Goiabada
Flughafen London Heathrow, Kontrolle des Handgepäcks
„What´s inside that package?“
Der Mann von der Security fragte mich zum Inhalt eines kleinen, relativ weichen Päckchens, etwa ein Pfund schwer, welches sich in meinem Handgepäck befand.
„I don´t know! It´s a Goiabada“
„Would you please open it?“
„Yes, of course.“
Der Inhalt war in Alufolie eingewickelt und daher mit dem Röntgenscanner nicht sichtbar. Ich öffnete die Alufolie, darin befand sich ein rotes Gelee von relativ fester Konsistenz, wie ich es noch nie gesehen hatte.
„What´s this?“
„I don´t know. It´s a Goiabada“
„Would you please follow me“
„Yes, of course“
Wir gehen in einen Nebenraum, der Sicherheitsmann holt einen zweiten Sicherheitsmann herbei und zeigt ihm das Packet. Ich dachte nur, „Mein Gott, wie soll ich das jemals erklären“. Ich war eine Woche in Brasilien um mich bei meinem künftigen Arbeitgeber, einer renommierten Privatschule mit deutschem Zweig, vorzustellen. Es war eine sehr schöne Woche und ich wurde den künftigen Kollegen vorgestellt und überall sehr herzlich aufgenommen. Dabei lernte ich die Gassers kennen. Ein wirklich sehr nettes reizendes älteres Pärchen, welches mit allen deutschen Kollegen befreundet war. Sie erklärten mir, dass sie sich um die Geldgeschäfte der deutschen Kollegen kümmerten – das war zu dieser Zeit sehr kompliziert, weil das Geld auf ein deutsches Konto überwiesen wurde und der Transfer oder der Zugriff sehr kompliziert war – außerdem war Brasilien damals Inflationsland, was die Sache mit dem Geld noch verkomplizierte. Ich weiß auch nicht, wie die Gassers das gemacht haben, aber sie machten diese Geschäfte seit Jahren, verdienten damit ihr Geld und schließlich waren alle Kollegen bestallte deutsche Beamte, offiziell von der Bundesrepublik ins Ausland entsandt und es hatte nie irgendwelchen Ärger gegeben. Alle vertrauten den Gassers.
Am Tag vor meiner Rückreise fragte mich Renata Gasser: „Michael, kannst du für mich ein Päckchen mitnehmen? Es ist für Bekannte in Deutschland, es kommt viel schneller an und ist viel billiger und sicherer. Du musst es nur in Deutschland bei der Post aufgeben.“ Ich konnte natürlich nicht nein sagen, denn zum Einen hatten mich die Gassers ins Herz geschlossen – und ich sie – zum Anderen dachte ich, dass ich mit ihnen noch viel zu tun haben würde, wenn ich meine Stelle bald antrete. „Es ist eine Goiabada drin“ sagte sie, als sie mir das Päckchen überreichte, „weißt du, das ist eine brasilianische Spezialität und meine Freundin in Deutschland ist Brasilianerin und vermisst die Goiabada.“ Und klar, ein Lebensmittel verschickt man nicht einfach mit der Überseepost.
Die beiden Sicherheitsleute stehen vor mir, deuten auf den Inhalt des Päckchens:
„What´s that?“
„It´s a Goiabada“
Erstaunen auf ihren Gesichtern.
„What is a ´goiabada´?“
„I don´t know, it´s a brazilian speciality.“
Sie stocherten mit einem Metallstab in der roten Masse herum, sie schwabbelte etwas. Ob sie wohl an Plastiksprengstoff dachten?
„What kind of speciality?“
„I don´t know, something to eat?! Maybe it´s sweet?“
Ihr ungläubiges Erstaunen wird größer. Ich habe mal gehört, dass es Sprenggelatine gibt.
„Something to eat? Who ist that person on the adress?“
„I don´t know, i should send her this package when i´m in germany.“
„Who gave you this package“
„A friend of mine.“
Zunehmend entgleisten ihnen ihre Gesichtszüge. Ich fragte mich, ob es wohl Drogen in Geleeform gibt.
„Who ist that friend?“
„Renata Gasser.“
„Who is Renata Gasser?“
„She is an old Lady“ she asked me to transfer this package to her friend in germany.“
„Who is Renata Gasser!?“ fragten sie mit ungeduldigem Nachdruck.
„I dont know her very close, she is an old Lady, she is changing money for us.“
Entsetzen stand in ihren Gesichtern!
„Please wait here!“
Sie gingen hinaus, wohl um sich zu beraten. Ich saß alleine vor der ausgebreiteten Goiabada und sah mich die Nacht in einer Sicherheitszelle verbringen. Nach ein paar Minuten kamen sie wieder zurück, wohl in Begleitung ihres Chefs. Dieser sah ebenfalls ratlos auf die Goiabada. Ich atmete durch und bemühte mich in meinem besten Englisch die ganze Geschichte meiner Reise zu erzählen. Irgendwann sagte der Chef:
„Ok, you can take your goiabada with you, have a good flight!“
Ich schnaufte mehrfach erleichtert durch, der Flug war noch nicht weg. Ich packte die Goiabada und mein Handgepäck, bedankte mich und ging durch die Sicherheitskontrolle. Im Warteraum versuchte ich die Goiabada wieder bestmöglich zu verpacken – ich schrieb noch eine kurze Nachricht für die Empfängerin dazu.
Nachtrag:
Ich bin im Nachhinein froh, dass sich die Geschichte vor 9/11 ereignete, ich weiß nicht, wie sie heute ausgegangen wäre. Ich weiß auch nicht, ob ich mein Verhalten als naiv einschätzen soll, ich hatte zu meinen Kollegen – und damit zu den Gassers vollkommenes Vertrauen und außerdem große Sympathie – mir ist nicht im geringsten in den Sinn gekommen, dass es irgendwelche Komplikationen geben könnte. Ich denke lieber gar nicht daran, was sich in den Köpfen des Sicherheitspersonals abspielte - und was würde sich erst heute darin abspielen?
Schließlich die Goiabada – die kannte ich damals noch nicht. Eine Goiabada ist eine eingedickte Masse aus Guaven (goiaba), fast ein bisschen marmeladenartig. Guaven sind tropische Früchte, die ich in gutem, reifem Zustand noch nie in Deutschland bekam, die ich damals in Brasilien aber sehr liebte.