Ein eiskalter Schauer überfuhr mich, als mich freundlich lächelnd der Mann ansah und mir die Hand schüttelte.
Aus den tiefsten Ecken meines Bewusstseins sprudelten Erinnerungen nach oben. Dinge, die ich mit ausreichen Therapie in den letzten 10 Jahren verdrängt hatte.
Dabei war dies doch ein schönes Ereignis. Eine alte Schulfreundin würde heiraten.
Sein Zahnpastalächeln, was wirklich so aussah, als hätte er es aus einer Werbung für Mundhygiene in sein Gesicht gephotoshoppt, wirkte vordergründig ruhig und freundlich. Aber für mich war es mit anderen Bildern verbunden.
»Schön, dass du auch hier bist«, sagte er mit einem süßlichen Tonfall, der mir den Magen zusammen schnürte.
Knapp nickte ich und stammelte ein paar Worte, so sehr brachte mich seine Anwesenheit aus der Fassung. Aber dann war er schon wieder in der Masse der Menschen verschwunden und ich blieb allein zurück. In einem viel zu teuren Kleid, auf einem Probedinner, von dem ich am liebsten nur fliehen wollte.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meine verspannte Schulter und ein freundlich lächelndes Gesicht, schob sich auf mein verengtes Sichtfeld. Ein paar Atemzüge später, fühlte ich mich wieder normal und antwortete: »Schön die glückliche Braut zu sehen. Wie gehts dir?«
»Ich schwebe auf Wolke 7 oder gibt es noch eine höhere Station?«, sagte sie liebevoll und drückte mich kurz, bevor sie mein vermutlich kreidebleiches Gesicht musterte und meinte, »Ist bei dir auch alles okay?«
Mühsam versuchte ich zu überspielen, dass gerade alles ganz und gar nicht okay bei mir war und fragte: »Wer war der Mann, der mich gerade begrüßt hat?«
»Finger weg! Das ist mein künftiger Gatte«, sagte sie und wurde gefühlt im gleichen Moment von anderen Gästen weggelockt.
Wie als würde ich in einen unendlichen, dunklen Abgrund fallen, fühlte ich mich gerade und dachte nur noch an eines.
Schlagartig machte ich auf dem Absatz kehrt und rannte nach oben in mein Zimmer. Hastig zerrte ich einen Bogen Briefpapier hervor und schrieb in schnellen Schnörkeln einige Zeilen auf.
Würde sie mir glauben? Immerhin war der Name ein anderer. Aber er sah genauso aus, wie damals vor 10 Jahren. Vielleicht war das auch ein Teil seiner Masche. Ich wusste es nicht und wollte nur noch weg von hier. So weit und schnell ich konnte.
Hastig schnappte ich all meine Sachen und ging ins Badezimmer. War Flucht die richtige Entscheidung? Kurz musterte ich mein Gesicht. Jadegrüne Augen schauten meine opalweiße Haut an. Mund, Nase, Augen, Wangen und der Bereich, den ich nie ansah. Alles war, wie es schon so lange aussah.
Ich musste gehen. Schnell nahm ich alle Sachen und ging nach unten, bezahlte bereitwillig die ganze Nacht für das Zimmer, welches ich kaum eine Stunde benutzt hatte und zog den Brief aus meiner Manteltasche, worauf ich sagte: »Bitte geben Sie den hier Yvonne Lichter von der Hochzeitsgesellschaft. Ausschließlich ihr und niemand anderem.«
Die Rezeptionistin schaute mich verwirrt an, aber versicherte mir, dass sie das tun würden. Ich hoffte, es würde noch rechtzeitig passieren.
Wie ich es gelernt hatte, atmete ich einmal tief durch und wollte mein Gepäck schnappen. Doch da war er, wie ein Schatten tauchte der Mann, den ich als Leon Bauer kannte, auf und schaute mich aus eisblauen Augen an.
»Du wirst verschwinden und ihr nichts sagen. Das hier versaust du mir nicht. Oder brauchst du noch ein Souvenir von mir«, knurrte er halblaut, sodass niemand es hören konnte.
Ich fauchte: »Ich bin schon weg. Nichts würde mich dazu bringen, länger als nötig in deiner Nähe zu bleiben. Wie war es eigentlich im Knast?«
Er schubste mich grob weg und ohne ein weiteres Wort zu sagen, verschwand er wieder zurück in den Speisesaal, den sie für dieses Dinner heute gemietet hatten.
Mein Magen knurrte, als ich in den strömenden Regen nach draußen ging. Ein bestelltes Taxi rollte schnell näher. Aber dennoch musste ich mir mit dem Mantelärmel, das Wasser aus dem Gesicht reiben.
Die gezackte Narbe, welche meine linke Gesichtshälfte verunzierte, brannte heute etwas. Sein letztes Andenken an unsere gemeinsame Zeit. Als hätten die gebrochenen Rippen nicht gereicht. Er wollte unsere damalige Beziehung unbedingt mit einer zerbrochenen Flasche beenden.