(Achtung! Dieses Kapitel beinhaltet Suizidversuch!)
1.Kapitel
Dunkle Nacht der Seele
Dunkelheit umfing ihre Seele. Sie stand ober auf der Brücke und schaute hinunter, in das tosende Wasser, des von den heftigen Regenfällen der vergangenen Tage, angeschwollenen Flusses.
Die Strudel der Tiefe unter ihr, welche schon beinahe ganz im nächtlichen Schatten lagen, zogen sie irgendwie magisch an. Sie beugte sich vor und beobachtete die, im spärlichen Abendlicht eines kühlen Novemberabends, weisslich leuchtende Gischt, der schwarzen Wellen. Wieder regnete es, wie schon so oft die letzte Zeit. Alles lag stets unter einem düsteren, nebligen Schleier verborgen. Kein Sonnenlicht durchbrach die Wolken, welche schwer und kühl über dem Land lagen. In dieser Jahreszeit ging es Lea immer am schlechtesten. Der November war für sie ein unerträglicher, dunkler Monat, ohne jegliche Freude. Schatten ihres Lebens, ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart, ja gar ihrer Zukunft, breiteten sich dann immer wieder bedrohlich über ihr Sein aus und sie glaubte davon verschlungen zu werden. Immer wieder, hatte sie diese schrecklichen Phasen der dunklen Nacht der Seele. Dann war sie voller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, nichts mehr konnte sie dann noch erfreuen. Nichts, konnte sie mehr aus dieser Düsternis herausholen.
Gerade war es ganz besonders schlimm. Viele Dinge waren die letzten Tage geschehen. Sie war in einer schwierigen Lebensphase, die sehr viel Trauer, Unruhe und Stress mit sich brachte. Sie schlief schlecht, lag meist bis fast bis zum Morgengrauen wach und dann, war sie für alles zu müde, was der Alltag von ihr verlangte. Sie konnte dann nicht mehr konzentriert arbeiten. Sie stritt mit ihrem Mann Nathaniel und hatte kaum Geduld für ihren 4- jährigen Sohn David. Immer wieder, glaubte sie, dass der Stress all die Arbeit, sie irgendwann gänzlich auffressen würde. Sie verlor in diesen schrecklichen Phasen jeglichen Lebensmut, sehnte sich nach einer andern, eine besseren Welt, einer Welt die nicht so viel Schweres, so viel Leid enthielt. Genau wie jetzt auch wieder.
Diese Tiefe unter ihr, dieser tosende Fluss, konnte er ihr vielleicht endgültigen Frieden geben? Flüchtig dachte sie an ihre Familie. Doch, so sehr sie diese auch liebte, in diesem Moment waren alle Gefühle von Liebe und Freude unter einer dunklen, schweren Decke verborgen. Sie hasste sich selbst, sie hasste sich so sehr dafür, dass sie das Leben einfach nicht besser im Griff zu haben schien. Sie kämpfte immer wieder vehement, gegen diese dunklen Gefühle, diese Ohnmacht und Verzweiflung an, doch…es half einfach nichts. Sie kamen immer und immer wieder zurück, diese Tiefs, auch wenn sie manchmal wieder glaubte, sie endlich besiegt zu haben. Sie war sonst, wenn es ihr gut ging eigentlich ein lebensfroher Mensch, mit viel Liebe für andere und einer optimistischen Grundhaltung. Doch auf einmal, war es wieder so weit und die Verzweiflung kehrte zurück, wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Es musste nur etwas Kleines passieren, dass sie zu sehr aufregte, oder zu sehr stresste, dann schlug der Optimismus auf einmal in unerträglichen Pessimismus um. Lea glaubte dann auch, niemand liebe sie wirklich, keiner verstehe sie tatsächlich. Sie wurde sich selbst irgendwie vollkommen fremd.
Auch jetzt, da sie hier oben auf der alten Steinbrücke stand, unter ihr eine Schlucht, durch die der Fluss floss, glaubte sie irgendwie, eine andere Person, nehme ihren Platz ein. Das machte ihr noch mehr Angst und sie steigerte sich richtiggehend in diese Verzweiflung hinein. „Nein!“ dachte sie bei sich „so hat mein Leben keinen Sinn mehr! Ich bringe nur schreckliches Elend über alle, die mit mir zusammen leben müssen. Ich bringe einfach nichts auf die Reihe, ich kann dem allem nicht mehr gerecht werden! Ich kann nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr! Ich ertrage diese schwere Welt, keinen Tag länger!“ Sie schwankte. Der Abgrund, schien sie zu rufen, er schien sie zu sich hinab ziehen zu wollen. „Komm her!“ schien er zu flüstern „Komm her und ich werde dir Frieden schenken, ewigen Frieden!“
Irgendwo, tief in ihrem Innern, beinahe unsichtbar, verborgen hinter den dichten Wolken ihrer Depression, begehrte eine leise Stimme auf. „Nein, tu es nicht! Es gibt noch so viel für das es sich lohnt zu leben! Gib nicht auf! Denk an alle die dich lieben!“ Doch der Ruf des Abgrundes war einfach zu stark, Die Sehnsucht danach, endlich Ruhe finden zu können, zu intensiv. Lea dachte, an all die Dinge in ihrem Leben, die schiefgelaufen waren, oder jetzt wieder schief liefen. An all das, dessen sie noch gerecht werden musste und zu dem sie sich einfach ausserstande fühlte, in diesem Augenblick. All das türmte sich zu einem endlosen Berg vor ihr auf. Ein Berg, bedrohlich, schwarz und unüberwindbar. Er schien sie zu erdrücken, sie konnte kaum mehr atmen. Der Berg wurde zu einem Teil ihrer selbst, tonnenschwer, drückte er auf ihr Herz. Ihr Leben war vorbei, ja es war vorbei! und…sie gab dem Ruf des Abgrundes nach…
Nathaniel, wurde vom schrillen Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Er fand sich wieder, auf dem Sofa, der Fernseher lief noch immer. Das Frühprogramm hatte noch nicht begonnen, schwarzsilbernes Geriesel huschte über den Bildschirm. Er erschrak. Er musste am Fernseher eingeschlafen sein, als er auf Lea gewartet hatte, welche gesagt hatte, sie müsse etwas an die frische Luft. Es ging ihr nicht sonderlich gut, dieser Tage, doch Nathaniel machte sich keine ernst zu nehmenden Sorgen um sie. Sie hatte sich immer wieder gefangen, auch wenn sie immer mal wieder depressive Verstimmungen hatte. Doch diese, waren noch nie so weit ausgeartet, dass sie eine Dummheit beging. Ausser damals das eine Mal, als sie, nach der Geburt von David, eine Wochenbettdepression hatte. Damals war sie so schlimm dran gewesen, dass sie sich mit einem Messer hatte die Pulsadern aufschneiden wollen. Doch sie ging dann in eine Therapie und bekam auch Medikamente, die ihr darüber hinweg halfen. Nach einiger Zeit, setzte sie die Medikamente wieder ab und es kam nie mehr vor, dass sie so etwas Dummes tat.
Nun jedoch, da Nathaniel zum Telefon ging, hatte er auf einmal ein ganz flaues Gefühl in der Magengegend. Es war seltsam, dass Lea den Fernseher nicht ausgemacht hatte, als sie nach Hause kam. Dass sie ihn auf dem Sofa schlafen liess, wenn er vor dem Bildschirm einnickte war üblich, aber dass sie den Fernseher laufen liess, nicht. Er blickte auf die Uhr, während er zum Telefon ging. Es war drei Uhr Nachts. Als er den Hörer abhob und sich eine unbekannte, männliche Stimme meldete und ihm die schreckliche Botschaft überbrachte, weiteten sich Nathaniels Augen vor Entsetzen. „Ich werde sofort kommen!“ sprach er und legte den Hörer auf. Sein Herz klopfte bis zum Hals, sein Puls raste, Entsetzen kroch durch seinen Körper. Er atmete tief durch, dann nahm er das Telefon erneut zur Hand und wählte die Nummer seiner Eltern.
Die verschlafene Stimme seiner Mutter Lisa, meldete sich am andern Ende. „Mama!“ sprach Nathaniel zutiefst aufgewühlt. „Du musst unbedingt kommen und zu David schauen! Es ist etwas Schreckliches passiert!“
Lea erwacht in einem dunklen Gewölbe. Sie sah sich um. Was war geschehen? War sie jetzt tot? Sie erinnerte sich, wie sie sich hatte in den Abgrund fallen lassen, wie sie immer tiefer und tiefer gestürzt war und schliesslich die tosenden Fluten des Flusses sie umfingen, wie kalte Totenhände. Es war kein schönes Gefühl gewesen, jedoch hatte sie auch keine Schmerzen gehabt. Sie hatte nur einen Schlag verspürt und dann war es finster um sie herum geworden, ganz finster. Wie in einem seltsamen Traum, hatte sie sich selbst in undurchdringlicher Dunkelheit herum wandeln sehen, losgelöst von ihrem Körper und dennoch, fühlte sie sich von ihm doch nicht wirklich getrennt. Es war ein eigenartiger Zustand. Eine endlos lange Weile, war sie so herum gewandelt, doch nun…war sie plötzlich hier. Sie wusste nicht, wie sie hergekommen war und sie wusste auch nicht, wo sie eigentlich war. Es gab hier kaum ein Licht. Die spärlichen Lichtquellen, drangen von oben herab zwischen den schwarzen, verfallenen Wänden hindurch. Es war ein Art Domgewölbe, alt und zerfallen. Mit Reliefen und einschüchternden Gestalten und Fratzen geschmückt, die etwas Furchteinflössendes ausstrahlten.
Sie sah sich um, lauschte. Alles war still um sie, nur irgendwo tropfte Wasser herab und manchmal, pfiff der Wind durch die vielen Ritzen und Spalten, der Mauern. Sie ging umher und suchte einen Weg aus dem seltsamen Gewölbe heraus. Schliesslich fand sie einen Durchgang. Dahinter war es jedoch ganz finster. Sie traute der Sache nicht und schaute sich nach einem weiteren Durchgang um, doch es gab keine andere Möglichkeit, das unheimliche Gewölbe zu verlassen. Das spärliche Tageslicht, das zu ihr herab schien, schien sehr weit weg, so weit. Es gab auch keine Möglichkeit hinauf zu klettern. Ein seltsamer Himmel, spannte sich über ihr. Ein Himmel in einem dunklen petrol, voll schwarzer Wolken, die über das Firmament rasten, angetrieben von einem stürmischen Wind. Manchmal durchzuckten Blitze die Schwärze und dann fragte sich Lea, ob sie eigentlich wirklich da hinauf wollte, oder es hier doch gemütlicher war. Doch seltsamerweise, spürte sie in sich auf einmal wieder den Kampfgeist in sich, der sie dazu antrieb, nicht einfach an diesem Ort zu verharren. Was und wo war überhaupt dieser Ort? Träumte sie, oder… war sie womöglich tot? Sie wusste es nicht. Auch die Erinnerungen daran, was geschehen war, waren sehr verschwommen. Sie spürte, dass sie etwas Schlimmes getan hatte, aber was war es nur. Was, wollte sie bloss hier?
„Hier erwartet dich das Schicksal, dass du verdient hast!“ sprach auf einmal eine unheimliche, düstere Stimme aus der Finsternis. Lea fuhr herum. Die Stimme kam aus Richtung des Durchganges, den sie vorhin entdeckt hatte. Dort erschien auf einmal ein glühendrotes Augenpaar. Voller Entsetzen starrte sie dieses an. „Wer…wer bist du?“ stotterte sie und fühlte auf einmal eine schreckliche Schwäche in sich, eine Ohnmacht die sie lähmte und unfähig machte zu handeln. „Ich…bin der, der Macht über dich hat. Jener, der dein Leben lenkt und dich steuert. Die ganze Zeit, habe ich dich gesteuert.“ „A…aber, das stimmt nicht! Du…“ die Worte blieben Lea im Hals stecken. Sie wich etwas zurück, doch die roten Augen, nagelten sie fest, verfolgten sie, bohrten sich in ihr tiefstes Inneres. Es war wie ein Feuer, das sie von innen heraus zu verbrennen schien. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und rief: „Nein! Bleib mir vom Leib! Ich habe nichts mit dir zu tun!“ Ein schreckliches, hämisches Lachen, war die Antwort. „Du irrst. Alles in deinem Leben, dreht sich nur um mich, deswegen… hast du dich so schwer versündigt, darum kennzeichnet Versagen deinen Weg. Ich bin schon so lange ein Teil deines Wesens und, ich werde dich verschlingen, für immer und ewig! Du kannst mir niemals entkommen!“ Das rote Augenpaar, kam näher, immer näher. Lea spürte die Präsenz einer dunklen Macht, einer Macht, die in ihr blankes Entsetzen wachrief. Sie wich noch ein paar Schritte zurück, doch…dann spürte sie die Gewölbewand in ihrem Rücken und sie erkannte, dass es hier nicht weiterging. Sie war dem schrecklichen Geschöpf, dass sich nun immer mehr aus der Dunkelheit der vielen Schatten hier, herausschälte, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie wurde von Hoffnungslosigkeit übermannt, Hoffnungslosigkeit, die sie ihr ganzes Leben, immer wieder begleitet hatte. Und das Wesen… bewegte sich stetig auf sie zu…