Dante Alighieri: Ihr, die hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren
Did you hear that, I got a real bad feeling...
How many moles do you suppose they're keeping?
Don't make a sound they're not dead, just sleeping
(Aus Roger Osborne: „A history of bad men“)
Die Anlage
„Wer sind sie? Was machen sie hier?“ Der Mann schrie mich aufgeregt an, Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Anderen erhoben sich und starrten in meine Richtung. Anscheinend hatte mich das Knarrzen verraten, das ich bei dem Versuch machte, mich weiter in mein Versteck unter dem Laborschreibtisch zu verkriechen. Mein Gott, was würden sie jetzt mit mir machen? „Wer sind sie, zum Teufel? Kommen sie sofort raus da!“ Sie verschlossen die Tür zum Labor, so dass ich bei ihnen im Raum gefangen war.
Was hatte ich nur für eine Dummheit begangen als ich den Gang hinter der Tür betrat. Der lange Gang, die Abzweigungen, die Treppen hinauf und hinunter, die Schwingtüren durch und die vielen Türen zu den vielen Räumen. Ich war hier offensichtlich auf einen riesigen Komplex gestoßen, eine ganze unterirdische Welt. Was mochte das alles sein? Kilometerlange Gänge auf ich weiß nicht wie vielen Stockwerken? Die beeindruckenden Labore, die gigantischen Technikräume? Mir war es von Anfang an mulmig in diesen Gängen, aber ich war einfach so neugierig, dass das ich alle Vorsicht fallen ließ und mich immer tiefer in dieses unübersichtliche, verzweigte Labyrinth wagte. Um ehrlich zu sein hatte ich mich inzwischen verlaufen, ich wusste nicht mehr, wie ich zurückfinden sollte. Die Gänge wirkten nicht unfreundlich, weiß gestrichen mit grünen, gelben oder roten Bändern. An den Türen und den Abzweigungen standen offensichtlich verschlüsselte Informationen – war dies etwa eine Einrichtung der Außerirdischen? Meine Neugier wurde immer größer und in den Räumen die ich betrat, natürlich immer mit äußerster Vorsicht um nicht entdeckt zu werden, befanden sich eindrucksvolle technische Anlagen, Labore und Büros, viele Bildschirme und viele Kabel. In einigen der Büros fand ich Schriftdokumente, die ich lesen konnte, deren Bedeutung ich aber nicht verstand. War dies eine geheime Forschungsanstalt? Ich sah die ganze Zeit über keine Menschenseele und auch kein anderes Wesen, achtete aber immer darauf, ob ich Schritte oder Stimmen hörte und ob es eine Möglichkeit gab, sich schnell zu verstecken. Schließlich gelangte ich in ein Treppenhaus, das von Tageslicht erhellt wurde. „Gott sei Dank!“ dachte ich „Endlich ein Weg nach draußen“. Ich kam nun an einem Labor vorbei in dem sich einige Aquarien und mir unbekannte technische Einrichtungen befanden. Ich konnte nicht widerstehen und trat ein um die Fische zu betrachten als ich Schritte hörte die sich rasch näherten. Ich versteckte mich in einer schwer einsehbaren Ecke unter einem der Labortische und bemerkte wie einige Männer in weißen Kitteln eintraten. Einige setzten sich, einige blieben stehen und begannen eine aufgeregte Diskussion. Als ich bemerkte, dass ich unter dem Tisch irgendwo hinstieß und ein auffälliges Geräusch machte war es zu spät – ich war entdeckt.
Mühsam kletterte ich aus meinem Versteck hervor und hatte Angst vor dem was mich erwartete, zumindest ein unangenehmes schweres Verhör und daß ich nun wahrscheinlich gefangen genommen werde. Was würden sie mit mir machen? Noch einmal fragte mich der Mann, der mich entdeckt hatte in ungeduldigem, eindringlichem Ton: „Wer sind sie? Was tun sie hier?“ Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte und beschloss, daß es wohl das Beste wäre, die Wahrheit zu erzählen, wie ich über die Türe im Schulkeller in diese Anlage geriet. „Lass ihn Walter!“ sagte ein anderer „Ich glaub, der ist harmlos!“ „Sag mal, welcher Idiot hat denn vergessen, diese Tür abzuschliessen? Ich habe immer davor gewarnt, dass die Fluchtgänge viel zu unübersichtlich sind und dass so etwas irgendwann passieren musste!“ ereiferte sich wieder ein anderer. Sie ließen mich nun auf einen Stuhl setzen und fragten weiter: „Haben sie denn unser ganzes Gespräch mitgehört?“ „Ja, aber ich habe kaum etwas verstanden, schon rein akustisch nicht“ Ich musste unbedingt wissen, ob ich den Aliens in die Hände geraten war oder ob es Menschen waren und so nahm ich in einem Moment als sie kurz unaufmerksam waren den spitzen Bleistift, der sich noch in meiner Jackentasche befand und stach ihn in das Bein eines der Männer. „Auhhh! Sind sie wahnsinnig geworden? Was soll denn das?“ Ich wurde knallrot und sagte: „Entschuldigung, das war nicht mit Absicht“ „Natürlich war das mit Absicht, sie Idiot! Ich hab´s doch gesehen! Was soll das?“ Ich versuchte, zu retten, was zu retten ist und erzählte ihnen vom verstörenden Erlebnis mit meinem Kollegen Werner, meiner Angst vor den Außerirdischen und meiner Vermutung, dass die Außerirdischen Menschen verschwinden ließen und sie durch eine Art Kopien ersetzten. „Das mit der Schmerzunempfindlichkeit ist uns neu, das haben wir nicht gewusst! Das mit ihrem Verdacht vom Austauschen sehen wir auch so, wissen sie mehr?“ Ich erzählte nun von dem Objekt im Garten und was ich seit dem Vorabend erlebt hatte. „Zu diesem Objekt können wir nichts sagen, aber passen sie auf: Wenn sie hier wieder heraus wollen müssen sie mit uns zusammenarbeiten.“ „Zusammenarbeiten? Ich, ich bin Lehrer! Was könnte ich denn für sie tun?“ „Darum geht es nicht, sie wissen nun um diese Einrichtung und müssen sich verpflichten darüber Stillschweigen zu bewahren und Aufträge für uns auszuführen!“ Ich konnte mir ausmalen, welche Scherereien es gäbe, wenn ich nicht zusagen würde und so gab ich kurzerhand meine Zustimmung. „Wenn ich jetzt schon inoffizieller Mitarbeiter bin, sagen sie mal, was ist denn das hier eigentlich?“ „Das ist ein geheimes Forschungs- und Nachrichtenzentrum. Wir verarbeiten hier Informationen aus sehr verschiedenen, weltweiten Quellen aller Art um weitreichende Gefährdungsanalysen zu erstellen und strategische Handlungsoptionen für unsere Regierung vorzubereiten. „Strategische Handlungsoptionen“ dachte ich „in Deutschland?“ Ich musste mich sehr beherrschen um nicht laut aufzulachen. „Können sie mit einer Waffe umgehen?“ wurde ich gefragt. "Ich? Mir einer Waffe?" Mir fiel der Bleistift ein und musste ich wirklich lachen. Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit verschiedenen Formalitäten, Untersuchungen, Instruktionen und der Entschuldigung bei der Schule, eine Krankschreibung für die nächsten Tage sollte folgen. Das Mittagessen in der Kantine der Anlage war hervorragend und gab mir Gelegenheit meine neuen Kollegen besser kennenzulernen: „Sagt mal, seid ihr vom BND?“ „Nein, der BND ist nur eine Tarnorganisation, die vorgibt nachrichtendienstlich zu arbeiten um von unserer Arbeit abzulenken.“ „Das erklärt natürlich einiges!“ entfuhr es mir verblüfft, „und wer seid ihr dann?“ „Wir sind ein strategischer Nachrichtendienst, wir arbeiten auf einer ganz anderen, viel tieferen, viel analytischeren Ebene.“ „Ja, aber warum habt ihr dann denn vor dem ganzen Schlamassel der letzten Jahre nicht gewarnt?“ „Wir waren jahrelang völlig unterfinanziert, unser Etat läuft über Posten, die so im Haushalt nicht ausgeschrieben werden, damit unsere Existenz nicht öffentlich bekannt wird. Alleine die Anlage hier hat einen zweistelligen Milliardenbetrag verschlungen! Wir sind mit modernster Technik ausgestattet. So eine Anlage wie diese hier ist einzigartig auf der Welt.“ „Der Bundeswehretat“, dachte ich, „dahin fließt also das Geld vom Bundeswehrhaushalt wirklich. Das würde auch den derzeitigen desolaten Zustand der Streitkräfte erklären.“
Für den Nachmittag wurde eine wichtige Besprechung angesetzt bei der ich anwesend sein sollte.
Im Besprechungsraum war neben den neuesten Faxgeräten ein einladendes Kuchenbuffet aufgebaut. "Bedienen sie sich", lächelte mir eine freundliche Kollegin zu, "ist alles vegan! Auch die Kaffeemilch!"
„Aus sicherer Quelle wissen wir, dass die Außerirdischen schmerzunempfindlich sind,“ begann ein kantiger Oberst zu referieren, „sie beginnen offenbar damit, ausgewählte Menschen durch Ihresgleichen zu ersetzen. Wir haben sichere Hinweise dass mindestens eine Lehrkraft einer örtlichen Schule ein Außerirdischer sein muss. Wir konnten außerdem Aufnahmen ihrer Schiffe machen sowie ein Modul sicherstellen, dessen Bestimmung und Technik wir noch nicht vollständig verstehen.“ Ich sah Bilder aus dem gestrigen Fernsehprogramm und aus meinem Garten. „Ich darf ihnen Professor Aufschnaiter vorstellen, der meint, eine schlüssige Theorie über die Außerirdischen und ihre Absichten gefunden zu haben.“ „Vielen Dank,“ begann der Professor, „ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit alten Maya-Aufzeichnungen sowie ägyptischen und altindischen Schriften. Außerdem habe ich mehrere Dutzend altafrikanische Kunstobjekte und Malereien der Aborigines in meine Untersuchungen miteinbezogen. Mir sind in allen Kulturen Muster aufgefallen, die bisher nicht zu deuten waren, die aber im Hinblick auf den Kontakt, den wir seit gestern haben neu zu interpretieren sind.“ Er zeigte eine eindrucksvolle Powerpoint-Präsentation und wollte gerade über seine Interpretation der Welterschaffungsmythen der Tschuktschen einem Volk aus Sibirien berichten als die Beamerlampe durchbrannte. „Verdammt, nicht schon wieder,“ fluchte der Oberst „wir hätten einfach nicht diese untauglichen Billig-Geräte aus China kaufen sollen“ „Herr Oberst“, wandte ein anderer Offizier ein, sie kennen die Vorschriften für die Ausschreibungen zur Beschaffung des Inventars genau, demnach mussten wir die billigsten Geräte anschaffen." Aufregung und Frustration durchzog die Runde und man verständigte den Hausmeister.
In der Zwischenzeit nahmen mich zwei Beamte zur Seite und sprachen auf mich ein: „Wir müssen uns das Ganze nicht bis zum Ende anhören! Der Professor behauptet, er hätte rausgefunden dass die alten Kulturen die Ankunft der Aliens seit Jahrtausenden vorhergesagt hätten. Für morgen Nachmittag sagten sie angeblich ein wichtiges Ereignis an einem geheimnisvollen Ort voraus. Wir halten das Ganze für ziemlich unglaubwürdig wollen es aber trotzdem nicht ungeprüft lassen.“ „Wir hätten da an sie gedacht! Sie sind unverdächtig, wir schicken sie morgen mit einem ortskundigen Fahrer und einem erfahrenen Offizier an ihrer Seite los um Erkundigungen vor Ort einzuziehen. Das ist nur ein paar Autostunden von hier.“ Ich stöhnte auf, erklärte mich aber bereit mitzufahren, das Unternehmen klang nicht sehr aufregend. "Keine Angst, wenn etwas dazwischen kommt, es gibt ein Faxgerät im dortigen Postamt!" sagte er noch. Ich erbleichte! "Ha, ha," prustete er, "kleiner Scherz, iss hier ein Insider." Wir zogen uns diskret in ein Büro zurück um die Einzelheiten zu besprechen. Ich wurde in die Handhabung eines GPS-Trackers unterwiesen denn die Beamten meinten, der Professor hätte entsprechende Daten berechnet. Als ich die Verpackung sah und versuchte die unbrauchbare Gebrauchsanweisung zu interpretieren wollte ich schon nach den Auschreibungsbedingungen für diese Anschaffung fragen, aber ich hielt es momentan nicht für zielführend.