Liam folgte Nayda in die Festung der Familie Raafe, Festung der Schlangenlords wie man sie nannte.
"Mein Vater ist im Süden, im Schloss eures Vaters, dem König Alric, er hat vor fast 18 Jahren angefangen den König zu beraten, nach dem Tod eurer Mutter!", erzählte Nayda als sie über den glänzenden Steinboden der Galerie schlenderten. Liam versuchte die absolute Reizüberflutung des Schlosses zu verarbeiten. Die Wände waren mit dem Siegel und verschiedenen Runen verziert, der Raum war sicher 3 Meter hoch und voller prachtvoller Gemälde von Menschen und Fabelwesen aller Art. Nayda lies ihren Blick wieder über ihn schweifen, er fiel diesmal gnädiger aus als noch vor den Toren. Sie hielt vor einem Portrait einer schönen jungen Frau, schwarze Locken umspielten ihr Gesicht. Liam fuhr sich durch sein eigenes schwarzes Haar. Er wusste aus dem Biologieunterricht das schwarze Haare in Kombination mit rein blauen Augen sehr selten war. Die Gesichtszüge der Frau waren deutlich weicher als seine eigenen, allerdings konnte er an Form von Augen, Lippen und Nase viel von sich selbst erkennen. "Die blauen Augen und schwarzen Haare eures Geschlechts waren schon immer einzigartig in Amergyn, verzeiht mir das ich gezweifelt habe mein Prinz!", Naydas sanfte Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich zu ihr, der wunderschönen Reinblüterin die sich vor ihm verneigte. Liams Blick viel auf die Spiegelung auf dem glatten Boden. Er würde sich selbst auch nicht als einen Prinzen erkennen. Sein Haarschnitt war heraus gewachsen, der Sidecut viel zu lang und der Rest unfrisiert und zerzaust. Seine Augenringe erinnerten ihn an zwei Synchron geschlagene Veilchen und seine Haut war noch bleicher als sonst. Er trug noch immer seine billige Jeans und eines dieser eigenartigen Hemden von Vernon. "Ich war nur kritisch, heute gab es bereits einen Zwischenfall hier, darum war ich vorsichtig!", sprach sie weiter. Liam wurde hellhörig, ein Zwischenfall, es musste um Vernon gehen, sie hatten ihn erwischt. "Was ist passiert?", fragte er interessiert und löste seinen Blick vom Boden. "Jemand hat versucht eben dieses Bild eurer Mutter zu entwenden, aber keine Sorge, die Schlangenlords wissen sich zu helfen! Er ist gut untergebracht und wird es nie wieder versuchen!" Liams Herz schien für einen Moment stehen zu bleiben, Nayda bemerkte seine Anspannung zu bemerken und legte besorgt den Kopf schief. In seinen Gedanken ging er schnell alle Möglichkeiten durch wie er am schnellsten zu Vernon kam, Nayda vereinfachte ihm unbewusst die Auswahl: "Seid unbesorgt mein Prinz, ich zeige euch wie die Schlangenlords mit so einem Frevel umgehen, folgt mir!" Liam nickte dankbar und eilte ihr hinterher, bis sie vor einem Gemälde halt machte. Er betrachtete es genauer, ein Familienporträt der Familie Raafe. "Das muss unser kleines Geheimnis bleiben!", Nayda zwinkerte ihm zu "niemand weiß das unsere Familie über so einen Raum verfügt!" Sie zog leicht am linken Rand des Rahmens, sofort sprang die geheime Türe, die sich im Gemälde verbarg, auf. Liam folgte ihr in den steinernen Raum und ihm blieb nach ein paar Metern die Luft weg. Der Gestank nach Blut und Verwesung schlug ihm beisend entgegen, er musste seinen Brechreiz unterdrücken. An den Wänden des niedrigeren Raumes hingen Ketten, ein Stapel aus Leichen verschiedenen Verwendungsgrades zierte die Ecken. Fliegen kreisten über ihnen, leises quicken von Ratten war zu hören. Als er seinen Blick auf die Mitte des Raumes richtete musste er einen Schrei unterdrücken. Vernon kniete mit den Armen am Rücken gefesselt an einen Holzpfeiler gebunden auf dem Boden, Liam war nicht sicher ob er überhaupt noch lebte. "Was habt ihr mit ihm gemacht?", entfuhr es ihm mit schockierter Stimme. Nayda schien sein Unbehagen über diesen Anblick nicht nachvollziehen zu können und starrte ihn verwirrt an: "Zuerst schlug ich ihn eine Weile, dann schlitzte ich ihn mit dem Schwert auf, das frische Blut lockt die Ratten an, sie kümmern sich um den Rest!" Nayda schritt in die Mitte des Raumes und hob das rostige stumpfe Schwert auf mit dem sie ihren Bruder so übel zugerichtet hatte. In der Hoffnung das Wohlgefallen des Prinzen zu erringen schlug sie es Vernon erneut über den Rücken und hinterließ eine klaffende Wunde, nicht lebensgefährlich aber schmerzhaft. Liam hörte ein leises aufstöhnen von Vernon. Er hörte sein eigenes Blut durch seinen Körper pumpen, seinen Herzschlag der zuerst schneller wurde und dann wieder ganz langsam. Er eilte in die Mitte des Raumes und schlug Nayda das Schwert aus der Hand. Ihren verärgerten und verstörten Blick über sein verhalten ignorierte er zu gänze. Er hob das Schwert auf. Blut klebte noch an der Klinge. Liam fühlte ein Rauschen, das durch seinen ganzen Körper ging, wie ein kalter Windstoß den nur er fühlen konnte. Er wendete seinen Blick wieder Nayda zu: "Komm ihm nie wieder mit deinen dreckigen Foltermethoden zu nahe!" Er holte aus und warf das Schwert gegen die Wand, es zersplitterte unter der Wucht des Aufpralls. Liam drehte sich zu Vernon und riss an der Eisenkette, die genau wie das Schwert zersprang. Das Rauschen klang in Liams Kopf wie ein Schneesturm, er konnte ihn spüren, auch wenn er nicht zu sehen war. "Er wollte das Portrait eurer Mutter klauen mein Prinz!", Nayda hatte sich wieder gesammelt und versuchte sich zu erklären "er muss doch bestraft werden!" Liam spürte wie immer mehr Wut in ihm aufstieg und sich zu dem Schneesturm in seinem Inneren gesellte. "Du dummes Flittchen!", schrie er sie an "das ist dein Bruder, du tust deinem eigenen Fleisch und Blut so etwas an?" Plötzlich sprang das kleine Fenster, durch das ein wenig Licht den düsteren Raum erhellte auf, ein eisiger Wind fegte durch Naydas Haar. Verängstigt starrte sie Liam an, das aussehen des Prinzen hatte sich verändert. Seine Augen funkelten und reflektierten das wenige Licht und seine Eckzähne waren länger geworden. "Das ist was man den Geist von Yoricks Tiger nennt!", flüsterte sie, dann schrie sie "ihr versteht nicht, er ist ein Bastard, ein Schandfleck in unserem Stammbaum, er ist nicht mein Bruder, nur ein gewöhnlicher Dieb!" Liams Wut stieg weiter, noch nie hatte er etwas so widerliches und krankes gesehen, in Horrorfilmen vielleicht, da hielt er es aus wenn Menschen starben, aber nun, als Hauptdarsteller in dieser Kammer der Schlangen lies ihn der Anblick all der verstümmelten Leichen und des schwer verletzten Vernons fast wahnsinnig werden. Liam spürte wie die Wut den Sturm in ihm großer werden lies, unbeugsamer und gefährlicher. Er hatte das Gefühl zu explodieren, seine Brust schmerzte und brannte. Er riss sein Hemd auf um zu sehen was die Schmerzen verursachte und konnte verfolgen wie sich dünne schwarze Linien auf seinem Brustkorb abzeichneten bis sie den Kopf eines Tigers ergaben, dessen Maul weit offen stand, spitze Zähne waren zu sehen. Rund um den Kopf des Tieres bildeten sich Runen und Schneesterne.
Liam wandte seinen Blick ab, er bemerkte das er nicht länger in der Folterkammer der Schlangenlords war. Er befand sich auf einem verschneiten Plateau eines Berges. Vor ihm erhob sich der weiße Tiger aus seinen Träumen. "Bist du Yoricks Tiger?", fragte er, die blauen Augen des Tieres ruhten auf ihm. "Ihr nennt mich Yoricks Tiger, ich bin Ramon Skkylar, der Geist von Amergyn. Knie nieder junger Prinz!", sprach der Tiger mit mythischer Stimme. Liam tat was das Wesen ihm befahl und lies sich auf die Knie fallen. Der weiße Tiger hauchte ihn an, sein Atem war stark wie ein Windstoß und kälter als der Schnee in dem Liam kniete. Er konnte fühlen wie die Kälte des Tigers durch seinen Körper fuhr, in sein Herz und seinen Kopf. Er fühlte sich unglaublich stark, mächtig.
"Erhebe dich!", der Tiger brüllte und lies die Erde unter ihnen erbeben "Liam von Skkylar aus dem Geschlecht Zoi, Wächter von Amergyn, Zorn und Vergeltung des weißen Tigers! So wird man dich nennen, du wurdest wiedergeboren im Eis des Nordens, gereinigt von deiner Furcht, bestätigt in deinem Sein. Du wirst Gerechtigkeit nach Amergyn bringen und Vergeltung für den Tod von Liana Skkylar aus dem Geschlecht Zoi, Wächterin von Amergyn und Güte des Weißen Tigers!" Liam erhob sich, spürte wie sein Körper sich veränderte. Sein Körper baute binnen Sekunden Muskeln auf, seine verwundeten Unterarme heilten, die Fäden verschwanden und es blieben nur zwei dünne weiße Narben zurück.
Liam hörte in weiter Entfernung eine Stimme nach ihm rufen, er konzentrierte sich, immer wieder schien jemand seinen Namen zu rufen. "Vernon!", flüsterte er "ich muss gehen, habt vielen Dank weißer Tiger Ramon!"
Liam schloss die Augen, die Stimme von Vernon wurde deutlicher und kam näher: "Liam, hör auf, du tötest sie!" Liam riss die Augen auf, er befand sich wieder in der geheimen Kammer der Schlangenlords. Der ganze Raum schien von einer Schicht aus Eis verschlungen zu werden, die von ihm ausging. Nayda kauerte in einer Ecke hinter einem Berg aus Leichen, Stacheln hatten sich aus dem Eis gebildet und waren ihr schon gefährlich nahe gekommen. "Bitte verschont mich mein Prinz!", flehte sie ihn an. Liam atmete tief ein, das Eis begann sich zurück zu ziehen, die Stacheln brachen. "Merkt euch eines Schlangenlady!", sein Blick lag verächtlich auf ihr "ihr seit es die es verdient hätte für ihre Taten gequält und getötet zu werden! Ihr und eure verfluchte Familie! Ich hätte dich töten können so wie du all diese armen Wesen getötet hast, aber dann wäre ich keinen deut besser als du!" Liam gab den Versuch sich an die Floskeln der Höflichkeit zu halten auf: "Ich verachte dich Nayda Raafe, das muss dir genügen, du wirst deine gerechte Strafe eines Tages erhalten, aber nicht durch meine Hand!"
Nayda erhob sich und rannte aus der Folterkammer ohne ein weiteres Wort zu sagen, Liam wirbelte herum und lies sich zu Vernon auf die Knie fallen: "Komm wir gehen, nein ich trage dich!" Vernon versuchte zu lächeln: "Du dummer Junge, wie kannst du dich nur in solche Gefahr bringen und allem widersetzen was ich dir sage?"
Als Liam und Vernon die Hütte erreichten war es schon weit nach Mitternacht. Liam hatte Vernon zuerst gestützt und dann getragen, seine Kräfte waren beinah völlig ausgeschöpft als er ohne auf eine der Fragen des Einhorns einzugehen die Tür aufstieß und Vernon aufs Bett warf. Dieser schien hohes Fieber zu haben, Liam fragte sich ob er ihn zu spät befreit hatte. "Kann ich etwa das erste mal nach 3 Wochen in meinem Bett schlafen?", witzelte Vernon heiser. Liam lies sich erschöpft auf den Sessel vor dem Bett fallen: "Du kannst nicht mal jetzt die Klappe halten was? Bedankt man sich nicht bei seinem Retter?" Vernon grinste: "Jetzt sind wir quitt kleiner Prinz!" Liam dachte an die Wunde auf Vernons Rücken, als ob die, welche ihm seine Schwester am Bauch zugefügt hatte nicht ausreichen würden. Er wusste nicht was er machen sollte, es würde sich alles entzünden und allein daran würde Vernon sterben. Abgesehen davon hatte er besorgniserregende Blutergüsse, Liam war sich nicht sicher ob die inneren Organe heil geblieben waren oder ob er innere Blutungen haben könnte. "Was ziehst du für ein besorgtes Gesicht kleiner Prinz?", Vernons graue Augen hatten ihn mit einem fast ausdruckslosen Blick fixiert. Liam versuchte sich die Sorge über seinen Zustand nicht anmerken zu lassen: "Ich habe nur darüber nachgedacht wie ich deine Verletzungen kuriere!" Vernons Blick wurde noch leerer: "Hör mal Kleiner, ich werde das nicht schaffen, du musst mir nur einen gefallen tun! Ich habe hinten im Kasten noch etwas, du weißt schon, einen Vorrat Stoff, du musst es mir geben, ich halte die Schmerzen nicht aus!" Schlagartig wurde Liam bewusst das Vernons körperlich desolater Zustand nicht nur an der Folter des Nachmittags lag, sondern auch an dem Gift das er sich regelmäßig in die Venen jagte. Liam vergrub sein Gesicht in seinen Händen, er wusste nicht welche Möglichkeit die Richtige war. Dem Junkie seinen Wunsch erfüllen mit dem Risiko das er seinem Körper damit die Möglichkeit auf jegliche Selbstheilung nahm oder ihn fest zu binden und ihn durch einen kalten Entzug zu schicken trotz der Wunden.
Vernon atmete erleichtert auf als Liam aufstand und zum Kasten ging, er kam mit einem Stofffetzen zurück und packte seinen Arm.
"Ja, schön über dem Ellbogen abbinden Liam!", Vernon beäugte ihn kritisch "Liam, nicht am Handgelenk! Was hast du vor?" Liam band Vernons Arme blitzschnell am Holzgeländer des Bettes fest, ignorierte seine Proteste dagegen inständig.
"Liam was machst du da? Ich brauche sofort einen Schuss, hilf mir gefälligst du dummer Junge!", schrie Vernon ihn an. Liam setzte sich zurück auf den Stuhl und versuchte zu lächeln: "Keine Sorge Vernon, wir schaffen das! Gemeinsam!"