Warnung: Schlachtszene, Tod, allgemein blutrünstig.
Hefstar brannte.
Nur wenige Schritte weiter schlugen Flammen aus den Hüttendächern, ließen die aufsteigende Rauchsäule orange erstrahlen und leuchteten bis gegen die tief über der Insel hängenden Regenwolken. Es stank nach verbranntem Holz und verbranntem Fleisch, und vom Meer her kam nicht die kleinste Brise, um für etwas Linderung zu sorgen. Taakas wischte Blut von der Klinge seines Degens und stieß ihn wieder in die Scheide.
„Das war Filis, oder?“, fragte er. „Den ich geköpft habe.“
„Es war Filis“, bestätigte Volkis, der neben ihm stand. Er ließ sich kaum anmerken, dass er die Frage zum dritten Mal beantwortete.
„Und im Westen sind keine Überlebenden mehr“, fuhr Taakas fort. „Deine Männer verfolgen die, die nach Norden geflohen sind?“
„Ja. Sie werden auf wenig Gegenwehr stoßen, es waren offenbar nur Frauen und Kinder.“
„Dann müssen wir hoffen, dass unsere Leute nicht im letzten Moment Skrupel entwickeln.“
Volkis lachte kurz auf. „Nach deiner Ansprache werden sie das wohl kaum. Wir alle hassen die Piraten, ja, aber wenige hätten das so anstacheln können wie du.“
„Die Piraten haben mich schon einmal umgebracht. Mein Hass reicht für mehr als mich allein.“
Volkis wischte sich mit dem Jackenärmel Schweiß von der Stirn und verteilte dabei Ruß in seinem Gesicht, der in den Falten an seinen Augen hängenblieb. Wie alt war Volkis' aktueller Körper? Etwas älter als seiner, dachte Taakas. Dass er in diesem wiedergeboren worden war, war reines Glück gewesen. Und die Piraten konnten ebenso viel Glück haben, und deswegen mussten sie jeden Einwohner Hefstars niedermachen, die Alten, Frauen und Kinder, am besten noch die Hunde und Katzen. Jedes Lebewesen auf der Insel konnte die Wiedergeburt eines Piraten sein, eines Anhängers der vier Verbrecher, die seit Jahrzehnten die stolze Küstenstadt Lien terrorisierten. Ungefähr das hatte er den Männern auch gesagt.
Iloons hatte prophezeit, es würde nicht leicht werden, ein Massaker an Frauen und Kindern schönzureden. Dafür hatte Taakas es ganz gut hinbekommen.
„Vier Piratenkapitäne“, zählte er an den Fingern ab. „Ieons ist tot. Elf-Finger-Filis ist tot.“
„Das Schiff von Noas Noaskend fehlte am Hafen“, knurrte Volkis. „Er wird wohl gerade unterwegs sein. Ein Jammer.“
Dennoch klappte Taakas einen dritten Finger ein. „Hefstar ist vernichtet, Noas hat keinen Ort mehr, an dem er sich verkriechen kann. Ich hetze ihn auf den Meeren zu Tode, auch wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue, und das Erste, womit ich im nächsten weitermache.“
Volkis nickte, ohne mit der Wimper zu zucken. „Dann bleibt nur noch Legrond.“
„Ja“, sagte Taakas leise. „Sein Schiff liegt hier. Und es sieht ihm nicht ähnlich, sich zu verstecken.“
„Die Männer werden ihn finden.“
Taakas wunderte es wirklich, dass sie es nicht längst getan hatten. Legrond war ein tapferer Kämpfer. Ein Pirat, natürlich, und damit auf der falschen Seite, aber damals war er auf Taakas' Herausforderung zu einem ehrlichen Zweikampf eingegangen. Wenn sie einander ein zweites Mal begegneten, würde Taakas ihn dann wieder herausfordern? Obwohl Legrond beim ersten Mal gewonnen hatte?
Natürlich würde er das tun, hatte Iloons gesagt. Iloons war der klügste Mensch, den Taakas kannte (und so etwas von seinem jüngeren Bruder zu sagen, war ein starkes Stück), also musste schon etwas daran sein.
Der Rauch biss Taakas in die Augen. Was hätte er nicht getan für einen leichten Wind vom Meer. Er wandte sich vom Anblick der brennenden Hütten ab und fuhr zusammen, als er einen Mann sah, der langsam auf Volkis und ihn zukam. Instinktiv griff er nach seiner Waffe, ehe er die gelben und orangefarbenen Streifen Liens an der Uniform des anderen erkannte und aufatmete.
Volkis eilte dem Mann entgegen und griff mit einer für ihn ungewöhnlichen Sanftheit nach dessen Schultern. „Bewos. Was ist passiert?“
Erst, als er den Namen aussprach, erkannte Taakas Volkis' jungen Adjutanten wieder. Haarsträhnen waren aus seinem Knoten gerutscht, an seiner Uniform klebten nasser Sand und Blut, und sein Gesicht mit den großen Augen wirkte gleichzeitig jünger als sonst und um Jahrzehnte gealtert.
„Bist du verletzt?“ Eine Spur von Panik schlich sich in Volkis' Stimme. „Du solltest dich setzen.“
„Ich bin nicht verletzt, Herr Lundkend“, murmelte Bewos. „Wir haben eine Bucht gefunden, in der Boote zur Flucht bereitlagen, aber wir haben die meisten versenkt oder die Piraten erschlagen, ehe sie ablegen konnten.“
„Hervorragend. Sehr gute Arbeit.“
Bewos reagierte nicht auf das Lob. Sein Blick huschte ziellos umher, und als er Taakas erkannte, weiteten sich seine Augen. „Herr Potentat?“
„Ja?“, fragte Taakas.
Bewos öffnete einmal den Mund und schloss ihn wieder. „Ich habe Legrond getötet“, sagte er dann. „Am Strand. Und seinen Maat.“
Einen Moment lang konnte Taakas nur dastehen. Das Prasseln des Feuers klang in ihrem Schweigen viel zu laut.
„Es tut mir leid“, sagte Bewos schließlich. „Falls Sie es selbst tun wollten, Herr Potentat.“
Hatte er das gewollt? Er hätte Legrond bei Gelegenheit zum Duell gefordert, aber hatte er auf den Teil mit dem Töten solchen Wert gelegt? Und wenn nicht, wieso fühlte er sich dann wie nach einem Schlag in den Magen? Iloons kannte ihn besser als jeder andere, und er hatte gesagt, Taakas habe keinen Spaß am Töten, er tue nur, was getan werden musste. Aber Iloons war ein Diplomat und verstand nichts vom Kämpfen, und vielleicht täuschte er sich.
„Du hast einen der vier Piratenkapitäne getötet“, riss Volkis' Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Bewos, wirklich gar nichts. Du bist ein Held.“
Bewos nickte und klammerte sich fester an Volkis' Arm, als seine Knie zu zittern begannen. Er war zweifellos der müdeste Held, den Taakas je gesehen hatte. Einen Moment lang wünschte er, es wäre nicht wahr. Er, Taakas, hätte Legrond erschlagen sollen, in einem ehrlichen Zweikampf. Vielleicht hätte Legrond das verdient gehabt, und in jedem Fall hätte Taakas es verdient gehabt. Das hier war sein Sieg.
Seine Augen tränten, es musste an dem verdammten Rauch liegen. Volkis redete leise auf Bewos ein, und plötzlich wurde Taakas klar, dass dieser halbtote junge Mann, fast noch ein Junge, bestenfalls eine Fußnote in den Geschichtsbüchern sein würde. Der Angriff auf Hefstar war gelungen, und wer genau Legrond getötet hatte, war irrelevant. Er war tot, mit ihm zwei der anderen Piratenkapitäne, und die Tage des letzten waren gezählt. Lien war frei, und Taakas war sein Potentat. Er würde in die Geschichte eingehen als der, der die Piraten vertrieben hatte. Sein Name würde unsterblich werden, mehr noch als er selbst. Und Lien, diese karge, lange klein gehaltene Stadt an den steilen Küstenhängen, würde aufblühen zur prächtigsten Republik Iendes, die man im gesamten Land bewundern und beneiden würde. Lien würde leben.
Iloons hatte gesagt, dass es so passieren würde.