Sarah wedelte mit einem blinkenden Apparat vor die Nase herum, mit Diagrammen und Zahlen, die er nicht verstand. "Alles in Ordnung, du hast nur eine Beule."
Schon wieder eine. Nein, wenn er darüber nachdachte, war es nur diese eine. Baldor hatte die letzten Tage so viel abbekommen, und alles, was daran erinnerte, war eine einzelne Beule. Er verstand das nicht. Dass er seinen Arm verloren hatte, glaubte ihm in dem Zustand natürlich niemand. Sogar er selbst zweifelte gerade daran. Hatte er ihn denn wirklich verloren oder bildete er sich das Ganze nur ein? Wahrscheinlich war er nach der Dose Ravioli einfach nur umgekippt, lag immer noch im Supermarkt und fieberte vor sich hin. Ja, das klang um einiges logischer!
Falls das hier doch die Realität war, saß er stattdessen auf einem Hocker in einem Eck von Calus Hauptquartier. Sarah beendete ihre Untersuchung, ließ den Apparat in ihre Tasche rutschen und schlurfte wortlos aus dem Raum, dorthin wo zuvor auch Sergej mit Calu verschwunden war davon. Ngi tat so, als bewache er den Eingang, falls Nil, der Butler des Schurken, mit seinen Vetis-Freunden zurückkam.
Mit einem unnethufisches Quietschen zog Klara sich einen Metallstuhl heran und setzte sich ihm mit ernster Miene gegenüber, stützte sich mit den Unterarmen auf ihren Oberschenkeln ab und legte den Kopf schräg. "Hey, alles klar?"
"Halb so wild, nur eine Beule. Hab auf deinem Planeten schon Schlimmeres erlebt."
"So könnte man das sagen." Sie senkte ihre Stimme. "Genau darüber will ich mit dir sprechen."
"Jaaa?" Hatte sie vielleicht die Lösung für seine Probleme? Eine Abkürzung, damit er nicht mit noch mehr Fanatikern oder getarnten Vetis aneinaderrasselte? "Über was genau?"
"Über dein anderes Ich."
Baldor blinzelte. "Mein was?" Klar, er lag auf dem kalten Boden des Supermarkts und halluzinierte. Konnte nicht anders sein. Doch so viel er blinzelte, Klaras ernstes Gesicht verschwand nicht. Er seufzte. Das geschah also wirklich und sie meinte, was sie sagte? "Bisher dachte ich immer, ich sei allein in meinem Kopf. Na, mal abgesehen von den Schell, die ab und zu ungebeten hineinschneien. Was willst du mir damit sagen?"
"Ich habe nachgedacht, während wir hierhergelaufen sind", erklärte sie. "Und ich habe mich mit deinen Krabben unterhalten."
"Ach, ja?" Baldor kratze sich verlegen hinter seinen Tentakelhaaren. "Das freut mich. Und? Fühlen sie sich wohl?" Diese ganze Tiergeschichte blieb seltsam für ihn, so beeindruckend sie auch sein mochte. Andererseits war kaum etwas normal, seitdem er Nethufia verlassen hatte.
"Du könntest etwas besser auf deine Ernährung achten, sonst geht es ihnen gut." In ihrer Stimme hörte er keine Ironie.
Er lachte nervös. "Aha, gut zu wissen. Bisher habe ich hier nur wenig gefunden, das genießbar ist." Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für seinen Magen gewesen, ihm knurrend zur Seite zu stehen, doch der Verräter blieb stumm.
"Das können wir nachher ändern. Hör mal mit dem Quatsch auf und hör mir richtig zu."
Baldor zuckte mit den Schultern, schob die Hände hinter den Kopf und kippelte mit dem Stuhl auf zwei Beinen. Das war immer noch Quatsch, aber Klara sah nicht so aus, als mache sie sich Sorgen darüber, dass er sich noch eine Beule holte.
"Die Krabben haben mir erzählt, dass du auf der Erde bisher jeden Tag verschlafen hast. Zumindest dein Verstand war nicht wach. Dein Körper hat sich in der Zeit verwandelt. Beim ersten Mal nur ein wenig. Später war die Veränderung so stark, dass du erst eine Farm und vorhin fast eine ganze Stadt in Trümmer gelegt hättest."
"Wie kann ich eine Stadt in Trümmer legen, die sowieso schon aus Ruinen besteht?", brummte Baldor und sein Kopf überblendete den Teil ihrer Botschaft, den er nicht verstand, mit Meeresrauschen. Versuchte er zumindest. Verwandlung?
Er erntete einen finsteren Blick und biss sich auf die Lippe.
"Ich muss wohl etwas klarer werden", sagte sie und verengte die Augen. Ja, vielleicht sollte er sie jetzt ernst nehmen. "Du trägst ein Monster in dir und es hat ein eigenes Bewusstsein."
Er zog die Tentakelhärchen seiner Augenbrauen zweifelnd nach oben und sie fuhr eine Spur energischer fort: "Ich habe mit ihm kommuniziert. Es war verdammt schwierig. Ich hab Meerestiere gesehen, als ich seinen Verstand berührt habe. Sagt dir das was?"
"Monster? Du könntest genauso gut mit mir kommuniziert haben oder mit meinem Unterbewusstsein. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich Experte in dieser ganzen Gedankenübertragungsgeschichte wäre, aber hast du schon mal daran gedacht? Ich habe jeden Tag Meerestiere gesehen – nun, als es noch welche auf Nethufia gab. Das bedeutet doch gar nichts!"
Baldor sprang auf. Das konnte ja nicht wahr sein, dass er jetzt nicht einmal mehr die Kontrolle über Körper und Verstand hatte. Davon wollte er nichts mehr hören. Er wollte einfach nur diesen Planeten verlassen, und all seine Verrücktheiten vergessen. Vielleicht waren die anderen mit ihrem Plan ja schon weiter.
"Warte", rief Klara ihm hinterher, weit weniger energisch als zuvor. Der neue Ton, der in ihrer Stimme mitschwang, was war das? Besorgnis?
Egal, jetzt war er schon durch die Tür.