Aschenmeer
Im vollkommenen Schein ihrer Majestät begann die Sonne ihre führende Rolle am Himmelszelt an den silbrig glänzenden Mond abzugeben und ließ dabei mit ihren tief roten Strahlen den, sich in alle Ewigkeiten erstreckenden, Sand so erscheinen, als würde er aus seinem tiefsten Inneren heraus glühen. Schickte ein letztes Aufwallen des Lebens durch sein Angesicht, bevor die Dunkelheit der Nacht sein Feuer zum Erlöschen zwang.
Das abendliche Spektakel im Monat des Feuers, der nur aus diesem heraus seine ehrenvolle Bezeichnung seit Anbeginn der Glanzesjahre hatte tragen dürfen, ließ nicht nur den, niemals enden zu scheinenden, Wüstensand in seinem Inneren ein Flammeninferno entfachen, sondern machte auch die Stadtmauern der drittmächtigsten Stadt des Kaiserreiches zum Sklaven dieses Phänomens. Sobald die Sonne in den Abendstunden wieder Teil der Wüste wurde, aus der sich am Morgen erhoben hatte, ließ der glühenden Glanz ihrer letzten Strahlen die aus Sandstein gefertigten Mauern umso mehr wie die einer Festung erscheinen, die sich, stetig über ihre Untertanen wachend, in Mitten der Sommernachtswüsten erhob. Mit der einen Hand das Schwert gegen die Feinde schwingend, die andere schützend über jene, die ihr friedlich gesinnt waren, zu einem Käfig formend. Einst, zur Zeit der dunklen Bürgerkriege, die den Schein der Glanzesjahre vor langer Zeit getrübt hatten, sollen die von Blut befleckten Mauern in einer solchen Intensität im Schein der untergehenden Sonne geglüht haben, dass manch einer fürchtete, sich an ihnen verbrennen zu können. Doch so schnell das Aufflammen des Schlachtfeldes, in das sich die Weiten der Mitternachtswüsten in der damaligen Zeit verwandelt hatten, gekommen war, um einen Moment des Innehaltens zu gebieten, umso schneller war es wieder verschwunden und warf all jene, ohne jegliche Rücksicht auf den Menschen selbst, die es nicht rechtezeitig in die schützenden Mauern der Stadt hatten schaffen können, der kalten, totbringenden Dunkelheit zum Fraße vor.
Der Tod kam in einer Vielzahl von Fassetten über die Mitternachtswüsten. Am Tag entzogen die flimmernde Hitze und das erbarmungslose Brennen der Sonne dem leichtsinnigen Wanderer all seine Lebensenergie, ließen ihn eingehen, vertrocknen, ausbrennen, in der Einsamkeit der unendlichen Weiten. In der Nacht fand dann die Kälte ihren Einzug, wo noch nur wenige Hände voll Minuten zuvor ein jeder nach Schatten geächzt hatte. Gefolgt war die Kälte von den Kreaturen der Nacht, unsichtbar in der undurchdringlichen Dunkelheit. Menschenähnliche Gestalten, wie die Legenden berichteten, Wanderer, deren in einem tiefen Violett glänzenden Augen man erst dann erkennen konnte, sobald ihre knöchernen, eiskalten Finger sich bereits um den eigenen Hals geschlossen hatten.
In Anmut und Faszination ließ Luís ihren Blick über den tiefrot glühenden Sand unter sich schweifen, die Hände in etwas, das an Ehrfurcht grenzte, von der Kante der rund 27 Fuß hohen Sandsteinmauer entfernend, auf der sie ihren abendlichen Wachdienst vor nur einer knappen Stunde angetreten hatte. Das erste Mal in ihrem Leben kam sie zu dem Genuss, das beeindruckende Spektakel der Abendstunden von einer solch hochgelegenen Position aus betrachten zu können.
Nach einigen Momenten des bloßen Staunens berührte das Mädchen vorsichtig, beinahe schon ein wenig ängstlich im Anblick der Schönheit, welche die Sonnengöttin ihnen im Monat des Feuers gnädig genug war zu schenken, die Mauerzinne schräg rechts von ihr. Legte zunächst bloß die Spitze ihres Zeigefingers auf den, wie heißes Metall glühenden, Stein, testend, ob es sich noch immer um die Mauer handelte, die sie zu berühren gewohnt war, bevor sie sanft mit ihrer Fingerkuppe darüber strich und schließlich beide Hände an die Mauerkante legte, um sich nach vorn zu beugen und das Untergehen der Sonne mit der Begeisterung eines kleines Kindes bei der Geschenkverteilung am Jahrestag der Monarchie gänzlich zu betrachten.
Erinnerungen lang vergangener Tage erfüllten sie. Die warme, von der harten Arbeit, die er verrichtete, stets leicht raue Hand ihres Vaters fest und schützend geschlungen um die kleine, zarte ihrer selbst. Hand in Hand hatten sie am Tor der Stadtmauer gestanden, eine sachte Briese hatte in ihren schwarzen Haaren gespielt, die den Sand von den Dünen hinuntertrug bis zum Fuße der Stadt.
„Das sieht aus, als würde der Sand brennen!“, hatte sie gerufen, beindruckt von den Gewalten der Natur. Hatte mit ihren blass braunen, schon beinahe grauen Augen fasziniert zu der großen, vertrauten Figur direkt an ihrer Seite heraufgesehen.
„Die Sonnengöttin sorgt einige Tage Jahr dafür, um der Kaiserin ihren Respekt zu erweisen“, hatte er erwidert, seine Stimme erstaunlich fest und einladend, ihr Vertrauen zu schenken, für die Lüge die er soeben über seine Lippen gebracht hatte. Ein kurzer Blick der Verwunderung, Irritation ihrerseits hatte auf diese unerwartete Antwort ihres Vaters gefolgt, aber dann hatte sie in der Unschuld eines jenen Kindes, das sie einst gewesen war, gelacht und genickt, als hätte man ihr ermöglicht, die Bestimmung der Welt für sich zu entdecken.
„Wie kann ich der Kaiserin Respekt zeigen?“, hatte sie darauf mit nicht weniger Überzeugungskraft gefragt, als ihr Vater es ihr als Beispiel eines einwandfreien Lügners schon eine Hand voll Jahre gelehrt hatte.
Und nun begann ihr sanftes, wehmütiges Lächeln zu verblassen, wie auch der unendliche Sand zu ihren Füßen langsam die Macht seiner Glut zu verlieren begann, und ein kleiner, aber von tödlichem Gift getränkter, Dorn bohrte sich langsam in ihr Fleisch. Doch würde er keinen Schaden mehr anrichten können in ihrem Herz, das, für einen kurzen Augenblick von der Erinnerung zum Leben erweckt, wieder zu kaltem Gestein erstarrte und einen kalten, aber schützenden Mantel um das legte, was vom dem einstig so naiven Kind noch zurückgeblieben war. Um massiven Stein zu vernichten, brauchte es mehr als bloßes Gift.
So trat sie von der, nun mehr schwarzen als glühenden, Mauer zurück, über die vom Licht der Fackeln ins Leben gerufene, schemenhafte Schatten wie Dämonen tanzten, und wagte einen kurzes Blick in den tiefdunklen Himmel über ihr. Nur durchbrochen war die Schwärze vom hoffnungsvollen Funkeln längst verstorbener Sterne und der schmalen Mondsichel, die wie ihr aller Hüter schien, so wie sie dort oben am Himmel prangte. Und ihr Blick wurde fest, voller Entschlossenheit lagen ihre Züge, als sie stumm eine Botschaft an das Himmelszelt sendete. „Es wird bald soweit sein“, sprachen ihre Gedanken zum Mond und zu den Sternen. „Wir werden bald die Kaiserin gestürzt haben. Sorge dich nicht; Wir werden alle gemeinsam das vollenden, wofür die dein Leben gelassen hast, Vater. Bald wird es kein Kaiserreich mehr geben.“
[Nachwort: Diese Kurzgeschichte ist nicht Teil eines größeren Unviersums oder Fandoms. Ggf können Einflüsse mehrere Serien, Bücher und/oder Computerspiele zu erkennen sein, allerdings handelt es sich um eine komplett eigenständige Kurzgeschichte, auch wenn es manchmal so wirken mag, als wäre sie Teil etwas Größeren. Ein umfassenderes Bild der Welt, in der sie spielt, existiert zwar in meinem Kopf, allerdings habe ich zur Zeit nicht vor, ein größeres Projekt daraus zu entwickeln.]