Sie stapfte durch das Eis. War es schon zu spät? Oder kam sie gerade noch rechtzeitig um sie alle zu retten?
Nachdem sich die Polkappen der Erde verschoben hatten, waren Teile des Äquators vereist und die betroffenen Städte nicht auf die Kälte vorbereitet. Der ewige Winter kam schnell und ohne jede Vorwarnung. Grönland nannte man schon länger "Das neue Afrika", doch dass sich das Eis an anderer Stelle wieder aufbauen würde, hatte niemand erwartet. Ein Schneesturm brachte das Tief über Ecuador, fror Schiffe im Ozean fest und färbte Menschenlippen blau. Die Vegetation, die Tierwelt, sowie schwache Menschen fanden den Tod in der Kälte, noch bevor die Information begonnen hatte, sich über die Welt auszubreiten. Man rief nach Decken, doch die dünnen Sommerdecken schafften keine Abhilfe von den Minusgraden. Vor der Bücherei begann man sämtliche Bücher zu verbrennen, da sämtliches Holz vom Eis zu nass war um entflammt zu werden.
Wie soll man heizen, wenn das Haus keine Heizung besitzt? Das fragten sich die Menschen in Ecuador und die Regierung sendete ihr SOS um die Welt.
Mitten in diesem Szenario befand sich Sophie. In ihrer Schule war zum ersten Mal der Winter ausgebrochen und auch wenn viele der Kinder begeistert nach draußen gegangen waren, war Sophie im Inneren geblieben und so nicht erfroren.
-30° C zeigte das Thermometer und der Wetterbericht äußerte sich zu nichts, da der Fernseher nicht funktionierte. Sophies Eltern und Geschwister, sie alle waren irgendwo außerhalb dieser Schule und wie sie annahm waren sie alle zu Hause.
Der Lehrer hatte mit Hilfe der Hausaufgaben die Schulbücher entfacht und hielt so trotz geöffneter Fenster die Wärme in der Klasse. Er befahl den Kindern sich gegenseitig zu wärmen und dummerweise stand Sophie nun dicht an dicht mit Colin, den sie nicht leiden konnte. Doch irgendwie konnte der Rest der Klasse Sophie auch nicht leiden. Sie war ein Außenseiter, eine von denen, die eigentlich nie auffallen, weder positiv noch negativ.
"Ich find dich geil.", sagte Colin und rieb ihr mit den Händen über die Brüste.
"Du Ekel.", sagte Sophie und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Mit ihren 14 Jahren, wollte sie eigentlich nur der bedrängenden Situation ihrer Schulklasse entfliehen und doch sollte sie mit dem was sie tat, in die Geschichtsbücher eingehen.
Zunächst rannte sie aus dem Klassenraum, der Lehrer ermahnte sie zwar, doch folgte ihr nicht, aus Angst selbst zu erfrieren. Schnell wurde ihr kalt. Die Hände und Füße wurden taub und ein stechender Schmerz ergriff ihre Gliedmaßen. Einen kühlen Kopf bewahrend, rannte sie zum Zimmer des Hausmeisters, der aussah als würde er schlafen, doch würde er das für immer tun. Sie nahm sich eine Gartenschere vom Nagel an der Wand und rannte mit dieser zur Sporthalle. Dort zerschnitt sie die Sportmatte und stopfte den Füllschaum unter ihre Bluse und die Hose. Sie nahm sich ein Herren-Fußballtrikot in der Größe XXL und benutzte es als Pullover, den sie ebenfalls mit Füllschaum ausstopfte. So schaffte sie es einen Tag lang in der Sporthalle zu überleben. Es war zwar nicht mollig warm, doch warm genug um die lebenswichtigen Funktionen ihres Körpers aufrecht zu erhalten.
Der Hass gegen Greta war zum Hass auf das Eis geworden. So berichteten währenddessen die deutschen Medien über die Meinung der sommerverwöhnten deutschen Jugend:
"Und weil da jetzt neue Gletscher entstehen, ist es bei uns keine 30 Grad warm im Juli.", sagte ein Jugendlicher im T-Shirt empört in die Kamera.
In Ecuador hingegen funktionierte der Fernseher noch immer nicht. Die Regierung hatte den Notstand ausgerufen und die Vereinten Nationen, hatten Ecuador erneut zum Entwicklungsland herabgestuft. Der Amazonas-Regenwald glich einer Eiswüste, alle Reptilien waren ausgestorben und die behaarten Tiere, wie die Totenkopfaffen und Jaguare verhungerten mit der Zeit. Manche der Jaguare verlagerten ihr Revier in die Städte, um Jagd auf Menschen und Hunde zu machen.
Auf den Landebahnen des Landes trafen die ersten Hilfspakete aus Alaska und Kanada ein. Diese umfassten warme Decken, Jacken, Brennstoff, Overalls und motorisierte Schlitten. Das ecuadorianische Militär, welches die ganze Zeit über solche Dinge verfügt hatte, verteilte die Hilfspakete an den Feuern vor den Bibliotheken, um welche, je nach Stadt, sich 100 und mehr Menschen zusammen gefunden hatten.
"Die Erde überlebt uns.", sagte ein Professor. "Nur wir überleben die Erde nicht. Zuerst nimmt sie uns unsere Bildung. Natur, das ist rohe Gewalt."
"Mir gefallen deine negativen Vibes im Moment so gar nicht.", sagte ein Proll und begann den Professor zu verprügeln. In dem Chaos war auch die Aktivität der Polizei, wie eingefroren und das Militär scherte sich nicht um die unzähligen Schlägereien und das allgemeine Chaos.
Zurück zu Sophie, diese wachte von den Sonnenstrahlen auf, die durch die Fenster fielen. Wie erbarmungslos die Sonne scheint, ohne das Eis zu tauen, dachte Sophie. Ob ich es wagen soll nach draußen zu gehen? Sie watschelte mehr als das sie ging, ausgestopft wie sie war, konnte sie keinen normalen Schritt machen. Und doch erfror sie nicht, als sie aus dem Notausgang der Halle trat. Sie stand da auf der Treppe aus vergittertem Metall, blickte in die Sonne und fragte sich: Wie reich war unsere Nation an Klima? Was können wir nur tun? Ist meine Familie noch am Leben?
Die Schlägereien hatten sich längst zu einem Bürgerkrieg entwickelt. Wer Waffen besaß, benutzte diese und zeigte so, die Oberhand über die ausgebrochene Hierarchie zu haben.
Sophie befand sich auf dem Heimweg, als ihr Gang, den eines Jaguars kreuzte. Der fletschte mit schneebedecktem Fell die Zähne, bevor er von einem jungen Mann namens Pinkman erschossen wurde.
"Sind deine Eltern tot?", rief Pinkman und ging auf Sophie zu.
"Ich weiß es nicht.", erwiderte sie schüchtern, denn Pinkman wirkte auf sie äußerst attraktiv.
"Wann hast du sie zuletzt gesehen?", fragte er und blickte sich nach potenziellen Feinden um.
"Bevor der Schnee kam."
"Und jetzt suchst du sie?", Pinkman lächelte. Er trug eine der Jacken, die das Militär ausgegeben hatte, aber an den Beinen eine schlichte Jeans, so dass sich die Kälte in seine Oberschenkel biss.
"Ja."
"Die sind bestimmt bei der Bibliothek. Komm ich begleite dich ein Stück.", sagte Pinkman und wich ihr auf dem gesamten Weg zur Bibliothek nicht mehr von der Seite.
"Eigentlich müsste es viele Kinder wie dich geben.", sagte Pinkman. "Aber man sieht sie nicht."
"Die sind dumm, die sind erfroren.", antwortete Sophie.
"Und du wärst fast gefressen worden.", sagte Pinkman und räusperte sich. "Was denkst du dir dabei, ohne Waffen oder Erwachsene im Schnee herumzulaufen?" Daraufhin blieb Pinkman stehen und wartete, da Sophie mit ihrem Watscheln lange nicht so schnell war, wie er mit seiner großen Statur.
Sophie schwieg verschämt, ihr fiel kein cooler Spruch ein und überhaupt bezweifelte sie, dass Pinkman an ihr Gefallen finden könnte. Der war locker 30 Jahre alt.
Tatsächlich war er erst 23 Jahre alt, doch die letzten Stunde hatten ihn altern lassen, die Härte des Winters hatte sich in sein Gesicht gezeichnet. Von wegen Frische konserviert.
Als sie das Lagerfeuer vor der Bibliothek erreichten, hatte man Barrikaden errichtet und feuerte wie im Krieg hinter diesen hervor. Die meisten Frauen waren in die hinteren Reihen geflüchtet, so dass Sophie ihre Mutter nicht sehen konnte. Wohl aber ihren Vater, der mit seiner alten Schrotflinte, seine Opposition schrotete.
"Papa! Papa!", rief Sophie, doch das Dauerfeuer der beiden Fronten war zu laut, als dass ihr Vater sie hören konnte.
Da ging Sophie, wie der Idiot eines jeden Metalkonzertes, zwischen die Fronten, direkt in die Mitte und das Feuer kam zum erliegen, nachdem sie in Hüfte und Schulter getroffen worden war.
"Ein Kind!", rief es erstaunt.
"Mein Kind!!!!", schrie Sophies Vater und rannte zu ihr. Er hob sie vom Boden auf und umschlang ihren Nacken. Wie einen Säugling hob er ihren Kopf und rief nach einem Arzt.
Nach einiger Zeit kam ein Arzt, der sich erst hatte besinnen müssen, dass das Feuer gestoppt war und Vernunft eingekehrt war. Er stoppte die Blutungen und rettete das Leben des letzten Kindes Ecuadors.
Sophie war das letzte verbliebene Kind in ganz Ecuador.
ENDE