entspannte sich ihr Gesichtsausdruck, ihre Haltung und die der Maulwürfe.
"Auf unserer Seite? Sicher?" Der Soldat hatte seine Waffe auf den Eiszombie gerichtet.
"Ja, es ist kompliziert." Ich erklärte ihnen, was passiert war, wie sich die Fronten geändert hatten und dass wir nicht gekommen waren, um sie zu retten, sondern um das Schiff aufzuhalten. Es dauerte eine Weile, bis diese Informationen gesackt waren.
Mir fiel auf, dass es fast vollkommen dunkel auf dieser Ebene war. Allein das Loch in der Decke warf einen einzelnen dicken Lichtstrahl in den Raum, in dem Staubkörner einen gemächlichen Tanz vollführten.
"Was habt ihr eigentlich mit der Beleuchtung getan?", fragte ich Klara.
Stattdessen antwortete der Soldat. "Die Tiere haben uns angegriffen …"
"Ja, sie wollten einfach nicht mehr mit mir reden", rief Klara dazwischen.
"… also habe ich mit dieser Alien-Waffe, mit der ich eigentlich den Tunnel schließen sollte, auf eins geschossen. Ich hab dieses Ding davor nur ein einziges Mal zur Probe abgefeuert. Der Rückstoß war so stark, dass ich stattdessen die Wand getroffen habe."
Ich leuchtete die Wand ab. Der Soldat musste sich beim Abfeuern der Waffe gedreht haben, denn eine lange Furche zog sich durch die weiße Oberfläche. Das war der Bereich, an dem sich in den anderen Etagen die Lichtstrahlen bewegten.
"Danach ging das ganze Licht aus, die Maulwürfe hielten an …"
"… und ich konnte wieder mit ihnen reden", vollendete Klara den Satz.
"Bedeutet das, dass die KI keinen Zugriff auf diese Ebene hat?", fragte ich den Eiszombie.
"Wenn die Ebene nicht mehr mit Energie versorgt wird, ist das durchaus möglich."
"Müssen wir also nur die Wand erschießen, um vor dem Schiff sicher zu sein?", fragte ich. "Das bekomme ja sogar ich hin."
Dr. Pfaff starrte auf ihren Analysator, der einen flackernden Grundriss dieser Etage zeigte. "Solange ihr über die Fähigkeiten der KI philosophiert, suche ich einen Weg nach unten."
Bis sie einen Weg gefunden hatte, stand unser perfekter Plan, um die unterste Ebene zu erreichen und den Terraformer abzuschalten.
Jetzt konnte das Endspiel beginnen.