Michael hatte sofort gespürt, dass Silvie sich in seinen Armen entspannt hatte. Aber es war nicht die Entspannung der gerade durchlebten Situation gewesen oder zumindest nicht nur. Er hatte den Eindruck, dass sie selbst überrascht gewesen war. Als er sie in seine Umarmung zog, war sie drauf und dran gewesen, sich zu wehren, doch nach ein paar Sekunden war es, als hätte er sie aus einem Dornröschenschlaf geweckt. Sie schien eine sehr geradlinige, disziplinierte Person zu sein, die sich jede Schwäche verbat! Vielleicht hatte sie es als Schwäche betrachtet, sich von ihm trösten zu lassen. Als sie sich dann an ihm festhielt und ihn nicht mehr loslassen wollte, wusste er, dass er ihr Vertrauen gewonnen hatte. Diese hübsche junge Frau hatte ihn beeindruckt. Und der Junge gefiel ihm besonders. Michael war überzeugt davon, dass sie wirklich eine gute Mutter war. So wie sie es gesagt hatte. Allein ihre Verzweiflung darüber, ihren Sohn in Gefahr gebracht zu haben, sagte aus, dass sie ihn normalerweise gut behütete. Er lenkte seinen Sportwagen zur Einsatzzentrale der Wasserrettung. Er kannte die meisten von ihnen von Besuchen im Seestüberl, wo er oft anlegte. Die Freizeitkapitäne waren alle per Du und es hatten sich einige nette Freundschaften entwickelt. Josef kam aus der Tür. "Wir haben schon auf dich gewartet, Michael! Komm rein!" Nachdem man kaum mehr mit einem Einsatz rechnen musste, tranken die Wasserretter mit ihm ein Bier und unterhielten sich über die jüngsten Ereignisse. "Eine hübsche Maus war das, die du dir da heute geangelt hast." - "Ja sehr! Aber das allein ist es nicht. Sie hat etwas an sich... in ihrer Art, in ihrem Verhalten, das mir gefällt." - "Michael, dich hat's erwischt, oder?" - "Dazu kann ich jetzt gar nichts sagen, Josef. Da bin ich mir selbst noch nicht klar drüber. Aber doch... mit den beiden könnt ich mir was vorstellen. Der Junge ist nämlich auch süß."
Da Michael noch fahren musste, beließ man es bei einem Bier. Er verabschiedete sich und trat den Heimweg an. Er hatte noch ein ganzes Stück zu fahren. Zu Hause angekommen, ging er erst mal zum Kühlschrank. Er hatte wieder nicht eingekauft. "Du lernst es nie, Michael!" sagte er halblaut. Er spielte mit dem Gedanken, schlafen zu gehen, aber er war noch zu aufgekratzt...
Silvia war auf schnellstem Weg heim gefahren. Sie hatte ihren schlafenden Tommy in die Wohnung getragen und ins Bett gebracht. Sie saß auf der Couch und kam nicht zur Ruhe. Sie hatte seit Gerhards Tod, oder aber seit der Trennung von ihm, nie mehr daran gedacht sich zu binden. Sie hatte ihre eigene kleine Welt für Tommy und sich erschaffen. An einen Mann hatte sie lange nicht mehr gedacht. Zwar wurde sie beinahe täglich angeflirtet, aber das war ihr meist eher lästig, als angenehm. Nun saß sie da und dachte an Michael. Wie lieb er mit Tommy umgegangen war und ... mit ihr. Ja, er war auch zu ihr lieb und verständnisvoll gewesen. Zum X-ten Mal vergewisserte sie sich, die Visitenkarte auch nicht verloren zu haben. Sie nahm ihr Handy zur Hand, um die Nummer einzuspeichern. Nein, sie würde ihn nicht heute schon anrufen! Wie sähe das denn aus? Außerdem war es schon spät... Aber eine SMS mit einem "Gute Nacht?" War das aufdringlich? Nein! Oder doch?...
Michaels Handy meldete den Eingang einer SMS. Er grinste. Er wusste sofort, woher die kam. "Gute Nacht, Michael!" Er schrieb zurück: "Kannst du nicht einschlafen, Silvie?" Nur Sekunden vergingen. "Nein! Muss denken..." Michael tippte. "Woran denkst du?" Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: "AN DICH!"
"Ja bin ich denn eine Vierzehnjährige?" Silvia erkannte sich nicht wieder. Hatte sie sich denn gar nicht mehr im Griff. "AN DICH!" zu schreiben und das auch noch groß! In Blockschrift! "Wo bleibt dein Stolz, Silvia Weber?" Sie musste sich eingestehen, dass sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. In einen Mann, den sie noch keine acht Stunden kannte. Ihr Handy piepte. Wie eine Süchtige, "öffnete" sie die Nachricht. "Ich hatte schon Angst, du seist zu stolz, mir das zu sagen... Aber, um ehrlich zu sein, ich denke auch an dich, Silvie! Korrigiere: An EUCH! Gute Nacht, meine Hübsche! Träum süß!"
Silvias Herzschlag beschleunigte! Er schien sie sehr gut einschätzen zu können. Und vor allen Dingen: Er war offenbar auch sehr angetan von ihr...und von ihrem Sohn. Sie tippte neuerlich: Wovon wirst du träumen, mein Prinz?" Ob er noch mal antworten würde? "Von dir, mein Engel! Ich werde heute Nacht auf deinen Schwingen schlafen..."