Gerhard fuhr heim. Gefühllos, emotionslos. Er stellte seinen Smart in eine winzige Parklücke und stieg aus. Er hatte erwartet, jetzt emotional zusammenzubrechen. Aber er er war nun völlig klar im Kopf. Er wusste nun auch, warum er neulich so heftig reagiert hatte, auf Silvias Kritik. Persönlichkeitsveränderung, Wutausbrüche... Da konnte man ja noch froh sein, dass er Silvia nur beleidigt hatte. Tausend Dinge gingen durch seinen Kopf. Er hatte jetzt die Wahl. Sollte er sich einfach umbringen, ohne ein Statement zu wagen? Silvia leiden lassen? Sie zurücklassen mit dem Gefühl, an seinem Selbstmord mitschuldig zu sein? Das wäre nicht fair gewesen! Sie war ihm eine klasse Partnerin gewesen, auch wenn sie ihn jetzt eiskalt im Regen stehen gelassen hatte. Er wusste genau, dass er es herausgefordert hatte, wenn auch, ohne es je gewollt zu haben...
Eigentlich war es jetzt sogar gut, dass sie sich von ihm getrennt hatte. Es würde ihr viel Leid ersparen. Sie wusste nichts von seinem Zustand und er konnte noch dafür Sorge tragen, dass ein Testament ihr sein Hab und Gut zusprach. Sie würde ohnehin nur versuchen, ihn davon abzuhalten, was für ihn fest stand. Freitod. Er würde nicht warten, bis er ihr womöglich in einem Anfall geistiger Umnachtung in irgend einer Weise weh tun würde oder sie gar in dem Glauben lassen, sie wäre Schuld an seinem Selbstmord. Er würde diese Welt verlassen, wenn alles geregelt war. Silvia sollte ihn als anständigen Mann in Erinnerung behalten. Er stieg wieder in sein Auto. Er fuhr zum Notar...
Silvia hatte sich übergeben. Sie war sich darüber im Klaren, was ein Schwangerschaftstest zeigen würde. Sie dachte zwar nicht im Traum daran, jetzt einfach zu Gerhard zurückzukehren, aber sie nahm die Blockade aus ihrem Handy. Sie würde das nächste mal abheben, wenn er anrief. Sie war ihm schuldig, ihm zu sagen, dass sie möglicherweise, ja sogar ziemlich sicher ein Kind von ihm erwartete...
Gerhard war sich das erste Mal sicher das Richtige zu tun. Er hatte nichts mehr zu verlieren und er hatte die Gelegenheit, Silvia zu zeigen, dass er sie wirklich geliebt hatte. Dass sie die Beziehung beendet hatte, was seine Liebe aber nicht töten konnte. Sie sollte wissen, dass er nie aufgehört hatte sie zu lieben und das wollte er ihr zeigen indem er ihr alles hinterließ. Er würde sie nicht mehr anrufen und er würde auch keine SMS mehr senden. Ihre Stimme hätte ihn in eine abgrundtiefe Traurigkeit geschickt, denn selbst, wenn sie ihm verziehen hätte... es war vorbei...
Silvia war überzeugt, es könne sich nur um ein paar Stunden handeln und sie würde Gerhard am Handy haben. Doch der Tag verging ereignislos. Kein Anruf! Also sprang sie gegen neunzehn Uhr über ihren Schatten und wählte seine Nummer. Gerhard hatte sich zehn Tage nichts sehnlicher gewünscht, als ein Gespräch mit seiner geliebten Silvia. Nun saß er in seiner Wohnung vor dem Ring und ihrem Wohnungsschlüssel und starrte auf sein Handy. "Silvia" stand auf dem Display. Er hatte nicht die Kraft, das Gespräch anzunehmen. Nicht mehr. Er hatte seine Entscheidung getroffen...