"Warum seid ihr eigentlich noch immer da?", Pyrofera schleuderte ihre Stiefel in eine Ecke neben der Haustür und blickte in die versammelte Runde. Sie hatte Besuch im Schlepptau und stellte gerade fest, dass der andere Besuch noch nicht abgereist war.
Die Zwillinge Sessy und Sassy hockten zusammen mit den Mädchen und Finn in munterer Runde. Nur der Dämon und Shanora waren nicht zu sehen. Selbst Mari saß bei ihnen, was Pyrofera Gänsehaut verschaffte. Dieses Mädchen sah so gar nicht mehr aus wie ein Kind. Ihr grünes Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten, berührte beinahe den Boden, wenn sie stand und leuchtete im Kontrast zu dem blauen Kleid, das sie trug.
Schuldbewusst blickte Sessy zu Pyrofera auf und rang sich ein verlegenes Lächeln ab. "Nun... Papa sagte, wir sollen noch bleiben und er würde selbst kommen, um uns abzuholen. Er müsse sowieso nach Elensar", erklärte sie und beäugte die Männer, die mit Pyrofera gekommen waren. Hinter ihr standen Odysseus mit seinem Schüler, den sie ein wenig länger betrachtete und Loki, der sich lässig an die Wand lehnte und zu der Bande sah. "Irr ich mich, oder riecht es hier nach Rauch? Habt ihr gekokelt oder was?", grinste er breit und seine grünen Augen funkelten. Er ließ den Blick über jeden Einzelnen von ihnen wandern. Auch, wenn er in der Stimmung war, etwas in die Luft zu jagen oder jemanden in Einzelteile zu zerlegen, um sein Gemüt abzukühlen, das erbost war über den Tod seines Bruders, so überspielte er alles mit seinem schelmischen Lächeln. Da waren sie also, die Kinder von Ladira und dem dunklen König. Er stieß sich von der Wand ab und ging näher an sie heran.
Vor Celles blieb er stehen, die Hände in den Hosentaschen: "Ah, wenigstens ein Rotschopf unter euch. Bist du so feurig wie deine Haare?"
Celles errötete ohne, dass sie es eigentlich wollte und versuchte dem durchdringenden Blick auszuweichen. "Ich...", nuschelte sie und kam nicht weiter, denn Pyrofera beantwortete die Frage für sie: "Sie hat ein Talent für Wasser. Kein besonders ausgeprägtes, aber zumindest etwas."
"Tante...", Celles ließ den Kopf sinken.
"Nicht besonders ausgeprägt?", Loki schien verdutzt zu sein, "Ich dachte die Kleine ist die Tochter des Dunklen? Dann müsste sie doch sehr mächtig sein."
"Nun offenbar besteht ihr Talent in anderen Dingen, aber die Elementarbeherrschung schaffen eher unsere Vanessa und Mari."
"Ah", Loki richtete sich auf und ließ den Blick über Mari schweifen, "Interessant. Bei dir merkt man es gut. Du riechst wie Erde. Wie alt bist du?"
"Ich weiß es nicht. Entschuldigt mich bitte", erwiderte die Angesprochene und erhob sich in fließender Bewegung, um den Raum zu verlassen und die Treppe hinaufzugehen in ihr Zimmer.
Pyrofera ließ sich auf der Couch nieder. Die Jugend hatte es sich ja auf dem Boden mit Kissen gemütlich gemacht. Odysseus setzte sich zu ihr und schmunzelte amüsiert. "Es ist nicht so leicht, so viele Schafe allein zu hüten, nicht wahr? Aber dafür sind wir ja mitgekommen. Ein bisschen Unterricht und Training und Ihr konzentriert Euch darauf, dass Ihr Euch wieder im Rat zurecht findet und diesem Taurnil nicht allzu viel Macht überlasst. Ihr seid die Hüterin des Waldes und in dieser Funktion habt Ihr großen Einfluss, denn die Monster und Geister, die es hier zu entfesseln gibt, die könnten großen Schaden anrichten. Ein Glück, dass der dunkle König nie einen Fuß auf diese Insel setzen könnte. Er ist zu verdorben dafür."
"Gilt das dann nicht auch für seine Kinder? Und bitte, Odysseus, lass uns Du sagen. Ich werde noch wahnsinnig, wenn ich mit allen hier normal rede und mit Loki und dann bei dir ..."
"Alles gut. Dann, Pyrofera, nutzen wir ungezwungene Umgangsformen", er zwinkerte ihr zu, "Ach ja, bevor ihr weiterhin verwirrt seid. Mein Name ist Odysseus. Zwei von euch sollten mich ja kennen, oder Sessy und Sassy?", er lächelte ihnen zu, "Euer Vater hat mich mit euch und eurem Bruder zusammen besucht, falls ihr euch noch erinnern könnt. Ist ja schon eine ganze Weile her. Das ist übrigens mein Schüler, Orestes. Er stammt aus Griechenland und der Schalk da drüben ist Loki, Odins Bruder. Es tut mir leid, zu hören, dass er nicht mehr unter uns weilt, aber wir sollten uns wohl um das kümmern, was wir greifen können. Doch eine Frage noch, Pyrofera, wer ist der Junge hier? Ist das dein Sohn?"
"Oh... Ähh...", Pyrofera biss sich auf die Unterlippe. Es war vor dem Rat geheimgehalten worden, dass die Prinzessin und der Prinz von Elensar sich bei ihnen aufhielten, als einzige Überlebende des Unglücks. Nur Zephyr und Odin wussten davon und von diesen war der eine in Ägypten und der andere tot.
"Ich bin Finn Parallelstoback", erklärte der blonde Junge und reichte Odysseus die Hand, "Ladira hat mich adoptiert."
"Parallelstoback? Bist du ein Spross der weißen Königin?", Odysseus drückte die Hand des Teenagers und betrachtete ihn eingehend, "Du hast die Augen der Königin... Türkis."
Pyrofera blickte Finn an und dieser erwiderte den Augenkontakt kurz. Er hatte nicht gesagt, dass er eine Schwester hatte und seinem Blick konnte sie entnehmen, dass er dies auch nicht beabsichtigte. Sie nickte kaum merklich und wandte sich an Odysseus und Loki für eine kurze Erklärung: "Wir fanden ihn am Strand, am Tag des Unglücks. Ladira nahm ihn bei uns auf und wir zogen ihn zusammen mit den Mädchen groß, die ja im gleichen Alter sind. Da er ein Junge ist und der weiße Thron sowieso nur von Frauen besetzt werden kann, dachten wir uns, machen wir keine große Sache daraus. Es ist auch so schon kompliziert genug und hier kann er ein halbwegs normales Leben führen."
Loki nickte und ließ sich auf ein freies Kissen am Boden fallen, lehnte sich vor, um Finn zu betrachten. "Aber du hast Potential, Junge. Potential für was Großes. Sag, was treibst du so?"
"Er baut Müll", Saphira erhob erstmals das Wort. Ihre Hände lagen um eine Tasse Tee und sie war sichtlich unbegeistert von all den Besuchern, "Tante Pyrofera, was genau wollen die uns lernen? Sollten wir nicht warten, bis Mutter wieder da ist oder, noch besser, sie suchen gehen? Wir sind alt genug, um in die Außenwelt zu gehen!"
"Nein, das halte ich für keine gute Idee. Euer Vater war bei der Ratsversammlung dabei und Taurnil Mondenschein wurde zum neuen Vorsitz gewählt. Ich brauche euch hier, für alle Fälle, denn sie wollen, dass die Flüchtigen wieder zurück in die Lande des Dunklen geführt werden."
"Gilt das dann auch für mich?", Vanessas Wangen waren blass geworden. Sie hatte Angst wieder zurück zu müssen, "Ich will nicht mehr an diesen Ort!"
"Du bist hier sicher und eine Waise. Sie werden die wohl kaum zurückschicken wollen... Obwohl ich ihm alles zutraue, aber niemand sucht nach dir oder wird explizit fragen. Wir haben dich in die Familie aufgenommen und du trägst Ladiras Namen. Solange sie lebt, so lange bist du für den Dunklen unantastbar."
"Gut. Ich möchte nämlich auch nicht..."
Ein Schrei war von draußen zu hören. Sofort war Pyrofera auf den Beinen und stürmte zur Haustür, riss diese auf und erstarrte.
Vor dem Tor des Zaunes, das das Anwesen des Landhauses mit einer magischen Barriere umgab und vom Wald der 1000 Gefahren abschirmte, stand Taurnil Mondenschein. Sein Gewand war am Saum zerrissen und er presste sich mit dem Rücken gegen den Zaun, der sich ihm nicht öffnete. Das Gesicht kalkweiß, blickte er hilfesuchend über die Schulter zu ihnen. Vor ihm hatte sich ein gigantisches Wesen mit zotteligem Fell aufgebaut. Das aufgerissene Maul wies zwei Reihen scharfer Zähne auf, Geifer tropfte aus dem Maul und versengte den Boden wie Säure. Ein einzelnes Auge in der Mitte des Kopfes hatte den neuen Vorsitz fixiert.
"Oh.", Pyrofera löste sich aus ihrer Starre und eilte zum Zaun, "Weg da! Nein, du darfst ihn nicht essen! Verflucht noch eins, hau ab! Taurnil, was wollt Ihr hier?! Es ist gefährlich für Fremde die Insel zu betreten! Heißt ja nicht umsonst Wald der 1000 Gefahren, oder dachtet Ihr, das sei nur ein dummer Scherz?!"
"Halt keine langen Reden und mach das Ding da weg!", keuchte Taurnil und drängte sich so eng an die Barriere, dass er das Knistern deren Magie durch seinen Körper fließen spürte.
"Nicht!", rief Celles, doch es war zu spät. Der Ratsherr wurde mit einem Schlag von der Barriere fortgestoßen und klatschte gegen den Kopf des Monsters vor ihm, bevor er zu Boden ging.
"Was kann der eigentlich?", murmelte Pyrofera und trat durch die Barriere hinaus in den Wald, "Hau ab, Verschlinger, hau ab!" Sie näherte sich dem Wesen, das begonnen hatte, den Ratsherrn zu beschnüffeln und eine gespaltene Zunge aus dem Maul schießen ließ, um ihn damit einzuwickeln. Er schien in den Augen des Verschlingers einen guten Imbiss abzugeben.
"Nein, den darfst du nicht essen. Auch, wenn es toll wäre...", Pyrofera streckte die Hand aus und berührte das Fell des Verschlingers, streichelte darüber, "Lass ihn los. Such woanders nach Essen, aber der hier ist ein Besucher. Den brauchen wir lebend und in einem Stück."
Mit einem gurgelnden Laut ließ der Verschlinger von Taurnil ab. Das Auge zuckte zu Pyrofera und schloss sich halb, bevor er sich umwandte und in den Wald trottete.
Pyrofera packte Taurnil am Arm, um ihn auf die Beine zu ziehen und durch die Barriere mitzunehmen. "Warum seid Ihr hier? Seid Ihr lebensmüde oder einfach nur bescheuert?", fauchte sie ihn an, "Wollt Ihr Eure Tochter so dringend wiedersehen, dass Ihr mal eben vergesst, warum keiner ohne Begleitschutz diesen Ort betreten sollte?"
Taurnil klopfte den Staub von seiner Robe. Verärgert betrachtete er den zerrissenen Saum und die Tatsache, dass er im Geifer gelandet war, der ein paar hübsche Löcher in den feinen Stoff gefressen hatte.
"Natürlich will ich meine Tochter sehen! Wo ist sie? Wo ist Marishka?", forderte er zu wissen, kaum, dass er seine Fassung wiedergefunden hatte, "Und rede nicht so mit mir, Pyrofera!"
"Ich bin die amtierende Hüterin dieses Waldes und Ihr befindet Euch hier in MEINEM Revier, Taurnil, ist das klar? Ich kann den Verschlinger auch zurückrufen, wenn Euch das lieber ist!", Pyroferas Gesicht glühte vor Zorn und ihre Stimme gellte durch den Garten des Landhauses.
Loki lachte belustigt auf. Er verfolgte das Geschehen zusammen mit den Mädchen und Finn, der sich bedeckt hielt, von der Haustür aus. Odysseus warf ihm einen warnenden Blick zu, doch den ignorierte er gefliesentlich. Zu lustig war es, zu sehen, wie dieser Gelackmeierte einmal Dreck auf seiner Kleidung hatte und um seine Würde und Fassung kämpfte, während ihn eine Frau, die kleiner war als er, zusammenbrüllte.
"Was willst du von mir, Vater?", Maris Stimme ließ, wie so üblich, alle zusammenfahren. Keiner hatte wirklich mitbekommen, woher sie gekommen war, doch hier stand sie, die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen auf Taurnil gerichtet, der sich zu ihr umdrehte, die Arme ausbreitete und auflachte.
"Liebste Tochter", sagte er mit strahlendem Lächeln, "Du lebst! Ich kann es gar nicht glauben! Ein Wunder! Aber warum verbringst du deine Zeit hier, bei diesen Leuten? Komm nach Hause. Deine neue Stiefmutter freut sich schon darauf, dich endlich kennenzulernen und ich will dir auch deinen zukünftigen Schwiegervater vorstellen."
"Meinen was bitte?", Maris Braue wanderte nach oben, der Rest ihres Gesichtes blieb unbeeindruckt und ungerührt, "Ich glaube, ich habe mich verhört."
"Mitnichten, meine Liebe. Sie sind alle so froh zu hören, dass du noch am Leben bist und wie schön du geworden bist. Dein Mann wird sich glücklich schätzen."
Er trat näher auf sie zu, wollte sie augenscheinlich in den Arm nehmen, doch sie wich ihm aus.
"Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals etwas getan hättest, was nicht irgendwie von Vorteil für dich wäre und ich heirate sowieso niemanden, den DU ausgesucht hast", knurrte sie und funkelte ihn an, "Wofür hältst du mich? Du hast mich nie gesucht! Du hast mich in diesem verdammten Verlies verrotten lassen und nein, komm mir nicht mit, oh ich dachte, du wärest tot, denn das gibt dir kein Recht, jetzt aufzutauchen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung und mir zu offenbaren, dass mein Verlobter", sie sprach das Wort aus, als wäre es Gift, "noch irgendwo auf mich wartet."
"Aber Marishka, diese Bindung wurde bereits beschlossen, als du ein Kind warst. Menanders Neffe wäre eine wunderbare Partie für dich. Er kommt aus gutem Haus, reines, elensarisches Blut, nicht wie die Brut hier, die sich mit allem paarte, was nicht bei drei auf dem Baum ist..."
"Vorsicht! Beleidige nicht MEINE Familie!", Mari hob ihre Hand und ballte quälend langsam eine Faust. Der Boden unter Taurnils Füßen begann zu zitterten, "Im Gegensatz zu dir, werter Vater, haben sie sich um mich gekümmert."
"Aber was willst du von ihnen? Ein Geschlecht, das ausstirbt und sich daher mit einem anderen vermischt - eine gute Idee, ich gebe es zu, aber es erhält nicht die Reinheit des Blutes - und dann sehe ich hier noch Zephyrs Bastarde.", er wies mit einer verächtlichen Geste auf Sessy, die neben Orestes vor der Hausmauer stand und rote Wangen bekam vor aufsteigender Wut. Der Junge schien ihren Zorn zu spüren, denn er legte sanft eine Hand auf ihre Schulter. Jegliche Anspannung fiel prompt von ihr ab und sie schenkte ihm einen dankbaren Blick.
"Wag es nicht! Wag es nicht, jemals wieder hierher zu kommen oder zu mir!", Mari trat auf ihn zu, Ranken schossen aus dem Boden herauf und wickelten sich um einen erschrockenen Taurnil, "Du bist mir ein schöner Vater. Kommst her, nur um mir zu sagen, dass ich heiraten soll für deine politischen Ziele! Ich habe kein Interesse daran!" Sie bewegte sich vorwärts und die Ranken wuchsen in die Höhe, rissen Taurnil von den Füßen. Der Boden brach, als sich das Gewinde der Barriere näherte. Mari führte eine wegwerfende Handbewegung aus und die Ranken schleuderten den Ratsherrn hinaus, wo er wieder am staubigen Boden landete, auf der anderen Seite.
"Verschwinde und setz nicht einen Fuß in diesen Wald!", schrie die Grünhaarige. Der Wind fuhr durch die Bäume oder bewegten sie sich von selbst? Sie konnten es nicht genau ausmachen, doch es war, als würde der Wald Mari Antwort geben. Taurnil rappelte sich auf und rang nach den richtigen Worten. "Dir wird das noch leidtun, Marishka! Du wirst noch zu mir kommen und darum betteln, dass ich eine gute Partie für dich finde!", stieß er hervor und drehte sich um, die Robe schwingend, doch blieb er stehen, als er die vielen Augenpaare aus dem Schatten des Waldes leuchten sah.
Odysseus und Saphira setzten sich zeitgleich in Bewegung und traten durch die Barriere hinaus. "Wir bringen dich zur Brücke. Von da musst du alleine gehen. Hör auf deine Tochter und schenk dir deine Drohungen: Komm nie wieder hierher!"