Eigentlich nannte sie sich meine Freundin.
Jedenfalls in dem Sinne, dass sie und Erik viel mit mir und Daniel unternahmen.
Wir trieben uns damals in Florida herum. Wir lebten dort, und es fühlte sich an, wie ein Privileg. Das war es gewiss, obwohl ich mich in diesem Land immer arg fremd fühlte.
Vielleicht hätte ich in jenen Jahren nicht Stephen King lesen sollen. Der Horror ist immer realer, wenn man in der passenden Umgebung ist.
Wenigstens wohnten wir nicht in Castle Rock/ Maine, wo er die Geschichten immer gerne platziert. Wenigstens nicht das.
Aber ich glaube nicht, dass das Fremdsein in erster Linie daher rührte.
Ich verstand beispielsweise nicht gut Amerikanisch. Englisch beherrschte ich perfekt, aber Amerikanisch hörte sich in meinen empfindsamen Ohren fürchterlich an.
Wir lebten in Bungalows mit Pool, alle gleich aussehend, alle perfekt und mit einem gewaltigen Zaun drumherum, und davor ein Wachhäuschen. Irritierender als die Waffen der schwer übergewichtigen Wachleute war die Zufahrt, die sich quer über einen Golfplatz schlängelte. Links und rechts, in regelmäßigen Abständen hingen Warnschilder.
Warnungen vor tief fliegenden Golfbällen.
Überall waren Warnschilder.
Warnungen vor Krokodilen, Warnungen vor Pumas, und Warnungen vor Golfbällen.
Vor aggressiven Golfbällen wird gewarnt.
Man hätte mich vor aggressiven Frauen warnen sollen, die nicht mit ihrem Leben zurechtkamen. Vor Manuela.
Sie war nicht wirklich unattraktiv. Mit dunklem Haar und grünen Augen, einer recht guten Figur schien sie aber doch zerfressen zu sein, von dem, was sie umtrieb.
Die Diagnose.
Sie litt unter Multiple Sklerose, und nichts beschäftigte sie mehr, als die Frage, wann sie was nicht mehr würde tun können.
Was mich betrifft? Ich muss das erwähnen, weil es für die Geschichte wichtig ist, auch wenn es zunächst nicht so scheint.
Einige Jahre zuvor hatte ich einen Unfall erlitten, der mir die Hüfte zertrümmert hatte, was an und für sich kein Drama war, weil ich lediglich nicht mehr so irrsinnig gut zu Fuß war.
Noch war sie besser zu Fuß, und dass sie mich offenbar hasste, äußerte sich in dem, was man kleine Nickeligkeiten nennt, die nicht nur damit zu tun hatten, dass sie mir genau das zeigte.
Wir sitzen im Kino, ich habe den gewaltigen Pappbecher mit dem Popcorn in Händen und sie sülzt: "Na, ob das deiner Figur gut tut?" Sie schlackert mit der Hand. "Aber, na ja, du bist ja immer eine Nachkatze gewesen."
"Woher weißt du das?", dachte ich. "Wir kennen uns erst seit einem Jahr."
So was eben.
Oder wie sie sich über die zwei kleinen runden Narben unter meinem rechten Auge hermachte, die man nicht nur kaum sieht, wenn ich ungeschminkt bin. Aber Manuela sah sie. Es war, als läge ich für sie unter dem Mikroskop. "Das ist aber bedauerlich, dass du mal die Pocken gehabt hast", zwitscherte sie affektiert.
Sie gab vor, Humor zu haben, und lachte viel, und immer demonstrativer explizit mit meinem Mann.
Alles an ihrem Lachen war unaufrichtig. Schrill. Und wenn er mit ihr lachte, warf sie stets hastige Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ich es sah.
Aber vor allem spielte sie Squash mit ihm.
Weil ich das nicht mehr konnte, aber es früher geliebt hatte, ja gar semiprofessionelle Spielerin gewesen war.
Weil sie dann meinen Schmerz spürte, nahm sie das Messer in die Hand, um jede meiner Wunden zu vergrößern.
In der Rückschau weiß ich nicht exakt, wann all das anfing. Ich denke, es war nach jener Party, nach jenem Kompliment, dessen Ohrenzeugin sie geworden war.
Ich weiß auch nicht, ob sie mich wirklich hasste, oder ob nicht vielmehr ihre eigene Krankheit die Wurzel ihres Hasses war.
Heute denke ich oft, dass sie litt.
Unter Zukunftsangst. Unter dem nicht Wissen, was sie erwartete.
Definitiv würde sie irgendwann mal schlechter dran sein als ich mit meiner zertrümmerten Hüfte.
Aber ganz sicher ging es ihr jetzt noch besser als mir.
Und ganz sicher musste sie mich das spüren lassen.
Die Frage war; wie weit würde sie gehen?
Eine weitere Frage war; wie lange würde ich mir das ansehen?
Denn wenn sie wirklich irgendetwas über mich wüsste, wie sie es vorgab, hätte sie irgendwann innegehalten.