Einst erschuf der wandernde Geist einer Traumtänzerin Wesen für eine Welt, die nur in einer eigenen Fantasie existiert. Diese Gestalten waren Götter; entstanden aus einem Inspirationssamen formten sie sich zu einer Scherbe, die ein Märchen verbarg.
Das Märchen von Tuil. Es handelt von Verrat, Sorge und einer Frage, die sich jeder stellen sollte.
Doch der Reihe nach.
Der Wettergott Diasíd blickte schon seit längeren Ewigkeiten mit Besorgnis auf die Erde. Seine Sorge galt der Rücksichtslosigkeit jener Spezies, die sich an der Spitze sahen, allerdings, wenn man es genau betrachtete, am untersten Glied hingen. Nur waren sie blind. Blind für die Vorkommnisse der Welt. Sie wurden zerredet, anstatt das etwas geschah. Die Gescheitesten dieser Spezies – gleichzeitig auch die Dümmsten – redeten und redeten und redeten. Und taten – richtig, nix.
Diasíd fragte sich, was sich sein Kollege, Gotrian – von den Menschen als der Erlöser und Allmächtiger und Weltenerschaffer angesehen –, dabei gedacht hatte, als er die Erde nach seinem Bildnis gestaltet und ausgestattet hatte.
Und je länger er dem Treiben dort zusah, desto wütender wurde er auf das Verhalten der Menschen.
Eines Tages platzte ihm der Kragen. Er rief nach einem seiner Gehilfen, dem kleinen Tuil. Tuil konnte einige ganz tolle Dinge mit Wasser anstellen.
»Ich möchte, dass du auf die Erde gehst und den Menschen zeigst, dass sie nicht der Herr über das Wasser sind. Zeig ihnen, wer die Macht wirklich hat«, sagte Diasíd zu Tuil.
Dieser war begeistert. Endlich konnte er zeigen, dass das Wasser in Wahrheit nicht lieblich oder gar sanft war. Sondern ein böses Tier.
Tuil sprang auf die Erde hinab und schickte, kaum dass er gelandet war, das Wasser los. Es bahnte sich seinen Weg zuerst mühsam, doch dann, nach mehrmaliger Aufforderung, spielte es mit Tuil. Jauchzend sauste der kleine Gehilfe durch Flüsse und Seen, welche schließlich überliefen und sich immer weiter ausbreiteten. Als die ersten Wassermassen die Dörfer und Städte erreichten, sprang Tuil auf Türme und Dächer, die nach einiger Zeit in sich zusammenfielen. Er lachte ausgelassen, weil das Wasser so schnell zwischen den Häusern durchsauste. Huuuiiiiii!
Aber dann hörte er es. Das Weinen. Schreie. Gebete. Verzweiflung.
Erschrocken blickte er sich um. Sah Menschen, die vor Trümmerhaufen standen und weinten. Immer wieder hörte er die Frage: »Welcher Gott tut so was?«
Tuil fühlte etwas in sich aufsteigen. Er entdeckte ein Mädchen, das sich an den Hals seines Papas klammerte. Zwei Pferde preschten panisch durch die Fluten. Ein Feuerwehrmann trieb hilflos vorbei und wurde von mehreren Männern herausgezogen.
War es wirklich das, was Diasíd gewollt hatte? Sollten die Menschen so lernen, dass es Wesen gab, die viel mächtiger waren?
»Aber … Kann man ihnen das nicht anders beibringen?«, murmelte Tuil und fühlte Wasser in sich aufsteigen. Das Wasser hieß bei den Menschen Tränen. (…)
Fortsetzung folgt…