Gelb. Gelb wie eine Sonnenblume, ein aufgeblühter Löwenzahn zwischen saftigem Grün inmitten des Winters, das sich durch den festen weißen Schnee an die Oberfläche kämpft. Oder Gelb, wie meine Haut die langsam, nur langsam verblasst. Meine Haut ist Gelb wie eine Sonnenblume eine Blume, die sich durchkämpft, um die Sonne zu sehen. Meine Haut ist ein Löwenzahn, in voller Blüte des Lebens und doch droht sie so schnell zu verwehen, sobald die Zeit ran ist. Weiß wie Schnee und luftig leicht, ein Windstoß genügt. Ich liege hier im Bett, im Krankenhaus. Um mich herum nur weiß, nichts als weiß. Wie Schnee so kühl. Die polierten Oberflächen glänzen um mich herum. Ab und zu kommen Ärzte und Krankenschwestern vorbei, um nach mir zu sehen. Wie riesige große Schneeflocken, mächtig und stolz. In ein paar Stunden werden mehr Menschen in mein Zimmer kommen, bunte Frühblüher, die meine Familie und Freunde sind. Sie werden sich um mich versammeln, sich durch den Schnee kämpfen. Und mich ansehen, ich Wunderling. So ganz anders als sie. Auch ich habe mich zu diesem Moment vorgekämpft. An diesem Ort, in diesem Zimmer liegen zu können ist ein großer Erfolg. Es hätte so viel eher vorbei sein können. Ich hätte so viel eher von ihnen gehen können, mich nicht durch den Schnee kämpfen, sondern mich begraben lassen. Von den Massen, den Lasten der Welt. Aber ich bin hier, habe es bis hierhin geschafft. Ich bin fast am Ziel. Mein Kopf befindet sich endlich an der Oberfläche und ich kann atmen. Bis ich im Wind verweht bin. Ich hatte alles, was ich brauchte. Bis zu diesem einen Tag, an dem eine der größten Schneeflocken mir zu verstehen gab, dass ich vergilben werde. Und das recht schnell. Die Abnutzung wird zu sehen sein, sagte sie zu mir. Ich werde nicht mehr die gleiche sein, das wusste ich. Meine gelbe Haut sticht heraus, aus den weißen Massen des Krankenhauses. Viele meinten, ich gehöre hier nicht hin. Ich wäre doch viel zu stark, um an diesem Ort zu verweilen. Ich müsste diesen Kampf nicht durchstehen. Aber es war meine Entscheidung. Ich wollte das, niemand sonst. Niemand sollte mir sagen, dass man diese Krankheit nicht durchstehen kann. Ich wollte keine Operation, keine Chemo über mich ergehen lassen, nur damit ich noch einige Tage mehr habe. Sie sagten ich müsste mir das gut überlegen, mein Leben hinge davon ab. Mein Leben. So ist es. Es ist mein Leben und ich habe mich entschieden, kurzen Prozess zu machen. Und ich hatte einen langen und harten Weg, doch ich habe es geschafft. Jahrelang habe ich dafür gekämpft, auf meine eigene Weise zu gehen. Ich bin am Ziel.
Ich gehöre hier nicht her, haben sie gesagt. Lass dich operieren, dann bist du in den letzten Tagen deines Lebens wenigstens Zuhause. Aber ich wollte nicht die letzten Tage meines Lebens an dem Ort verbringen, der mich meine Entscheidung immer bereuen lassen wird. Ich wollte Leben und kämpfen aus eigener Kraft, jeden Tag in Freiheit genießen bis zum letzten Tag. Bis heute. An diesem Tag haben mich mehrere kleine Schneeflocken abgeholt und weggebracht, an die Oberfläche getragen. Ganz nach oben, dorthin, wo die ganz schwierigen Fälle hinkommen, die hoffnungslosen. Ich gehöre hier her, denn es ist meine Entscheidung. Die Geräte um mich herum halten mich wach, doch nicht mehr lang. Denn ich entscheide, wann ich gehe.
Die anderen Blumen um mich herum sind aufgetaucht. Sie haben sich versammelt um mich zu betrachten zu bewundern. Kleine Schneeglöckchen, unschuldig wie Kinder. Große Tulpen, sie stehen in der Blüte ihres Lebens, so wie ich es vor einigen Jahren auch tat. Kleine unbedeutende Gräser und Blätter dazwischen, die die anderen Blumen nur stützen. Ihnen gut zureden. Ich höre sie rufen, weinen. Laut und leise. Und leiser, immer leiser. Bis ich nichts mehr höre, nur noch sehe. Aber nicht mehr von dort, wo sie sind. Meine Seele weht im Wind, wie ein Löwenzahn der verblüht ist. Meine gelbe Haut lasse ich hinter mir. Ich steige noch viel höher, als das große Gebäude, in dem ich gerade noch lag. Ich sehe von oben die Tränen der Blumen. Sie hatten Recht, ich gehörte dort nicht hin. Ein Löwenzahn wächst nicht mitten im Winter. Er wächst im Frühling, doch so viel länger konnte ich nicht warten. Die Zeit kam immer näher und ich musste mich entscheiden. Ich wollte den ewigen Winter nicht überdauern. Ich wollte dem ein Ende setzen. Endgültig sein. Ich wollte nur an den Ort, der mir Ruhe und Frieden bringt. Mitten im Winter, ohne Sonne und Wärme merkt man den Unterschied so viel stärker. Aus der eisigen Welt stieg ich hinauf ins ferne Nichts. Dort wo die Sonne am nächsten ist, wo ich mich warm und geborgen fühle. Erst jetzt bin ich am Ziel, hier bin ich Zuhause.