ANNA
Schweigend mache ich mich mit David auf den Weg zum Eingang in diese versteckte Welt. Alex's Blick als wir uns zum Gehen gewendet haben, wirkte besorgt. Die Ungewissheit darüber, dass ich nicht weiß, was das jetzt zwischen uns ist oder wird, ist ständig in meinen Gedanken. Was mich jedoch auf etwas hoffen lässt, ist, dass er sich heute morgen nicht vor den Jungs versteckt hat. Es schien fast so, als würde es für ihn vollkommen in Ordnung sein, dass seine Freunde davon wissen.
Ich wusste, er würde mich nicht gehen lassen. Deswegen war ich auch froh, dass David mir geholfen hat ihn zu überzeugen. Ich glaube Alex mag David. Okay, wie sollte man David auch nicht mögen? Er ist freundlich, stark, ehrlich und er hat seinen eigenen Humor, bei dem einen das Lachen automatisch über die Lippen kommt.
Nach einigen Minuten stehen wir vor dem Durchgang zur versteckten Welt. Doch die erste Frage die in meinen Gedanken herumschwirrt: „Wie öffne ich dieses verdammte Portal ohne Luna's Hilfe?“
Ich weiß nicht mehr, welches Zeichen sie da in den Boden gezeichnet hat. Langsam aber sicher scheint mein Plan, wieder einmal, nicht ganz zu funktionieren, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hätte. Anna, vorher denken, dann handeln. Meine innere Stimme muss mich natürlich wieder ermahnen und mich auf meine ständige Voreile hinweisen. Ein leiser Fluch kommt über meine Lippen. Ich weiß, ich sollte nicht fluchen, aber ich bin wirklich zu dämlich um mir diese Sachen zu merken.
Bevor ich mich jedoch weiter darüber ärgere, spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und ich kann ein leises Lachen hören. Ich wünschte mir, dass ich manchmal auch einfach so locker sein könnte und mich nicht gleich immer über alles ärgern muss. Besonders über mich selbst.
„Keine Ahnung wie du das Ding öffnen sollst? Dann frag einfach deinen Bruder.“
Er lächelt selbstbewusst und legt seine Hände bestimmend auf seine Brust und legt seinen Kopf in den Nacken um übertrieben sein Kinn nach oben zu strecken. Ich kann nicht anders als ihn mit hochgezogenen Augenbrauen anzusehen, bevor auch ich lächeln muss. Ich bin froh über David. Ich weiß nicht, wie er das immer hinkriegt, aber er scheint einfach alles zu wissen.
„Doch bevor wir durch das Portal gehen, müssen wir noch dafür sorgen, dass du nicht erkannt wirst.“
Er kommt auf mich zu und ich bin gespannt wie er es dieses Mal schaffen will. Ich weiß noch genau wie ich das letzte Mal in dieser Welt war. Und ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich Todesangst hatte, als sich mir jemand in den Weg gestellt hat. Doch ich kann mich auch daran erinnern, dass Alex mich gerettet hat. Er hat trotz allem auf mich Acht gegeben. Obwohl er mich davor von sich gestoßen hat.
„Und wie sollen wir das hinbekommen? Ich kann nicht einfach aufhören eine Bathory zu sein.“
„Ist eigentlich ganz einfach. Du verwandelst dich einfach wieder in einen Wolf. Niemand wird auch nur daran denken, dass in dir Bathory Blut fließt. Wie du weißt sind Werwölfe auf die Bathoryfamilie nicht gut zu sprechen und keiner wird auch nur im Geringsten vermuten, dass du eine Bathory bist. Ich werde dir helfen dich zu verwandeln und dann in Menschengestalt an deiner Seite sein. Vertrau mir einfach, dass wird funktionieren, solange du in meiner Nähe bleibst.“
Etwas unsicher nicke ich ihm zu, bevor er beide Hände auf meine Schulter legt. Das Gute daran ist, dass ich es schon einmal gemacht habe und ich schon weiß wie es funktioniert. Also blicke ich in seine Augen und versuche mich ganz auf ihn zu konzentrieren. Es fühlt sich genauso an wie beim letzten Mal. Nur zu gut kann ich mich an dieses wahnsinnige Gefühl erinnern. Schon sehe ich David als Wolf vor mir. In gleicher Augenhöhe. Als ich an mir hinab blicke, kann ich wieder meine Pfoten erkennen. Wie sich das anhört? Es ist irgendwie verrückt davon zu sprechen, aber es ist wahr. Ich habe wirklich Pfoten. Innerlich muss ich lächeln über diese verrückten Gedanken. Hätte mir Jemand vor einigen Monaten gesagt ich könnte ein Wolf sein, hätte ich gedacht sie wären auf irgendeiner verrückten und kranken Droge. Doch jetzt. Jetzt stehe ich wirklich hier als Wolf und es ist genauso aufregend wie beim ersten Mal.
Als ich von diesem Anblick meiner Pfoten loslasse und zu David blicke, sehe ich wie er sich verwandelt. Er hat seine Menschengestalt wieder und blickt jetzt mit einem Lächeln auf mich herab. Er dreht sich wieder zum Eingang, fasst mit einer Hand an die Rinde und legt seinen Finger auf die trockene weiche Erde. Langsam lässt er seine Finger über die Erde gleiten und schon erscheint ein Zeichen vor meinen Augen. Diesesmal möchte ich es nicht wieder vergessen und versuche es mir einzuprägen.
Gleich darauf bewegen sich die Efeuranken in einem Bogen über uns. Diese Magie ist immer wieder faszinierend und lässt mich für einen kurzen Moment innehalten. David berührt mit seiner Hand sanft meinen Rücken und nach einem kurzem innerlichen Seufzer gehe ich mit ihm durch dieses Portal.
Vor uns eröffnet sich wieder diese Welt. Diese riesige Halle, die aussieht als würde sie einfach nur eine Fabrik in unserer Welt sein. Doch mit so vielem mehr zu entdecken. Zu gerne würde ich hier in Menschengestalt durchmarschieren und alles begutachten. Doch ich weiß, ich kann nicht und so versuche ich mich einfach nur auf David zu konzentrieren.
Ich folge ihm und manchmal riskiere ich einen Blick auf die Leute die sich hier tummeln. Doch nach ein paar Sekunden, spüre ich etwas Seltsames. Die Stimmung ist nicht dieselbe, wie bei meinem letzten Besuch. Irgendetwas stimmt hier nicht. Oder ist es vielleicht nur weil ich in Wolfsgestalt hier herum spaziere? Es fühlt sich an, als würden die Leute hier hektischer sein. Ich kann diese Unruhe förmlich riechen. Ich weiß nicht was es ist, aber ich blicke fragend zu David. Ich spüre jedoch nicht die geringste Aufregung bei ihm. Also ist es vielleicht nur, weil ich gerade ein Wolf bin? Somit beruhige ich mich und gehe vor David entlang um ihn zu Lexa zu führen. Und schon kann ich sie sehen. Diese riesige schwarze Eisentür. Irgendwie komme ich mir jetzt hilflos vor. Natürlich kann ich diese Tür nicht öffnen. Es sei den, ich verwandle mich wieder zurück in Menschengestalt, wo mich dann vermutlich jedes Wesen hier töten möchte. Doch da sehe ich David's Hand auf der schweren Türklinke und meine Sorgen rücken in den Hintergrund. Ich vergesse nur zu oft, dass ich Jemanden habe, auf den ich mich verlassen kann.
David drückt den Türgriff nach unten und schon tritt mir wieder dieser Geruch in die Nase. Dieses Mal schlimmer. Ich denke, das ist der verschärfte Geruchssinn. Ich folge ihm und er hält mir die Tür solange auf, solange bis auch mein Hinterteil durch ist. Doch er stoppt so plötzlich, dass ich ihn fast umlaufe. Gerade noch so kann ich abbremsen um ihn nicht niederzutrampeln. Wieso geht er nicht einfach weiter? Anna, wahrscheinlich weil er nicht weiß wohin. Okay, vielleicht sollte ich mein Hirn einschalten. Also gehe ich um David herum und will nach dieser Tür suchen. Der Tür zu dem Zimmer, in dem Lexa mir das letzte Mal, dieses Zeichen verpasst hat. Doch auch ich bleibe jetzt stehen. Dieser Anblick ist abscheulich. Für einen Moment stoppt die Zeit und ich meine Atmung. Ich kann nicht glauben, was meine Augen da sehen.
Überall am Boden, an den Wänden, auf der Theke, einfach überall klebt Blut. Am Rand der Theke haben sich kleine Tropfen gebildet, die wie in Zeitlupe auf dem, ebenfalls mit Blut bedeckten, Holzboden fallen. Einige Körper liegen noch immer am Boden. Ich möchte es nicht sehen, doch ich muss. Ich muss wissen, ob auch Lexa dabei ist. Bitte lass das nicht wahr sein. Bitte lass Lexa leben. Also bewege ich mich durch diese verdammte Bar und der Geruch des Blutes brennt in meiner Nase. Ich laufe an einem Mann vorbei, dessen Kehle aufgeschlitzt ist und sich um seinen Körper eine riesige dunkelrote Blutlache gebildet hat. Die Augen sind weit geöffnet und ohne es zu wollen, werde ich wieder an Samantha erinnert. Bei diesem Anblick im See fühlte ich mich genauso wie jetzt.
„Anna, was ist hier los?“
In David`s Blick liegt Entsetzen. Ich kann ihm nicht antworten. Auch wenn ich in Menschengestalt wäre, könnte ich ihm nicht antworten. Ich habe keine Ahnung wie jemand so etwas tun kann. Deswegen hatte ich auch vorhin dieses Gefühl. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt.
Ich wandere weiter durch die Bar und jedes mal, wenn meine Pfoten am Boden aufkommen kann ich das Blut spüren, dass daran kleben bleibt. Ich spüre, wie es schon fast eingetrocknet ist und trotzdem noch daran kleben bleibt. Doch es ist mir egal. Das Einzige was zählt ist, dass wir Lexa finden. Wir müssen sie finden. Doch gerade als ich an sie denke, sehe ich einige Meter von mir entfernt einen weiteren leblosen Körper in einer Blutlache. Für einen Moment hört mein Herz auf zu schlagen. Für einen Moment hoffe ich, dass dieses Bild nicht real ist.
Ich kann nur die schwarzen langen Haare erkennen, die sich am Boden verteilen und mit Blut verklebt sind. Mit langsamen Schritten bewege ich mich auf sie zu. Als ich direkt über ihr stehe, bekomme ich Panik. Ich kann kein Gesicht sehen. Denn das Gesicht ist nicht mehr zu erkennen. Es sieht aus, als würden tiefe Schnitte dieses Gesicht verunstaltet haben. Ich kann nicht einmal mehr erkennen, wo sich in diesem Gesicht die Augen befinden. So schlimm ist sie zugerichtet. Es ist das Schlimmste was ich bis jetzt in meinem Leben sehen musste. Schlimmer, als dieser Anblick von Samantha. Könnte ich jetzt meine Hand auf meinen Mund pressen, würde ich es machen. Mir wird übel und mein Magen beginnt gegen diese Bilder in meinen Kopf zu rebellieren. Dieser Anblick lässt meine Beine weich werden und ich muss mich konzentrieren, dass ich nicht auf der Stelle umfalle. Bitte lass das nicht wahr sein? Bitte. Ich flehe innerlich alle möglichen Götter an. Ich kann und will es nicht glauben. Nicht sie auch noch. Ich bin verzweifelt und ohne großartig darüber nachzudenken, verwandle ich mich wieder in Menschengestalt. Ich fühle mich hilflos. Wer kann so herzlos sein und diese Leute einfach abschlachten?
Ich spüre erneut diese Wut und eine Trauer, die eine kleine Träne in meinem Augenwinkel bildet. Wie soll ich das Alex beibringen? Ich weiß, dass er mit ihr nicht gesprochen hat und sie im Streit auseinander gegangen sind. Doch sie ist seine Schwester. Würde er nicht traurig darüber sein? Ich kann ihn zwar noch immer nicht einschätzen, aber ich bin mir sicher es würde ein Stück von seinem Herzen zu Bruch gehen. Ich dachte wirklich ich hätte schon fast alles von dieser Welt gesehen. Doch so etwas Grausames und Herzloses habe ich noch nie gesehen. Wie kann man auch nur im geringsten dazu fähig sein? Dazu fällt mir nur Salivana und Marius ein und meine Wut scheint mich komplett in den Wahnsinn zu treiben. Bevor ich mich jedoch noch weiter hineinsteigern kann, bleibt David neben mir stehen und spricht so leise, als würde er die Toten nicht wecken wollen.
„Ist sie das?“
Ich habe Angst vor dieser Antwort. Lexa?