Lorian
Es war mal wieder so typisch. Da wird alles vorbereitet. Ich mache und tue. Ich reiße mir förmlich die Beine raus. Und wer ist nicht da? Lorian. Nur wo trieb er sich wieder herum? Es war ja immer das gleiche mit ihm. Er war immer voller Enthusiasmus, um dann umso stärker in seinen Bemühungen nachzulassen. Zu allem Überfluss fand er dann auch noch zielsicher jede Schwierigkeit und jeglichen Ärger, den die Götter haben werden lassen.
Ich erinnerte mich an das letzte Frühlingsfest, als er die glorreiche Idee hatte, einen schwunghaften Handel mit allerlei Devotionalien beginnen zu wollen. Natürlich nannte er das eine todsichere Sache, die selbstverständlich eine erkleckliche Summe Geldes einbringen sollte. Die Betonung liegt auf 'sollte'. Lorian war selbstredend in just genau diesem unerfreulichen Moment spurlos verschwunden, als der wütende Pöbel den Verkaufsstand stürmte und mich unter lautem Geschrei aus selbigen und hernach vor den Kadi zerrte. Zum Glück ist Ashaan, einer meiner anderen Freunde, ein vortrefflicher Advokat und noch besserer Redner, so dass er mich vor einem schlimmeren Schicksal bewahren konnte. Nun denn, dies ist gewiss eine andere Geschichte wert.
Wo war ich? Ach ja, Lorian und die Feierlichkeiten zum 1. Mai. In der vergangenen Nacht brannten auf den Hügel die Feuer und die jungen Pärchen tanzten ausgelassen, um nicht zu sagen recht wild um die Feuer. Einigen wagten sogar den gemeinsamen Sprung über die lodernden Flammen, da dies besonders viel Glück für das kommende Jahr verhieß. Noch im Laufe der Nacht wurde vielerorts die Hochzeit mit dem Land gefeiert, ein alter Brauch, der bedauerlicherweise langsam in Vergessenheit geriet. Nun denn Lorian hätte sich gerne an dem ausgelassenen Treiber an den heiligen Feuern beteiligt, was aber an seinen fehlenden Tanzkünsten scheiterte. Diese Tatsache schmerzte ihn weitaus weniger als der Umstand, dass die holde Weiblichkeit nun nicht gerade mit ihm gesehen werden wollte. Er konnte so gar nicht verstehen, woran das liegen könnte. Sowohl Ashaan als auch ich wussten natürlich um den eigentlichen Grund, aber es war überaus müßig, es Lorian erklären zu wollen.
Nun denn, es war alles vorbereitet und eigentlich wollte wir los. Nur Lorian war noch nicht eingetroffen, obwohl die Zeit schon längst vorangeschritten war. Ob wir schon einfach gehen sollten? Ashaan zuckte mit den Schultern, da er sich auch keinen Rat wusste. So nahmen wir unseren Proviant und luden ihn auf den kleinen Karren und schirrten Buffo, den großen gutmütigen Hütehund, an. Ihm gefiel es außerordentlich, wenn er einen Wagen ziehen durfte. Dann machten wir uns auf den Weg und hofften, dass Lorian uns schon irgendwie fände.
Just als wir das kleine Wäldchen erreichten, hörten wir hinter uns einen lauten Tumult. Erstaunt schauten wir uns um, und erblickten Lorian, der den Weg entlang rannte, als wenn der Leibhaftige hinter ihm her wäre. Nun dieser war es nicht, dafür aber ein scheltender Pöbel mit Mistgabeln, Sensen und anderem Feldgerät. Was hatte Lorian nun wieder angestellt, dass er das Bauernvolk derart gegen sich aufgebrachte? Wir entschieden, dass dies Zeit bis später hatte und die Rettung unseres Freundes eindeutig vorrangig war. Geschwind lupfte Ashaan die Plane, die unseren Proviant schützte und hieß Lorian sich auf den Wagen kauern, dann schlug er die Plane zurück. Zum Glück waren wir gerade an einer dichten Hecke, so dass der aufgebrachte Pöbel den Wagen nicht sehen konnte. Buffo freute sich über das zusätzliche Gewicht und zog den Wagen voller Stolz. Dann war der Lynchmob bei uns angelangt.
„Wo ist der Wicht?“ Rief einer der Bauern mit hochrotem Kopf.
Ashaan schaute erstaunt, er war wirklich sehr gut darin, unbeteiligt und erstaunt zu blicken.
„Ihr guten Leute, was ist nur passiert?“ Sprach er sie an. „Ihr kennt mich, ich bin der Advokat Ashaan.“ Er lächelte, wie er es immer tat, wenn er bei Gericht war.
„Dieser Lump, Lorian“, weiter kam der Bauer nicht.
„Soso, Lorian“, unterbracht ihn Ashaan, „ich sehe ihn hier nicht.“ Demonstrativ schaute er sich um. „Er ist auch nicht an uns vorbeigelaufen.“
Die Bauern sahen sich irritiert an und schienen zu überlegen, was sie nun tun sollten. Dann rannten sie zeternd zurück, um an der Kreuzung den anderen Weg zu nehmen, da Lorian ihn wohl genommen haben musste. Auch wir setzten unseren Marsch wieder fort. Langsam wurde der Tumult immer leiser, bis er nicht mehr zu hören war. Als nur noch das Zwitschern der Vögel und Zirpen der Grillen zu vernehmen war, befreiten wir Lorian aus der misslichen Lage, dass er uns, obwohl vor dem Lynchmob gerettet, nicht doch noch zu allem Überfluss erstickte. Schnaubend und prustend kam er hervor.
Ashaan starrte ihn an, wie er es immer dann tat, wenn er die wirkliche Wahrheit wissen wollte. Lorian kratzte sich am Kopf und grinste verlegen, so als wenn er genau wüsste, dass er es nun eindeutig übertrieben hatte.
„Danke, dass du für mich gelogen hast“, sagte er schließlich leise.
„Ich lüge niemals“, widersprach ihm Ashaan. Lorian glotze ihn nur verständnislos an.
„Aber“, stammelte er, „gerade...“
„Habe ich eine Variante der Wahrheit bedient“, fuhr Ashaan schulmeisterlich fort.
„Unter der Plane warst du nicht zu sehen und du bist auch nicht an uns vorbeigelaufen. Die falschen Schlüsse wurden von dem einfältigen Pack gezogen. Und?“ Ashaans Stimme wurde ungewohnt scharf. „Was hat die Bauern so aufgebracht? Bist du etwa ein Hühnerdieb? Hast du einer ihrer Töchter angefasst? Oder?“
Die schweigende Pause schien schier endlos zu sein.
„Ich habe versucht, ein Luftschloss zu verkaufen“, erklärte Lorian schließlich recht kleinlaut.
„Ein Luftschloss?“ Fragte ich ungläubig. „Dafür haben sie dir etwa Geld gegeben?“ Wenn es gerade nicht um Leben und Tod gegangen wäre, hätte ich mich vor Lachen ausschütteln können.
„Aber so weit kamen wir ja gar nicht“, versuchte sich der vermeintliche Schlossverkäufer mit weinerlicher Stimme zu verteidigen.
Ashaans Miene hellte sich auf, er war wieder ganz der Advokat.
„So ist keiner zu Schaden gekommen? Dann könnten wir es als Scherz deklarieren. Und falls die Genarrten nicht darauf eingehen wollen, so könnten wir ihnen unsererseits mit einem Verfahren wegen Bedrohung oder so dräuen.“ Er war ganz in seinem Element und er schien wieder versöhnt zu sein.