ANNA
David's Frage schwebt wie ein dichter undurchdringbarer Nebel in diesem Raum. Ist sie das? Ist das Lexa?
Ich will es nicht sagen. Ich will es nicht wahrhaben. Alles scheint verloren. Es ist alles verloren. Ich spüre, wie sich das Blut vom Boden, durch meine Hose frisst und auf die Haut meiner Knie trifft. Ich kann es riechen und ich kann es spüren. Überall hier ist der Tod. Ich dachte nicht, dass ich jemals den Tod riechen könnte. Doch er ist es. Der beißende Geruch, die Verzweiflung, der Schmerz. Alles. Ich spüre alles. Es ist, als würde ich jedes Leid in diesem Raum spüren. Jede Verletzung. Jeden Tropfen Blut der hier vergossen wurde. Für was? Warum machen Menschen oder auch Nicht-Menschen so etwas? Was ist diese Welt? Ganz gleich ob es diese ist oder auch die der Menschen. Jeder hat etwas Böses in sich und es scheint als würde das Böse gewinnen. Welcher Gedanke muss einem dabei im Kopf herumschwirren? Ich kann es nicht verstehen und es kommt ein leises verzweifeltes „Ich bin mir nicht sicher“, über meine Lippen. Nach diesen Worten ist es um mich geschehen. Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. Es bricht aus mir heraus. Es ist nicht nur die Trauer über Lexa. Es ist auch dieser Schmerz, den ich spüre. Vor allem aber bin ich enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass ich wieder einmal nicht vorwärts komme und dass Marius und diese teuflische Salivana wieder einmal einen Schritt voraus zu sein scheinen.
David umfasst mit seiner Hand meinen Oberarm und ich bekomme es nicht wirklich mit. Es ist alles so unwirklich und leider doch die traurige Wahrheit. Ich spüre wie er mich nach oben zieht. Ich stehe neben ihm und er stellt sich wieder vor mich. Sein Blick schweift kurz zu dieser Leiche. Zu dieser verstümmelten Leiche, von der ich glaube, dass es Lexa ist. Dann blickt er wieder zu mir.
„Anna, wir müssen hier weg. Wer auch immer das hier getan hat, ist entweder noch hier oder wird wieder kommen um den Dreck zu beseitigen. Und wie du jetzt schon bemerkt hast, bist du wieder ein Mensch und ich denke nicht, dass du dich jetzt, in diesem Zustand in einen Wolf verwandeln kannst. Also komm, lass uns verschwinden.“
Ich höre die Worte die über seine Lippen kommen, doch mein Körper will sich nicht bewegen. Erst nach einigen Versuchen von David, folge ich ihm geistesabwesend. Vorbei an den blutverschmierten Tischen und noch schlimmer, den ganzen Leichen. Ich versuche nicht hinzusehen. Doch ich kann mich nicht immer zusammenreißen und so schweift mein Blick noch einmal durch diese Bar. Ich weiß, das meine Augen mit Tränen gefüllt sind und ich nicht mehr klar sehen kann, aber ich habe etwas gesehen. Also ich denke, ich habe etwas gesehen. Es ist die Tür zu diesem Raum, in dem mir Lexa gesagt hat das ich keinen Talisman brauche. Ich weiß, es ist alles hier mit Blut besudelt, doch irgendetwas an diesen Blutflecken ist anders. Es sieht aus, als hätte sich jemand in diesen Raum geschleift. Die Tür steht einen Spalt offen und ich kann Licht in diesem Raum erkennen. Der plötzliche Drang, in diesen Raum zu gehen, ist so groß, dass ich es schaffe mich von David's Griff loszureißen und mit schnellen Schritten zur Tür zu gehen. Jetzt folgt mein Körper wieder ganz meinem Geist. Es ist, als würde ich hineingezogen werden. Wieder spüre ich, wie das Blut an meinen Schuhen kleben bleibt. Ich kann hören wie sich die Sohle wieder vom Boden hebt und dabei die Fäden des Blutes auf ihnen kleben bleiben. Ich höre auch, wie David mir folgt und einen leisen Seufzer von sich gibt. Ich weiß er hat recht und wir müssen hier weg. Aber ich kann nicht gehen, solange ich nicht Gewissheit habe. Kurz bevor ich die Hand auf die blutverschmierte Tür legen will, stellt sich David mir in den Weg. Seine jetzt roten Augen starren mich an. Seine Reißzähne liegen ebenfalls über seinen Lippen. In dieser Gestalt sieht er so furchteinflößend aus und dennoch spüre ich nicht einen Funken Angst.
Nicht vor David. Seine tiefe Stimme, lässt mich wissen, dass hinter dieser Teilverwandlung enorme Anstrengung steckt, aber so kann er schneller seiner Kräfte einsetzen, wenn er sie braucht.
„Ich gehe vor. Wer weiß was uns erwartet.“
Ich will ihm nicht widersprechen und ich weiß auch, dass ich mich nicht so wehren könnte wie er. Ich meine damit einen Kampf. Meine innere Stimme ermahnt mich, dass ich mehr trainieren sollte. Ich muss mich auch so verteidigen können, ohne meine Kräfte. Das sollte definitiv eine Vorsatz für die Zukunft sein. Sollte ich es hier wieder raus schaffen. Also nicke ich David zu und folge ihm. Er legt seine Finger auf die blutverschmierte Holztür und mit einem leisen Knarren öffnet er diese. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich denke, dass ich auch David's Herzschlag hören kann. Ungeduldig warte ich darauf, was sich hinter der Tür befindet, obwohl ich Angst habe. Angst davor, noch etwas Schlimmeres vorzufinden. Ohne nachzudenken stoppe ich meine Atmung. Ich konzentriere mich auf meine Augen. Auf den Blick der sich mir bietet. Das Zimmer ist nur durch eine Kerze beleuchtet und ich kann nicht viel erkennen. Nur die Umrisse des Bücherregals und die der Möbel. Es wirkt so düster. Einige Bücher liegen auf dem Boden und ich lasse meinen Blick darüber schweifen. Dann schweift mein Blick zum Tisch, der mitten in diesem Raum steht. David will mich noch immer beschützen und streckt seine Hand schützend vor mir aus.
Plötzlich schrecken wir beide auf. Ich kann etwas hören. Ein leiser Atemzug. Doch woher kommt dieses Geräusch? Ich bekomme Panik. Es ist jemand hier drinnen. Doch wer oder was ist es? Diese Spannung treibt mich fast in den Wahnsinn. Besonders, da ich nichts Genaueres erkennen kann. Doch David anscheinend schon. Denn er geht ohne zu zögern auf den Tisch zu und schiebt ihn zur Seite. Jetzt, wo das Licht auch diese Stelle trifft, kann ich erkennen was David gesehen hat. Besser gesagt wen. Bis jetzt kann ich jedoch nur die Umrisse des Körpers erkennen. David versucht demjenigen zu helfen und greift unter den Körper um ihn zu stützen. Schon kann ich ein Schmerzerfülltes Stöhnen wahrnehmen.
Dieser eine Funke Hoffnung den ich noch in mir getragen habe, dass es Lexa ist, erlischt in der Sekunde, in der ich das Gesicht sehe. Denn es ist nicht das Gesicht von Lexa. Es ist auch kein unbekanntes Gesicht. Es ist ein Stich in mein Herz. Meine Fassade beginnt zu bröckeln. Diese Augen und dieses Gesicht. Er ist blutüberströmt und bei genauerem hinsehen kann ich erkennen, dass mehrere Holzsplitter in seinem Körper stecken. Als David's Augen ebenfalls erkennen, um wen es sich hier handelt, lässt er ihn sofort los. Langsam und mit einem schmerzerfülltem Stöhnen sackt er wieder in sich zusammen. Ich dachte nicht, ihn nochmals so zu sehen. So nahe, dass ich kaum noch Atmen kann. Diese Augen, die mich noch immer anstarren als er vor mir kniet. Seine blutbeschmierten Hände liegen noch immer auf der großen Wunde, die sich über seiner Brust befindet. Es ist Nathan. Ich will es nicht glauben. Ich hasse ihn. Denke ich. Doch wenn ich in diese Augen blicke überkommen mich Zweifel. Doch ich darf nicht daran zweifeln. Er ist böse. Doch wieso ist er hier? David liest meinen Blick und ich kann mich immer noch nicht bewegen. Zu sehr schmerzt dieser Anblick. Obwohl ich es nicht zulassen will, schmerzt es mehr den je. Es schmerzt, da ich eigentlich Lexa erwartet hätte und nicht IHN. Diesen Menschen der mir schon so viel Leid zugefügt hat. Doch er ist hier. Ein leises „Warum?“ huscht über meine Lippen und er sieht mich wieder einmal mit diesen gefährlichen Augen an. Augen, die aussehen, als könnte man ihnen Vertrauen und die dann im schlimmsten Moment dein Herz brechen.
„Was ist passiert? Wo bin ich hier?“
Das war nicht die Antwort die ich von ihm erwartet habe. Die Worte klingen ehrlich und doch will ich diesem Lügner kein Wort glauben.
„Nathan, ich frage dich jetzt ein letztes Mal. Warum bist du hier? Was hast du dieses Mal vor?“
Er blickt mich wieder verwirrt an und dann zu David, der ihn mit Wut in den Augen betrachtet. Doch Nathan schüttelt ungläubig seinen Kopf.
„Wieso kennst du meinen Namen?“
Also jetzt will mich wohl wirklich verarschen. Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein. Zuerst diese ganzen Lügen und jetzt, wo er hilflos vor uns am Boden kniet, kann er noch immer nicht damit aufhören mich anzulügen. Es scheint, als wäre das seine Droge. Sein Spaß, den er braucht. Mich immer wieder zu verletzen und zu belügen. Doch nicht mit mir.
„Nathan, hör auf mit diesem Scheiß. Du bist in der Unterzahl und du kannst auch aufhören mit deinen Lügen. Du wirst mich nicht noch einmal verletzen. Sag mir die Wahrheit. Was machst du hier und wo ist Lexa?“
Wieder schüttelt er ungläubig und verwirrt den Kopf.
„Ich weiß nicht woher du meinen Namen kennst und ich weiß auch nicht wieso ich hier bin. Ich weiß gar nichts. Das letzte an das ich mich erinnern kann ist, dass ich nach Driftwood gekommen bin. Bitte glaubt mir, ich lüge nicht.“
Wieder wandert sein Blick zwischen David und mir hin und her. Ich kann diese Lügen nicht länger ertragen und ich gebe auf. Ich will nicht noch weitere Kraft verschwenden. Also wende ich mich zum Gehen und bitte David mit mir zu kommen.
„Komm David. Es hat keinen Sinn. Er ist einfach ein Lügner.“
Als ich schon durch die Tür hindurch bin, warte ich auf David. Ich höre seine Schritte hinter mir und er greift auf meine Schulter und kommt mit seinem Mund ganz nah an mein Ohr, um mir etwas zu zuflüstern.
„Anna, ich denke, er sagt die Wahrheit.“
„Das kann nicht sein. Er lügt. Wie immer. Er versucht unser Vertrauen zu gewinnen, um uns dann wieder weh zu tun. Er wird versuchen uns umzubringen.“
„Anna, das ist nicht der Nathan, der dir weh getan hat. Ich weiß, dass er nicht lügt. Ich kann seinen Herzschlag hören. Er kann sich an nichts erinnern. Er sagt die Wahrheit. Auch, wenn ich diesen Arsch selbst gerne hier verrecken lassen würde, er lügt nicht.“
„David, bist du wirklich so naiv? Er ist ein Vampir. Er kann alles kontrollieren, auch seinen verdammten Herzschlag. Er lügt.“
Ich bin so wütend. Wütend darüber, dass David auf diesen Lügner reinfällt. Ich muss hier weg. So schnell wie möglich. Weg von Nathan. Diesem verdammten Lügner. Doch David fasst an meinen Oberarm und zieht mich zu sich. Dieses Mal ist er nicht so sanft. Als ich vor ihm stehe und in sein Gesicht blicke, weiß ich, dass die folgenden Worte ihm nicht leicht fallen.
„Okay Anna, das mag sich jetzt verrückt anhören, aber Nathan...naja er ist kein Vampir. Also nicht mehr. Ich kann es nicht erklären, aber ich denke er ist etwas anderes.“
Ich muss mich zügeln, um meine Stimme gesenkt zu halten. Ich kann nicht glauben, was David mir hier erzählen will. Das kann nicht sein.
„Was ist er dann? Nur ein weiteres Arschloch, das uns umbringen will. Er versucht dich zu manipulieren. Glaube diesem Schwein kein Wort.“
David schüttelt den Kopf und blickt über seine Schulter, um nach Nathan zu sehen. Dieser kniet noch immer am Boden und krümmt sich vor Schmerz. Vielleicht hat David ja recht. Vielleicht ist er kein Vampir mehr. Ich kann es mir zwar schwer vorstellen, aber wer weiß, was in dieser Welt noch alles möglich ist. Es sind seine Wunden die nicht verheilen, was mich David`s Worten Glauben schenken lässt. Wäre er ein Vampir, würden sie schon verheilt sein. David blickt in meine Augen und legt seine Finger an meine Schulter, um mich näher zu ziehen.
„Anna, ich weiß dieses Arschloch hat dich fast umgebracht, aber er ist es nicht mehr. Keine Ahnung, wie, aber er ist kein Vampir. Er ist aber auch kein Mensch. Ich weiß nicht, was er ist. Ich weiß nur, dass wir ihn nicht einfach sterben lassen können. Also hilf mir ihn zu stützen. Wir müssen so schnell wie möglich hier verschwinden. Glaub mir, er kann uns nichts tun. Ich bin stärker als er. Er hat keine Chance.“
In mir herrscht ein Krieg zwischen Verstand und Herz. Sein Aussehen lässt mich ihn hassen. Doch wenn ich diesen zusammengekauerten, blutüberströmten und mit Wunden übersähten Körper sehe, kann ich nicht anders, als David zu glauben. Obwohl sich mein Verstand noch immer gegen diese Wahrheit von David wehrt, kann ich nicht anders als zu helfen. Was ist, wenn er meinetwegen hier stirbt? Könnte ich mir das jemals verzeihen? Was ist, wenn er wirklich unschuldig ist?
Schon löse ich mich von David's Griff und gehe wieder zurück in das Zimmer, in dem dieser, mir so fremde Nathan am Boden kniet. Ich habe Angst ihn zu berühren. Auch wenn er nicht mehr der Alte zu sein scheint, habe ich Angst seinen Körper zu berühren. Zu schmerzvoll sind die Erinnerungen. Doch ich muss David helfen. Also überwinde ich meine Ängste und fasse unter seinem Arm, um ihm aufzuhelfen. David blickt zufrieden auf mich herab. Er legt seine Hand auf Nathan's Schulter und sieht in mit ernstem Blick an.
„Okay, dass wird jetzt wirklich weh tun. Vorher musst du jedoch mein Blut trinken.“
„Wieso sollte ich? Ich bin ein Vampir. Ich kann mich selbst heilen.“
Und da ist er wieder. Dieser arrogante Nathan.
„Entweder hast du auch einen Schlag auf den Kopf bekommen oder du bist einfach nur Ignorant, aber wie du siehst heilen deine Wunden nicht. Also lass mich dir mein Blut geben. Oder stehst du auf Schmerzen? Dann helfe ich dir einfach nicht. Fest steht, dass ich dich nicht den ganzen Weg tragen kann. Wenn du also nicht selbst gehen kannst, dann trink einfach und halt deine Klappe.“
David spricht etwas forsch mit ihm und ich kann an Nathan's Blick erkennen, dass es ihm nicht ganz recht zu sein scheint. Doch er gibt sich geschlagen.
„Okay. Dann mach schon.“
David nickt siegessicher und schon bohren sich seine Zähne in seinen Unterarm. Das Blut quillt aus der Wunde und er lässt seinen Arm zu Nathan wandern. Etwas widerwillig höre ich, wie er davon trinkt. Nach einigen Sekunden zieht David seinen Arm wieder weg und hält mit seiner linken Hand noch immer Nathan's Schulter fest.
„DAS, meinte ich mit wehtun.“
Ohne zu zögern, greift er nach den Holzsplitter in Nathan`s Brust und beginnt jeden Einzelnen davon raus zuziehen. Bei jedem dieser Splitter höre ich das schmerzhafte Stöhnen von Nathan. Jedesmal krümmt er sich vor Schmerz, als wieder einer von seinem Fleisch gelöst wird. Ich denke, dass ich die Schmerzen fühlen kann. Den auch ich muss jedes Mal meine Augen schließen, um mein verdammtes Mitgefühl für ihn zu verstecken. Ich will nicht, dass auch nur irgendjemand bemerkt, dass ich mit Nathan Mitgefühl habe. Ich darf mir das nicht erlauben.
Als die Qual überstanden ist, stellt sich David neben Nathan und beginnt ihn ebenfalls zu stützen. Langsam scheint es ihm wieder besser zu gehen und er beginnt sich aufzurichten. Ich denke, David's Blut zeigt jetzt seine Wirkung.
Wir versuchen durch die Bar zu gehen und ich spüre die Wärme, die von Nathan's Körper ausgeht. Es ist komisch ihn so nahe zu haben und doch wieder nicht. Und es ist auch komisch, da er sich warm anfühlt.
Wir erreichen die Tür, die nach draußen führt. Dorthin, wo die größte Gefahr auf uns wartet. Ich kann mich jetzt nicht in einen Wolf verwandeln. Ich habe keine Kraft mehr. Ich will einfach wieder zurück. Weg von hier.
Nathan richtet sich auf und löst sich von unserer Stütze. Etwas schwerfällig versucht er die Tür zu öffnen. Das Licht, das uns hinter dieser Tür erwartet, schmerzt für einen Moment in meinen Augen. Woran ich mich hingegen schneller gewöhne, ist die frische Luft. In ihr ist ein Geruch, der jetzt nicht mehr so brennend ist, wie in dieser Bar und ich bin froh, als sich die schwere Tür wieder hinter uns schließt. Schnell, um nicht zuviel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, machen wir uns auf den Weg. David geht vor. Ich und Nathan folgen ihm. Ich kann noch immer die Hektik hier spüren. Doch es sind jetzt weniger Leute hier, als vorhin. Irgendwie wirkt es ausgestorben. Was ist hier wirklich passiert? Diese Frage beschäftigt mich, seit der Sekunde in der wir in diese Bar gegangen sind. Doch wie es scheint kann ich mir keine Antwort von irgendjemanden erwarten. Nathan erinnert sich nicht. Behauptet er. Doch irgendwie glaube ich ihm. Er scheint so verletzlich zu sein. Das bin ich nicht von ihm gewohnt. Und auch seine Wunden sind noch nicht verheilt. Irgendetwas stimmt nicht. Irgendetwas ist hier im Gange.
Wir sind schon auf halben Weg und ich kann die Tür schon sehen, die wieder zurück, in diese mir gewohnte Welt führt. Doch plötzlich scheinen sich die wenigen Leute nach uns umzudrehen. Sie starren uns an. Sicherlich auch deswegen, weil Nathan's Körper mit Blut verschmiert ist. Doch dann höre ich ein Flüstern neben mir.
„Ist sie das?“
Verschwunden ist der Gedanke, sie könnten sich wegen Nathan zu uns umdrehen. Und meine Angst meldet sich wieder zurück. Wir müssen hier weg. Ich versuche schneller zu werden und versuche mich hinter Nathan zu verstecken. Ich will nicht, dass sie mich sehen, obwohl ich weiß, dass es nicht mein Aussehen ist, sondern mein Blut, das mich verrät. Dann fühle ich, wie jemand hinter mir ist. Es macht mich noch nervöser. Ich höre die Schritte klar und deutlich hinter mir, aber ich habe Angst mich umzudrehen. Und schon spüre ich einen festen Griff in meinem Nacken. Mit einem Schwung werde ich umgedreht und blicke in die Augen eines Mannes. Er sieht furchteinflößend aus. Sein Blick ist dunkel und leer. Ohne Furcht und ohne Seele. Es macht mir Angst. Augen, schwarz wie die Nacht. Eine große Kapuze ist tief in sein Gesicht gezogen, dass mit Narben übersäht ist. Er sieht aus, als hätte das Leben ihn gezeichnet. Als hätte seine Seele sich bei irgendeinen schlimmen Erlebnis von ihm verabschiedet. Seine Stimme wirkt kalt und monoton. Als hätte er nichts mehr zu verlieren. Als würde er mich jetzt einfach so töten können und ihm würden die Konsequenzen dafür vollkommen egal sein.
„Tja, dachte es ich mir doch, dass du es bist.“
Er lässt seine Hand an meinem Nacken zu meiner Kehle gleiten. Dabei überkommt mich ein eiskalter Schauer. Sein Griff wird fester und ich kann spüren, wie mir sein Griff, die Luft zum Atmen nimmt. Meine Finger krallen sich in seine Unterarme und versuche seine Hände zu lösen. Doch ich bin zu schwach. Doch wie so oft, höre ich eine Stimme hinter mir. Zu meiner Überraschung ist es dieses Mal nicht David's, sondern Nathan's Stimme.
„Lass sie los.“
Mein Gegenüber scheint nicht wirklich beeindruckt zu sein und blickt ihn nur grinsend an. Sein Grinsen lässt ihn noch böser wirken, als er ohnehin schon ist. Doch Nathan lässt nicht locker.
„Ich sage es nicht nochmal.“
Dann lässt er mich wirklich los. Jedoch nur, um sich jetzt Nathan zu widmen.
„Was willst du schon ausrichten? Sieh dich doch an. Ein armseliger Mensch.“
Er blickt Nathan so abwertend an, dass sogar ich wütend werde. Doch Nathan scheint die Ruhe selbst zu sein. Sein Blick so selbstsicher. So wie ich ihn kenne. Und schon höre ich ein dumpfes Geräusch, als sich die Faust des Mannes in Nathan's Bauch rammt. Er krümmt sich und ich bin mir in diesem Moment sicher, dass er kein Vampir mehr ist. Denn er würde sich das nicht gefallen lassen. Nicht der Nathan, den ich kannte. Doch kenne ich diesen Nathan überhaupt?
Erneut höre und sehe ich einen Schlag. Doch dieses Mal ist es nicht dieser Mann, der austeilt, sondern David. Er streckt ihn mit einem Schlag nieder und ich höre wie sein Kopf auf dem sandigen Untergrund aufkommt. Doch er bleibt nicht lange liegen. So schnell, wie er gefallen ist, steht er wieder auf. Die Leute sammeln sich in einem Kreis um uns und ich bin mir nicht mehr sicher, ob diese Aufmerksamkeit gut für uns ist.
Und schon sehe und höre ich, wie Knochen brechen. Es ist David. Er verwandelt sich. Schon steht er in Wolfsgestalt vor mir und ich kann plötzlich die Leute hören, wie sie ungläubig über David sprechen. Dann höre ich auch den älteren Mann, wie er überrascht auf David blickt.
„Das ist unmöglich.“
Was ist unmöglich? Ich weiß nicht, wieso alle so erstaunt sind. Sie weichen alle einen Schritt zurück, als ein tiefes, furchteinflößendes Knurren von David zu hören ist. Seine Augen leuchten in diesem Rot und seine Zähne sehen aus, als würden sie nur darauf warten, sich in etwas bohren zu können. Würde ich nicht wissen, dass es David ist, würde ich jetzt vor Angst weglaufen. Ich denke, dass es nicht nur mein Gedanke ist. Denn die Leute, die um uns herum stehen, treten alle einen Schritt zurück. Manche verschwinden so schnell sie nur können. Andere wiederum können ihre Augen nicht von ihm lassen. Und so erschüttert ein noch lauteres Knurren diese Halle. Plötzlich machen uns all die Leute, den Weg zu dieser Tür frei. Es wirkt sureal, was hier gerade passiert und doch passiert es. Sie lassen uns gehen. Langsam drehe ich mich wieder um und blicke zu Nathan, der ebenfalls erstaunt zu sein scheint, über den Anblick von David. Er kommt auf mich zu und greift nach meiner Hand. Aus Reflex ziehe ich meine Hand aus dieser Berühung. Ich kann ihn nicht so berühren. Auch wenn er jetzt nicht mehr Derselbe ist. Ich kann es nicht zulassen, nochmals Gefühle für ihn zu entwickeln. Er sieht mich etwas überrascht an, aber wendet sich dann, trotzallem zum Gehen. Ich folge ihm und auch David folgt uns. Jedoch blickt er noch immer zu den Leuten und bewegt sich rückwärts auf den Ausgang zu. Er versucht uns zu beschützen. Was auch funktioniert. Die Leute bleiben stehen und keiner scheint uns zu folgen. Endlich. Endlich stehen wir vor dieser Tür und ich kann nicht anders, als mich durch diese Tür zu stürzen. Zurück in meine Welt.