„Unsere Liebe...?“ auf einmal hielt Lea inne und schaute den Ritter an. „Wer… bist du…ich kann mich einfach nicht recht erinnern… ich…“
Auf einmal veränderte sich die Umgebung erneut. Finstere Wolken zogen am Horizont auf und breiten sich über den schon etwas blauer gewordenen Himmel aus. Und… wo die dunklen, teilweise mit Blitzen durchzuckten Wolken ihn berührten, wurde er schwarz wie die Nacht. „Nein…!“ flüsterte Lea „nein!“ Ihr Flüstern wurde zu einem entsetzen Schrei, der weit übers Land klang, schrill und voller Verzweiflung. Nebelschwaden zogen auf, hüllten alles ein. Kühle Finger, wie von verwesenden Toten, schienen sie zu berühren und der wundervolle Ritter verschwand auf einmal. „Lea!“ hörte sie ihn noch schreien „Lea! Gib nicht auf! Gib nicht auf…!“ Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, wollte ihn festhalten, doch er entglitt wie ein Geist, ihren klammen Fingern.
Ihr Körper erschauderte, ihr Herz, ihr ganzes Denken, schien zu Eis zu erstarren. Und dann vernahm sie ein schreckliches, hämisches Lachen, ganz nahe bei sich… Sie starrte voller Entsetzen in die Richtung aus der das Lachen kam und… auf einmal schälten sich aus dem Nebel vor ihr wieder diese schrecklichen, rotglühenden Augen und die fürchterliche Silhouette des Monsters, vor dem sie schon mal geflohen war. „Ich sagte doch ich finde dich wieder, egal wo du bist!“ „Nein!“ Lea glaubte dem Wahnsinn anheim zu fallen. „Lass mich in Ruhe!“ Die Stimme des Monsters erwiderte: „So einfach ist das nicht, ich bin ein Teil von dir, schon vergessen?“ „Nein! Das kann nicht sein! Ich akzeptiere das nicht! Verschwinde! Warum lässt du mich nicht endlich in Ruhe!? Und was hast du mit dem Ritter gemacht, was hast du ihm angetan?“ „Ich habe ihm gar nichts angetan. Das warst du ganz allein. Du bist Schuld daran, dass er weg ist, du bist an einfach allem Schuld. Er hat sich von dir abgewandt, wie alle es irgendwann tun werden.“ Leas Herz klopfte zum Zerspringen und das Atmen fiel ihr immer schwerer…
„Schnell! Wir müssen sie reanimieren!“ schrie der Arzt und lief zu Leas Bett. Nathaniel sah wie in Zeitlupe, wie die Türe aufgerissen wurde und mehrere Schwestern und ein weiterer Arzt hereineilten. Er trat taumelnd vom Bett zurück. Eiskalte Furcht und ein unbeschreiblicher Schrecken erfasste ihn und er versuchte hinter all den Beinen und Rücken der vielen Helfer, Lea zu sehen. Sein Blick fiel auf den Monitor, welcher den Puls und den Herzschlag seiner Frau anzeigte, keine Kurven mehr nur noch ein gerader Strich. „Nein!“ schrie er „Nein! Lea! Gibt nicht auf, gibt nicht auf!“ schrie er verzweifelt. „Sie müssen zurücktreten!“ sprach eine Schwester, während sie Lea irgendeine Flüssigkeit spritzte. „Aber… ich kann sie nicht allein lassen! Lea!“ Nein, sie darf nicht sterben! Bitte, sie darf nicht sterben!“ In diesem Moment ging die Türe erneut auf!
Mit einem entsetzten Seitenblick stellte Nathaniel fest, dass sein kleiner Sohn David und desseb Grossmutter Lisa im Eingang standen. Ihre Augen waren ebenfalls vor Schreck geweitet. „David!“ schrie Nathaniel und wollte seinen Sohn sogleich wieder nach draussen bringen. Doch der Kleine riss sich los und rannte zum Bett. „Mami! Mami! Was ist mit dir? Mami bitte du darfst nicht sterben!“ Er schlang seine kleinen Ärmchen um seine Mutter, doch die Ärzte und Schwestern zerrten ihn weg. Sie wirkten ziemlich überfordert mit der Situation. „Geh zurück! Wir wollen deiner Mami doch helfen. Aber dazu brauchen wir Platz!“ sprach der eine Arzt und schob den Kleinen unwirsch, fast grob zur Seite. Nathaniel legte seine Arme um den Kleinen und trug ihn weg. Doch David zappelte „Nein! Ich will zu Mami! Wenn ich ihr rufe, kommt sie bestimmt zurück! Mami! Mami! Ich bin hier! Mami!“…
… „Mami… Mami!“ Die Stimme klang von endlos fern an Leas Ohren. Und auf einmal durchzuckte sie ein Blitz der Erinnerung. „David? David… bist du das? „Mami, Mami… ich bin hier!“ hörte sie erneut die ferne Stimme. Das Monster schien die Stimme auch zu hören, denn es wirkte auf einmal verunsichert. Das erstaunte die Frau irgendwie und plötzlich wich die Furcht ein wenig von ihr und sie wandte sich dem Monster zu. „Das ist David, David ist mein Sohn, ja jetzt erinnere ich mich, ich habe einen Sohn. Er ruft mich. Ich muss… zu ihm.“ Sie schaute sich verwirrt um.
„Das ist nur deine Fantasie, welche dir einen Streich spielt!“ sprach das Monster. „Du weisst das selbst gut genug. Es wird für dich weder eine Zukunft noch eine Vergangenheit geben, nur noch ein Dasein voller Einsamkeit und Dunkelheit. Du weisst das selbst.“ Lea hörte die Worte des Monsters und plötzlich legte sich wieder ein Schleier des Vergessens über ihr Gemüt. Sie wusste auf einmal nicht mehr was sie tun sollte. Eine seltsame Ohnmacht bemächtige sich ihrer und sie merkte wie sie immer mehr hinunterglitt in eine Art tiefe Resignation. „Ich… muss hier bleiben… Ich habe das selbst gewählt… ja vermutlich hast du recht. Ich…“
„Gib dich mir hin Lea, gibt dich mir hin und aller Schmerz kann vergehen. Alle Unsicherheit und das Kämpfen nimmt ein Ende," meinte nun das Monster mit einer erstaunlich sanften Stimme, einer Stimme die Lea irgendwie seltsam einlullte. Keine Schmerzen mehr, keine Kämpfen mehr… eigentlich klingt das ganz gut…“ flüsterte sie. Doch dann hörte sie es wieder: „Mami! Mami! Ich bin hier! Wach auf! Wach auf!“ Ein harter Schlag traf ihre Brust und es wurde finster um sie herum.
4. Kapitel
Der weisse Tiger
Plötzlich fühlte sie sich ganz anders, seltsam schwer und ihr ganzer Körper schmerzte. Sie vernahm ganz deutlich irgendwelche fremde Stimmen. „Sie ist überm Berg, Gott sein Dank!“ „Ja, gute Arbeit Doktor!“ Und dann zwei bekannte Stimmen, Stimmen die in ihr ein tiefes Gefühl von Liebe und Geborgenheit auslösten. „Lea! Gott sei Dank, wir haben sie wieder!“ „Mami! Mami! Wir sind bei dir!“
Sie wollte wirklich hierbleiben, doch… schon glitt sie erneut hinunter in eine weitere Dunkelheit und fand sich wieder auf einem seltsamen, schwankenden Etwas. Das Etwas war weiss-schwarz gestreift. Sie hob ihren Kopf und blickte sich staunend um. Die nun wieder petrolfarbene Welt, glitt an ihr vorbei seltsam schnell, verschwamm beinah vor ihren müden Augen. Obwohl sie diese am liebsten sogleich wieder schliessen wollte, riss sie sich zusammen und versuchte herauszufinden, wo sie sich befand und wer sie da so liebevoll trug. Sie blickte etwas weiter nach vorn und dann erkannte sie, dass es sich bei ihrem Reittier um einen wunderschönen, weissen Tiger handelte! In elegantem Trab, jedoch so dass sie nicht zu sehr herumgeschüttelt wurde, lief er auf die Bergkette zu. Sie schaute sich voller Angst nach dem Monster um, doch dieses war zum Glück erneut verschwunden...