Ohne seine schwarze Rüstung sah 'Die Faust des Calu' nur noch halb so fies aus. Ohne sie wurde er Moritz genannt, so viel hatte er verstanden. Irgend so ein Ding der Menschen, sich zu verkleiden, andere Namen anzunehmen und dann andere Menschen zu verhauen, die dasselbe taten.
"Das ist eine Sache, die ich in ein paar der Dokumentarfilme gesehen habe", erklärt Ngi, der ebenso, wie Baldor abseits stand und nicht direkt an der Konversation mit Moritz beteiligt war. "Nennen sich Superhelden und bekämpfen auf diese Art Verbrechen."
Dokumentarfilme schon wieder? Diesmal es waren wohl wirklich welche, immerhin war Moritz ja einer dieser Typen, die sich verkleidete. Aber wozu? "Gibt es hier keine Polizei, die sich um Verbrecher kümmert?"
"Es gibt das Sicherheitskorps." Klara schnaubte, rempelte Baldor an und schob sich vor ihm in den Raum. Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. Für sie war das Gespräch noch nicht beendet. "Die Typen kannst du vergessen. Die Hälfte ist korrupt oder inkompetent. Wenn du so richtig Pech hast, behauptet irgendein mächtiger Macker, dass du ein Verbrecher bist, dann kannste einpacken. Richtige Verbecher kommen dafür ungeschoren davon. Die Siks, die ihr Herz am rechten Fleck haben, werden zum Strafdienst in die Außenweltabteilung geschickt. Zur Stadtverteidigung."
"Gegen was verteidigen sie die Stadtgrenzen?", wunderte sich Baldor. Viele Menschen gab es ja nicht auf der Erde und die Stadt schien ihr einziges Kulturzentrum zu sein.
"Gegen Banden, aggressive Viecher und Pflanzen, Mitarbeiter der Familienkonzerne und gegen Moritz. Ach, die Liste ist lang. Alles Aufgaben mit einer großen Chance, dabei draufzugehen."
Baldor schielte zu Moritz rüber und nickte. "Unangenehme Polizisten werden also zu gefährlichen Einsätzen geschickt, damit man sie loswird. Verstehe."
Das Gespräch der anderen, hauptsächlich zwischen Sergej und Moritz wurde lauter.
"Scheiße! Du hast doch gehört, was der Typ gesagt hat! Er hat dich benutzt! Baldor ist kein Vetis!" Sergej war aufgesprungen, reckte seinen Kopf nach vorne und streckte die Arme von sich. Sein Körper stand unter Spannung, Arm- und Halsmuskeln standen hervor. Wie ein wildes Tier, bereit für den Kampf. Nein, er hoffte sogar auf einen, wenn Baldor sie Zeichen richtig las.
"Sergej, das ist mir doch so was von egal. Du glaubst doch nicht, dass sich irgendein Alien darum schert, was mit uns hier auf der Erde passiert. Denkst du, außer den Vetis und den Thages gibt es überhaupt eine Rasse, die weiß, dass wir hier draußen sind? Es sei denn, sie stranden zufällig auf unserem Staubkorn. Und selbst dann wollen sie nichts lieber, als abhauen." Moritz blieb ruhig. Weil er ohne seine Rüstung sowieso keine Chance hatte? Baldor runzelte die Stirn und betrachtete die beiden genauer. Nein, Moritz hatte einfach keine Angst. Er wusste genau, dass Sergej ihn nicht ohne Provokation schlagen würde. Außerdem hatte Moritz nicht unrecht. Natürlich hatte Baldor noch nie etwas von der Erde gehört und es gab nur eines, was er von diesem Planeten wollte: wieder von ihm verschwinden. So schnell wie möglich.
"Ich könnte ihm Geld anbieten", sagte er. Nicht so laut, dass es Sergej oder Moritz auch hören konnten.
"Das haben wir doch schon geklärt." Klara wedelte den Vorschlag mit ihrer Hand davon. "Dein Geld ist hier nichts wert."
"Ich könnte hier Aufbauhilfe leisten, indem ich mit meinem Geld jemanden bezahle, der hierherkommt."
"Und dank der unnötigen Publicity fallen dann noch mehr Aliens hier ein?" Diesmal hatte Moritz ihn gehört. "Vergesst es. Ihr bekommt keine Hilfe von mir!" Er stampfte mit dem Fuß auf, dann vergrub er den Kopf in seinen Händen. "Hey, ich muss über all das sowieso erst einmal nachdenken. Wenn das stimmt, was ihr über Nil sagt … was er selbst gesagt hat … wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr erfahrt, dass alles eine Lüge war, für das ihr gekämpft habt?"
"An dem Punkt waren wir alle schon!", hielt Sergej dagegen. "Und das weißt du! Sei keine Pussy und hör auf, in Selbstmitleid zu ertrinken!"
Doch Moritz hatte seinen Entschluss bereits gefasst.
"Ich lege mich jetzt schlafen. Wenn ich wieder aufwache, seid ihr weg!"
Baldor konnte in Sergejs Zügen lesen, was er ihm entgegenwerfen wollte: 'Sonst was?' Doch er hielt sich zurück. Schluckte seinen Zorn. Moritz stand schwerfällig von seinem Stuhl auf und schlurfte in einen anderen Raum. Sergej und Sarah kehrten zu den anderen zurück.
"Und jetzt?", fragte Baldor.
"Wir lassen den Idioten schlafen", antwortete Sergej. Sein Kopf war rot, beinahe wie Baldors Haut und er schnaufte. "Wir gehen einen Freund von uns besuchen."
"Lover?", kam es von Klara.
"Ja, Lover. Ich hoff wirklich, dass sich Moritz wieder einkriegt, bis dahin ist der Typ unsere beste Option."
"Könnten wir, bevor wir zu diesem Lover aufbrechen, noch etwas essen?" Baldor schaute flehend in die Runde.
"Moritz hat bestimmt einen Nahrungssynth hier." Sergej sah sich um. Was das auch immer sein mochte. "Und er hat ja nicht gesagt, dass wir ihn nicht benutzen dürfen. Wir essen was, dann hauen wir ab." Sergejs Blick blieb an einem Punkt im Raum hängen. "Dort drüben."
Mehrere dicke Kabel führten dort von oben in die rechteckige schwarze Box hinein, darunter befand sich eine Plattform. Sergej ging näher heran und die Oberfläche der Box erhellte sich. Hatten die Menschen auch so eine Art Mikrokorallentechnologie?
"Was esst ihr Nethufianer so?", fragte Sergej.
"Wir Nethuf", hob Baldor zur Antwort an, "essen bestimmt ganz andere Sachen als ihr Menschen. Das musste ich heute schon feststellen. Gibt es eine … Art Menükarte?"
"Boss, vielleicht kann ich dir helfen. Ich kenne diese Technologie. Zufällig verfüge ich über eine riesige Datenbank für Nahrungssynths."
Ngi würde sich nun zum zweiten Mal an diesem Tag nützlich machen? Unglaublich!
"Wie kommt das denn?" Das hörte sich zu gut an, um wahr zu sein.
"Ich habe vor, mich als Koch in den Ruhestand zu begeben. Dafür habe ich schon etwas vorgesorgt, zum Beispiel mit einer Rezeptdatenbank. Der Nahrungssynth ist ursprüngliche keine Technologie der Menschen, sie ist bei vielen Völkern des Universums verbreitet. Irgendwie muss sie auch hier gelandet sein."
"Wirklich? Du willst als Koch anfangen?" Baldor schüttelte ungläubig den Kopf. "Okay, dann zeig mal, was du drauf hast!"
Einige Sekunden später hielt Baldor eine heiße Schüssel nethufischer Algensuppe in den Händen. Zum ersten Mal, seit er auf der Erde gelandet war, war er Ngi dankbar. Wenn er darüber nachdachte, war es überhaupt lange her, dass er jemandem wirklich dankbar gewesen war.