"Gehst heut` weit raus?" Gerhard pult sich mit den wulstigen Fingern in den fauligen Zähnen herum und spuckt dann auf den Boden.
"Weiß nich`", sage ich achselzuckend und blinzle zum Himmel hoch. Er ist blau und wolkenlos.
"Du weißt ja, das Wetter kann so unberechenbar sein wie die Laune eines Weib`s."
"Ich werds mir merken. Jetz`muss ich aber los. Mal seh`n - ob ich heut`Glück hab`", antworte ich lächelnd und wende mich dann zu meinem Kutter. Mit einem Satz springe ich in die alte Wilma und steuere sie aus dem Hafen in Richtung Meer.
Ich suche mir einen geeigneten Platz, an dem ich schon öfter Glück hatte und werfe meine Netze aus. Dann mache ich es mir bequem auf einer der Kühlkisten, öffne eine Flasche Bier und schaue auf das offene Meer hinaus. Es ist friedlich und einsam. Ich atme die frische salzige Luft ein. Genau das mochte ich schon immer an dem Job. Die letzten Monate liefen leider nicht so gut und die Krabbenbestände wurden schon seit Jahren immer weniger. Keine Krabben, kein Geld. Kein Geld, keine Mitarbeiter. So einfach war das.
Es war wieder wie in den guten alten Zeiten. Ich allein auf meiner Wilma - gar nicht so übel, wenn ich`s mir recht überlege.
Nach einer Weile ziehe ich die Netze hoch. Ein paar Krabben habe ich tatsächlich gefangen. Leider sind es wesentlich weniger, als ich erhofft hatte.
Da fällt mir auf, dass in einem der Netze etwas merkwürdiges glänzt.
"Beim Klabautermann", entfährt es mir ungläubig. Ich reibe mir die Augen. Blinzle. "Ich muss träumen!" In einem der Netze starren mich zwei aquamarinblaue Augen an. Ein zartes Frauengesicht, umhüllt von Seetangfarbenem Haar blickt mir verwirrt entgegen. Noch einmal schließe ich meine Augen und klatsche mir ein paar Mal mit den Handflächen ins Gesicht. Vorsichtig öffne ich meine Lider wieder und - sie ist immer noch da. Ich renne auf die Frau zu. "Oh Gott, es tut mir so leid! Wie kommen sie denn überhaupt hier her? Ich befreie sie, warten sie einen Moment!" Ich hole ein Messer aus meiner Hosentasche und beginne damit das Netz aufzuschneiden. Erst da fällt mir der Fischschwanz auf, der anstelle ihrer Beine von ihrer Hüfte aus abwärts führt. Er hat dieselbe krebsrote Farbe, wie die Krabben. Die Frau öffnet ihren Mund, als wolle sie etwas sagen. Ich erschrecke so heftig, dass ich einige Schritte nach hinten mache. Dann wird es dunkel um mich.
Ich schnappe erschrocken nach Luft und setze mich auf. Dröhnende Kopfschmerzen hämmern mir gegen meine Schädeldecke. Ich reibe mir den Nacken. Die Sonne steht hoch oben am Himmel. Nur langsam bahnen sich die Erinnerungen ihren Weg in mein Bewusstsein.
Schnell stehe ich auf und laufe zu dem Netz in dem ich die Meerjungfrau gesehen habe. "Beim Klabautermann." Die Meerjungfrau ist weg - und alle Krabben mit ihr.
Verwirrt und ohne eine einzige Krabbe fahre ich zurück zum Hafen. Gerhard steht immer noch an seinem Boot, als hätte er auf mich gewartet. "Na - warst`e erfolgreich heut`?"
"Ne Meerjungfrau hat mir meinen Fang gestohlen", antworte ich.
"Sei froh, dass sie dir nur die Krabben geklaut hat. Freche kleine Biester sind das, diese Meerjungfrauen, da fällt mir `ne Geschichte ein..."