21
Bei meinem gefühlt tausendsten Blick auf die Wanduhr neben mir, bin ich so dermaßen erleichtert über die Ziffer, die nun angezeigt wird, dass ich einen lauten Seufzer über meine Lippen bringe. Der Arbeitstag hat sich angefühlt, wie eine ganze Woche. Vor allem, da ich so viele Fragen in meinem Kopf herumschwirren habe und ich nicht erwarten kann, eine Antwort darauf zu bekommen.
In Windeseile habe ich meine Sachen zusammengepackt und husche schnell zur Tür. Vorbei an Peter, der mich mit etwas verwundertem Ausdruck bedenkt.
„Kannst es wohl kaum erwarten am Rücksitz eines GTO’s flachgelegt zu werden?“
Ein breites Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht und auch wenn ich versuche, es mit aller Konzentration unterdrücken zu wollen, schießt mir die Röte ins Gesicht.
„Peter, beobachtest du mich heimlich?“
„Ständig. Soll ich vielleicht nochmal ein Wörtchen mit ihm reden. Du weißt schon, von Mann zu Mann?“
„Bitte nicht. Kein Grund zur Sorge. Es ist, nicht dass, was du denkst.“
Ich versuche, mit einem Lächeln die Hintergedanken und Erinnerungen an etwas auszublenden, die mich an diese Zeit denken lassen, wo ich noch gehofft habe, dass Alex und ich, das sind, was Peter denkt.
Trotz allem scheint er auf eine weitere Erklärung zu warten. Doch die kann und will ich ihm auch nicht liefern. Also verabschiede ich mich, damit er nicht noch weiter nachbohren kann und er merkt, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Besser gesagt um mich herum, alles in diese Welt gezogen wird, von der ich noch so wenig weiß.
„Bye Peter, schönen Abend noch.“
„Na warte. So leicht kommst du mir nicht davon. Du weißt, dass ich jeden Tag hier bin so wie du. Irgendwann werde ich dass alles schon noch aus dir herauskitzeln.“
Ein lautes Lachen ertönt hinter mir und Peter scheint sich wohl auf das nächste Verhör vorzubereiten.
Kaum habe ich die Tür ins Freie geöffnet ertönt das Schnurren des GTO’s in meinen Ohren. Ein angenehmes Geräusch, dass mich zusätzlich daran erinnert, dass er mich heute ebenfalls nicht versetzt hat. Auch wenn er es vielleicht verdient hätte, will ich ihn nicht länger warten lassen, also gehe ich mit schnelleren Schritten auf den schwarzen Wagen zu und öffne die Tür. Ohne zuerst ihn anzusehen, setze ich mich auf den Beifahrersitz und ziehe meinen Rucksack zwischen meine Beine, um ihn dort abzustellen.
Ich kann es kaum erwarten ihm meine Fragen zu stellen. Es sind so viele und ich bin so aufgeregt, dass es, schon bevor ich ihn ansehe, aus mir heraussprudelt.
„Also ich habe so viele Fragen. Heute Nacht habe ich etwas ausprobiert und zuerst dachte ich, dass es nicht funktioniert. Aber dann als ich....... Marius......“
Jedoch konnte mich nichts auf diesen Anblick vorbereiten. Denn als ich endlich meinen Blick neben mich fallen lasse um in die, wie erwartet blauen Augen zu blicken, zucke ich zusammen. Kein Schrei. Kein Atemzug. Kein Geräusch. Ich reagiere nur mit einer Schockstarre bei dem Gesicht, in das ich jetzt blicke.
Schnell lege ich die Hände wieder an den Türgriff um vor Marius zu flüchten, der anstatt Alex vor dem Lenkrad sitzt und mich mit seinem falschesten Lächeln ansieht. Doch auch wenn ich noch weiter an dem Türgriff rüttle, öffnet sich diese verdammte Tür nicht. Er hat abgesperrt und ich habe es nicht mitbekommen. Doch was ich sehr wohl höre, ist dass Geräusch hinter mir.
Mein Blick schnellt auf die Rückbank und ich entdecke einen geschwächten und gefesselten Alex. Er krümmt sich vor Schmerzen und die Kette um seinen Hals scheint sich in sein Fleisch einzubrennen.
Noch bevor ich wieder zu Marius blicke, fährt er los und ich werde in den Sitz gedrückt und kann erst nach einigen Sekunden, die Chance nützen um meinen Oberkörper näher an Alex zu bringen. Ich muss seinen Hals von dieser Kette befreien.
Ein Schmerz auf meiner Kopfhaut, zwingt mich jedoch wieder auf meinen Sitz zurück. Marius hat meine Haare gepackt und zieht daran um mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Hass auf ihn ist größer als der Schmerz den ich verspüre. Ich fluche und schimpfe ihn alles was mir gerade einfällt. Noch immer hat er dieses hässliche Grinsen in seinem Gesicht, dass ich ihm liebend gerne aus seiner Visage kratzen möchte. Schneller als meine Augen folgen können, fasst er mit einer Hand um mich und zieht den Gurt um meinen Körper bevor er ihn einrasten lässt und ihn so fest zieht, dass ich nur mit Mühe Luft bekomme.
Ich versuche mich zu wehren. Versuche seine Hand von mir wegzudrücken. Kratze ihn. Doch er scheint nichts zu spüren. Er scheint vollkommen gegen Schmerzen immun zu sein. Oder aber ich bin einfach zu schwach um ihn zu verletzten.
Wütend gebe ich auf und schreie ihn mit voller Verzweiflung an.
„Was? Was willst du?“
Sein Blick ist noch immer sein Blick. Böse. Dunkel. Gefährlich. Seelenlos. Die Angst und dass Gefühl, dass mich bei dem Blick in diese kalten Augen durchflutet, lässt mich erschaudern.
„Es gibt zwei Möglichkeiten. Ich bin doch nett, weil ich dir zwei Möglichkeiten biete?“
Wieder dieses selbstgefällige Grinsen auf seinem Gesicht.
„Die Erste wäre, dass ich deinen kleinen Werwolf hier noch weiter leiden lasse und ihn dann umbringe, bevor ich dir, bis auf den letzten Tropfen dein Blut abzapfe. Oder du wählst die zweite Möglichkeit. Die da wäre, dass du mir einfach dein Blut, wie soll ich es formulieren? Freiwillig gibst und ich ihn ohne weitere Komplikationen gehen lasse. Auch wenn ich ihn wirklich gerne ein wenig leiden sehen möchte.“
Mein Blick fällt nochmals auf Alex. Er sieht blass aus. Seine Lippen sind trocken und Schweißperlen stehen ihm auf seiner Stirn. Doch seine Augen blicken voller Panik in meine und er schüttelt verzweifelt den Kopf. Bevor er schwach und leise ein „Tu es nicht“ über seine Lippen bringt.
Ich weiß er will nicht, dass ich mich in Gefahr bringe. Aber ich sehe keinen Ausweg. Er will mein Blut. Er will nur mich. Und auch wenn mich Alex anfangs nur benutzt hat, kann mein Herz nicht zulassen, dass Marius ihn tötet.
„Du kannst mein Blut haben. Aber lass ihn aus dem Spiel, er hat damit nichts zu tun.“
„Und wie er damit etwas zu tun hat. Er möchte gerne meine Pläne durchkreuzen. Glaubst du wirklich ich würde ihn verschonen? Hat dir schon mal Jemand gesagt, dass du wirklich naiv bist?“
Ein lautes, grauenhaftes Lachen erfüllt den Innenraum des Wagens und lässt meinen Hass auf ihn nur noch weiter wachsen. Er ist gerade ins Unendliche gestiegen. Ebenso wie die Verzweiflung und die Erkenntnis, dass er uns nicht verschonen wird. Er spielt mit mir. Mit uns. Es wird ihm Spaß machen uns zu quälen und langsam aber doch, bahnen sich Tränen aus meinen Augen. Tränen der Panik und Angst.
Wir sind bereits einige Minuten unterwegs als wir in ein Straßenstück einbiegen, dass rechts und links von Bäumen gesäumt ist. Zuerst denke ich, dass mir mein Gedächtnis einen Streich spielt. Doch dann werde ich immer überzeugter, dass wir uns auf dem Weg zu Elisabeth`s Gruft befinden. Er wird mich noch heute töten. Oder einsperren und mich bis zum nächsten Vollmond am Leben lassen, bis er mich letztendlich doch tötet. In meinem Kopf scheint sich nun mein Überlebensinstinkt zu melden. Immer wieder gehe ich die Optionen durch, die Alex und mir, den Tod ersparen würden. Doch keine der Optionen ist durchführbar. Alle enden mit dem, dass er mich töten wird. Weil ich zu schwach bin. Weil ich zu langsam bin. Weil ich dieses verdammte Blut in mir habe.
Mein Blick ist auf die Windschutzscheibe vor mir gerichtet obwohl ich eher einen Punkt suche, den ich anstarren kann um mich irgendwie konzentrieren zu können. Um irgendwie doch noch eine Möglichkeit zu finden. Auch wenn ich weiß, dass dies nur der letzte verzweifelte Versuch meines Kopfes ist, mir Hoffnung zu machen.
Erst bemerke ich nur einen Schatten auf dem dunklen Asphalt vor uns. Alles geschieht so schnell. Das quietschen der Reifen als Marius mit voller Wucht auf das Bremspedal tritt. Dann der Druck auf meinen Körper, als ich nach vorne geschleudert werde. Der Schmerz des Gurtes, der sich in mein Fleisch brennt. Äste die an der Karosserie des Wagens streifen und quietschende Geräusche machen. Hektische Bewegungen von Marius. Und dann. Dann ist alles Dunkel. Alles ist verschwommen. Langsam versuche ich mich aus dieser Dunkelheit zu befreien und drehe meinen Kopf zur Seite und versuche mich aus dem Gurt zu befreien, der meinen Körper mit voller Wucht umschlingt und die Luft aus meinen Lungen gepresst hat.
Mein Blick fällt auf Marius, dessen lebloser Körper in dem Sitz neben mir liegt. Sein Kopf ruht auf dem Lenkrad und Unmengen von Blut laufen ihm über die Schläfen und tropfen an seinem Kinn nach unten.
Meine Hände sind ebenfalls mit Blut bedeckt und als ich nach Alex sehen will, packen mich plötzlich zwei starke Hände und ziehen mich aus dem Wagen.
Auch wenn mein Blick nicht klar ist, weiß ich sofort wer es ist. Es ist Nathan. Ich war noch nie so froh ihn zu sehen, wie in diesem Moment. Seine Arme schieben sich unter meine Kniekehlen und unter meine Schultern. Er trägt mich weg vom Wagen. Doch ich kann dass nicht zulassen. Ich muss all meine Kraft zusammen nehmen um die Worte über meine Lippen zu bringen.
„Alex.“
„Er hat es nicht verdient, gerettet zu werden.“
Seine Gesichtszüge wirken kalt und seine Miene undurchschaubar. Doch ich kann nicht aufgeben.
„Er kann uns helfen. Marius aufzuhalten. Mein Rucksack. Beide. Bitte.“
Ich brauche den Rucksack. Darin ist das Buch von Alex's Mutter. Widerwillig und vorsichtig setzt er mich an einem Baum ab und der harte Stamm lässt meinen Rücken erneut schmerzen als ich mich an ihn lehne, weil ich selbst kaum die Kraft habe, mich aufrecht zu halten. Entschlossen geht er nochmals zum Wagen und schlägt mit voller Wucht die Seitenscheibe ein, dessen Reste er dann mit bloßen Händen herausreißt. Grob packt er Alex unter seinen Armen und zieht ihn aus dem verbeulten Wagen. Ich kann nur noch Alex`s Schmerzerfülltes Stöhnen wahrnehmen bevor alles um mich herum in einen Nebel gehüllt wird und sich meine Augenlider gegen meinen Willen schließen. Wieder bin ich eingehüllt in diese Dunkelheit und habe keine Kraft mich daraus zu befreien.