ALEX
Michael, Peter und ich sind auf dem Weg in das New Yorker Nachtleben. Nicht um zu feiern, sondern um Viktoria zu finden. Wir steigen aus und ich höre wieder diese ganzen lauten Geräusche. Die Menschen laufen schnell an uns vorbei. Unter anderem auch zwei hübsche blonde Mädchen. Der Rock ist schon fast zu kurz, um erlaubt zu sein und die anderen beiden können es nicht lassen, ihnen hinterher zu rufen. Ich schüttle nur meinen Kopf und schlage den beiden auf die Schulter, bevor ich mich auf dem Weg in das riesige Gebäude vor uns mache. Kein Mensch würde vermuten, dass hier eine Party für Nicht-Menschen stattfindet. Wer würde auch allen Ernstes einen versteckten Club in der St.Patricks Cathedral vermuten?
Also der Club ist ja nicht direkt in der St.Patricks Cathedral. Es ist genau so eine versteckte Tür, wie sie Luna erstellen kann. Der Durchgang geht ebenfalls in die andere Welt. Der Ort bleibt jedoch der Gleiche. Irgendwie ironisch in einer Kirche eine Party zu veranstalten. Aber auch einzigartig und atemberaubend, wenn man es das erste Mal sieht. Ich blicke nochmal zurück zu den anderen, bevor ich den ersten Schritt über die Schwelle mache und laute Musik in meinen Ohren ertönt. Heute ist es wirklich voll hier. Die Leute tanzen, feiern und trinken als wären sie Menschen. Aber keiner hier ist ein Mensch. Sie können diese Welt nicht betreten.
Wir bahnen uns den Weg durch die Massen und sofort steigt der Geruch von den verschiedensten Kräutern in meine Nase. Währenddessen halten wir Ausschau nach Viktoria. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass ich sie hier nicht finden werde. Aber es wird mit Sicherheit jemand hier sein, der uns sagen kann, wo wir sie finden können.
Wir steuern auf die lange, beleuchtete Bar zu und ich lasse meine rechte Hand auf den Tresen wandern. Als ich sie für einen Moment öffne und der silberne Stein darin zum Vorschein kommt, hat bereits der erste angebissen. Ein großer, dürrer Mann kommt auf mich zu und stellt sich mir gegenüber an die Bar. Seine tiefe Stimme ist kaum zu überhören.
„Was willst du dafür?“
„Viktoria.“
Ich antworte, so leise ich kann, damit so wenige wie mögliche es hören. Es sollte nur er hören. Der Vermittler. Vermittler sind übernatürliche Wesen die, wie der Name schon sagt, zwischen den Wesen vermitteln. Sie sind die unterste Schicht dieser Welt. Sie gelten als verlogen und man sollte ihnen gegenüber sehr vorsichtig mit seinen Worten sein. Er sieht mich an und blickt dann suchend zu seiner Rechten und Linken. Als würde er sich versichern wollen, dass ihn keiner beobachtet. Er greift nach etwas, dass sich unter dem Tresen befindet. Er legt einen Zettel auf die Bar und kritzelt mit einem Kugelschreiber etwas darauf. Langsam schiebt er ihn mir entgegen.
Bei einem kurzen Blick darauf kann ich eine Adresse erkennen. Also habe ich alles was ich brauche. Ich nicke ihm zu und drehe meine Hand auf dem Tresen, sodass der Stein am Tresen zurückbleibt. Danach drehe ich mich wieder um und stecke den Zettel in meine Hosentasche. Da ich damit gerechnet habe, dass die Jungs an meiner Seite sind, bin ich überrascht, als ich sie auf den ersten Blick nicht sehe. Bis ich sie entdecke. Das war ja so klar. Peter hängt an dem Ohr einer großen, langhaarigen Brünetten. Und Michael hält ein Glas in seiner Hand.
Ich gehe zu Mike und stelle mich neben ihn.
„Hey, komm wir müssen los.“
Er dreht sich zu mir und hält das Glas vor meine Nase. Es riecht nach Scotch und ich kann nicht anders, als zu grinsen. Sie sind beide wie kleine Kinder, die man keine Sekunde aus den Augen lassen kann.
„Komm Alex. Einen Drink. Ein Drink hat noch nie geschadet. Außerdem müssen wir warten, bis Peter die Nummer bekommt. Vorher wird er nicht mitkommen. Du musst dich mal ein bisschen entspannen.“
Er grinst und deutet dem Barkeeper an, dass er noch zwei Drinks bringen soll. Mit einem Finger zeigt er auf das Glas, dass er in seiner Hand hält und hebt danach zwei Finger in die Luft.
Eigentlich will ich keine Zeit verschwenden, aber ich weiß auch, dass ich einen Drink dringend nötig habe. Also nehme ich das Glas und lege es an meine Lippen um einen Schluck von dem, zu meiner Überraschung, gutem Scotch zu nehmen.
Einige Stunden später stehe ich noch immer an dieser Bar. Vor mir ein viel zu sehr aufgetakeltes Mädchen. Sie ist die Freundin von der Kleinen, mit der Mike gerade auf der Tanzfläche rummacht. Soviel zu dem Thema nur ein Drink. Aber ich muss zugeben, ich hatte schon lange nicht mehr solchen Spaß. Die beiden sind einfach zu verrückt. Doch jetzt lässt die Wirkung des Alkohols wieder ein wenig nach und die Kleine vor mir labbert seit einer halben Stunde nur Scheiße. Ich kann einfach nicht aufhören an Anna zu denken. Die Kleine ist ein gebissener Wolf und glaubt, sie würde alles wissen. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie nichts weiß. Aber ich versuche mich zurückzuhalten. Jedes Mal, wenn ich sie ansehe, könnte ich mich selbst würgen. Was mache ich hier? Wieso habe ich Anna erneut so von mir gestoßen? Wie gern würde ich jetzt einfach neben ihr liegen und meine Nase in ihren gut duftenden Haaren vergraben.
Irgendwie lässt mein Spaßfaktor nach und ich suche die Bar nach Peter ab. Doch der steht ebenfalls mit einem Mädchen an der Bar und sie befummeln sich gerade gegenseitig. Als das Mädchen vor mir nach meinem Arm greifen will, ziehe ich ihn schnell zurück und sie sieht mich mit großen enttäuschten Augen an. Ich kann nicht hier bleiben. Ich muss zu Viktoria. Also drehe ich mich einfach um und mache mich auf den Weg. Mike und Peter werden wohl alleine nach Hause kommen müssen. Besser gesagt werden sie wohl eher am Morgen zurückkommen, nachdem sie diese Mädchen flachgelegt haben. Vor einigen Jahren wäre ich sicherlich noch ein wenig geblieben und hätte das Mädchen vor mir auch flachgelegt. Aber jetzt ist diese Hexe namens Anna in meinem Kopf und ich kann nicht mehr klar denken.
Also gehe ich durch die große Holztür nach draußen. Mit meinem ersten Schritt in die reale Welt verstummt auch die laute Musik und die Geräusche dieser Stadt haben mich wieder. Die Menschen laufen hier entlang und sie wissen so wenig. Sie wissen nichts über diese Welt und die Gefahren, die an jeder Ecke lauern.
Die kalte Nachtluft fühlt sich gut an. Ich schließe meine Augen und ziehe die Nachtluft tief in meine Lungen, bevor ich mich auf den Weg mache. Da ich mir sicher bin, dass keine Gefahr von Viktoria ausgeht, kann ich wohl auch alleine zu ihr gehen. Ich hoffe, dass sie sich nicht verändert hat und jetzt die Seiten gewechselt hat. Aber das traue ich ihr nicht zu. Also gehe ich die Treppen hinab und hebe meine Hand, um ein Taxi zu rufen.
Einige Minuten später hält der Taxifahrer vor einem modernen Gebäude an. Ich reiche ihm das Geld und steige aus. Für einen Moment bin ich überwältigt von dem riesigen Gebäude. Sie war schon damals sehr erfolgreich, aber dass hier übertrifft alles, was ich mir je vorgestellt habe.
Vor dem überdachten Eingang erwartet mich ein grimmig blickender, großer Mann. Er stellt sich vor mich und scheint ernsthaft zu glauben, dass er mich aufhalten kann. Irgendein Teil in mir, würde sich sogar freuen, wenn er es darauf anlegen würde. So eine kleine Auseinandersetzung würde mir gerade recht kommen. Doch ich versuche mich daran zu erinnern, weswegen ich wirklich hier bin und bringe ein genervtes „Ich will zu Viktoria.“, über meine Lippen.
Ich warte nicht einmal auf seine Einverständnis, sondern gehe einfach an ihm vorbei. Er hingegen stellt sich mir in den Weg. Mein Puls schießt in die Höhe und ich verliere die Kontrolle über meine Aggression. Fuck. Ich hätte vielleicht doch den letzten Drink nicht trinken sollen.
Auch, wenn es mir schwerfällt, versuche ich gegen den Drang anzukämpfen, ihm meine Faust in seine hässliche Fresse zu schlagen. Zu seinem Glück höre ich eine sanfte weibliche Stimme.
„Tobias, lass ihn durch. Er ist ein alter Freund.“
Der Riese vor mir tritt zur Seite und gibt den Blick auf Viktoria frei. Sie sieht genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Einzig ihre Frisur hat sich geändert. Sie trägt jetzt schulterlange, rote Haare und sieht damit gut aus, wie immer. Ihr kurzer Rock und die hohen Schuhe lassen ihre Beine endlos wirken. Vor allem, als sie auf mich zugeht und vor mir stehen bleibt. Ihr blauen Augen blicken in meine und ihre vollen Lippen legen sich für eine Begrüßung auf meine Wange. Bei dieser Bewegung würde ich gerne zurückweichen, aber ich lasse es über mich ergehen.
„Schön dich zu sehen, Alex. Es ist eine Ewigkeit her. Wie geht es dir?“
„So wie immer. Ich brauche deine Hilfe.“
Ich habe einfach keine Nerven für irgendwelchen „wie ist es dir ergangen-Quatsch“ also komme ich am besten gleich zur Sache. Mit einem verschmitzten Grinsen blickt sie mich an und wendet mir den Rücken zu.
„Dachte ich es mir, dass ein Bethlen nicht ohne Grund hier auftaucht. Komm mit.“
Sie hebt ihre Hand und gibt mir damit zu verstehen, dass ich ihr folgen soll. Auch wenn es gegen meine Natur ist, jemandem zu gehorchen, so folge ich ihr durch das strahlend, weiße Foyer zum Aufzug. Sie drückt eine Ziffer und sofort bewegen wir uns aufwärts. Die Stimmung wirkt angespannt, während wir nebeneinander stehen und darauf warten, dass sich die Aufzugtüren wieder öffnen. Vielleicht aber auch deswegen, weil ich damals abgehauen bin, ohne ihr auf Wiedersehen zu sagen. Deswegen sprechen wir wohl auch während der Fahr nach oben kein Wort miteinander. Erleichterung macht sich in mir breit, als sich die Türen öffnen und den Blick auf einen riesigen Raum freigeben. Für meinen Geschmack ist er etwas zu steril eingerichtet, doch die Glasfront, die einen atemberaubenden Blick auf New York freigibt, lässt mich kurz Staunen.
Viktoria geht zu der Kücheninsel, die sich auf der rechten Seite befindet und holt eine Flasche und zwei Gläser hervor, bevor sie sich auf dem Sofa, das mitten im Raum steht, niederlässt. Sie stellt die Gläser und die Flasche auf dem niedrigen Tisch ab und winkt mich mit einer Handbewegung zu sich.
„Komm setz dich. Am besten, wir kommen gleich zur Sache. Was willst du?“
Das gefällt mir. Sie scheint nicht sauer zu sein und ich lasse mich erleichtert auf das gegenüberliegende Sofa fallen.
„Ich brauche Informationen von einem Jäger. Ich muss wisse, wo seine Schwächen liegen.“
Sie lächelt und schenkt den Whiskey in die beiden Gläser ein. Sie lässt sich wieder zurückfallen und dabei knirscht das Leder des Sofas. Sie legt das Glas an ihre roten Lippen und trinkt einen Schluck, bis sie ihre Finger verführerisch über den Rand des Glases streichen lässt.
„Du meinst Marius?“
Es überrascht mich aufs Neue, wie es funktionieren kann, dass sie immer einen Schritt vor raus ist. Obwohl, ich mir nicht vorstellen könnte, damit leben zu können. Alles von der Zukunft zu wissen, was einem erlaubt wird zu sehen, wäre nichts für mich. Dann würde das Leben zu langweilig sein und ich konnte mit Langeweile nie etwas anfangen.
„Ich habe schon fast vergessen, was du alles kannst. Du hast sicherlich auch gewusst, dass ich komme.“
Sie lächelt, als sie das Glas auf dem Tisch abstellt und ihre Ellbogen auf ihre Oberschenkel stützt. Sie sieht mich mit diesem dunklen Blick an, der, der früher einmal meinen Schwanz zum Zucken gebracht hätte. Vor einigen Jahren hätte ich sie jetzt gepackt und sie gleich hier auf dem Tisch gevögelt. Doch irgendwie hat sich alles verändert. Anna hat mich verändert. Obwohl, ich mich so sehr dagegen gewehrt habe.
„Alex, du weißt, was zu tun ist, wenn du etwas über Marius herausfinden möchtest.“
Ich weiß nur zu gut was ich dafür tun muss. Als sie aufsteht, kommt es mir so falsch vor. Aber ich muss. Also warte ich darauf, bis sie vor mir steht und sich auf meinem Schoß setzt. Die Luft um uns beginnt sich aufzuladen und um es mir leichter zu machen, schließe ich meine Augen und stelle mir vor, dass es Anna's Lippen sind, die ich küsse. Denn nur durch den Kuss einer Seherin, wird einem der Blick vergönnt, auf das was einem erlaubt ist zu sehen.