Es war eine Zeit, da habe ich nur die Parfüms bewertet, die für mich schön waren. Mittlerweile möchte ich das nicht mehr. Es ist klar, jede Bewertung ist subjektiv, auch meine…
Was würde ich zu diesem Duft wohl gerne sagen?
Nur das eine – vergiss mich!
Jedes Parfum ist eine Schöpfung, eine Kreation, meint man. Man stellt sich vor, ein Genie sitzt am Tisch und tüftelt an einem neuen Duft, der die Welt mit seiner Schönheit für immer verändern soll. Die wohlriechende Duft-Muse schenkt diesem Genie, küssend im Vorbeifliegen, die tollsten Eingebungen. Ungebändigte Kreativität sprudelt aus ihm heraus und so entsteht dann das unverwechselbare und einmalige Parfum XY.
Ist es so? Vielleicht war das mal im 17. Jhdt.
Gibt es eigentlich auch schlechte Kreativität?
Es war einmal ein seltsamer Duft bei mir zu Gast. Nein, er war nicht unfreundlich ;-) Er war hektisch, laut und sehr eigen. Er suchte verzweifelt nach Harmonie, aber auch bei mir hat er sie nicht gefunden… Sehr schade. Ich hätte ihm gerne ein wenig mehr Ruhe und Wärme gegeben. Und natürlich viel Liebe!
“Hermann à mes Côtés me Paraissait une Ombre” von Etat Libre d'Orange - „An meiner Seite wirkte Hermann auf mich wie ein Schatten”.
Er startet sehr frisch und pfefferig. Die zerdrückten Johannesbeeren sind deutlich zu riechen, auch Pfeffer ist sehr laut. Direkt danach kommt die spritzige aquatische Note, die etwas seltsam jodhaltig wirkt und ziemlich viel Ton angibt. Sie reißt alles an sich und bringt sehr viel Unruhe. Die anderen Duftbegleiter kommen gar nicht richtig zur Geltung. Der Duftverlauf ist nicht spannend, es wird einfach dumpfer und sehr einseitig. Würzig-grün, salzig und im Unterton holzig.
Ich vermisse Rose und Weihrauch! Sie hätten es gekonnt, aber wahrscheinlich haben sie es nicht gewollt… Die penetrante Jod-Note ist sogar auf meiner Zunge spürbar, angenehm ist das nicht. Aber die Haltbarkeit – wow! Es hält und hält, zu meinem Leidwesen ;-)
Kein schöner Duft, keine Meisterleistung, keine Kunst.
Also, wenn L'État Libre d'Orange damit ein bestimmtes Statement abgeben wollte, nämlich – für den Schatten in einem selbst, dann war das ein Volltreffer für den Dufterfinder, der sich selbst zur Schau gestellt hat. Bravo!
Er kam und ging… verschwand in der Dunkelheit… für immer.
Lebe wohl und vergiss mich…