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Nach dem Prompt „Sandtigerhai“ der Gruppe „Crikey!“
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"Wo ist Rin?" Alja sah ihren Mann verzweifelt an. Ihre Kiemen flatterten vor Furcht um ihre Tochter.
"Ist sie nicht in ihrer Höhle?" Jaak legte die Muscheln beiseite und schwamm zu ihr hoch. Mit zwei Schlägen der Schwanzflosse war er über dem Graben, in dem Rins Bereich lag.
"Ich dachte, sie hilft dir beim Perlensticken!", rief Alja aus. "Sie sagte, sie wollte zu dir!"
"Wann war das?"
"Heute Morgen."
"Mir hat sie gesagt, sie würde mit dir auf die Jagd schwimmen."
Schluckend sahen die Eltern einander an, als ihnen bewusst wurde, dass ihre Tochter schon seit dem Morgen verschwunden war.
"Wo könnte sie sein?", fragte Alja, während sie losschwamm und ihren Speer holte.
"Sie hat letztens etwas von einer Mutprobe erzählt", erinnerte sich ihr Mann mit einem plötzlichen, erschrockenen Ruck. "Draußen beim Graben. Ihre Freundinnen reden wohl alle davon."
"Beim Graben? Aber da gibt es Haie." Alja wurde blass. "Du hast ihr doch gesagt ...?"
"Natürlich habe ich es ihr verboten!", fauchte Jaak. "Ich habe ihr erklärt, wie gefährlich das ist. Los, komm." Er schwamm los und Alja eilte ihm mit hastigen Flossenschlägen nach.
Sie erreichten den Rand des Grabens nur wenig später. Das Meer wurde hier so finster und schwarz wie der Nachthimmel zwischen den Sternen. Der Boden war noch karger als er es auf dem kiesigen Boden im Siedlungsbereich war. Keine Pflanze wuchs auf den Klippen des Grabens.
Etwas weiter südlich schwammen einige junge Mädchen am Graben herum, sahen besorgt in die Tiefe und stritten mit gedämpften Stimmen. Alja hielt auf sie zu, Jaak flösselte hinterdrein. Die Teenager verstummten, als sie Rins Eltern sahen.
"Wo ist sie?", fragte Alja zornig.
"Sie ist einfach nicht wieder hochgekommen", erklärte eines der Mädchen schluchzend. "Wir dachten nicht, dass sie wirklich so tief runterschwimmt! Wir sind ja alle nur ein paar Flossenlängen eingetaucht, aber Rin ..."
"WO IST MEINE TOCHTER?!", brüllte Alja. Jaak hatte sich bereits in die Tiefe gestürzt und schwamm der Schwärze entgegen.
"Rin! Riiin!", rief er.
Alja ignorierte die schluchzenden Freundinnen ihrer Tochter und folgte ihm, den Speer in beiden Händen.
Bald wurde das Meer um sie herum kalt und dunkel. Sie wurden langsamer und schwammen Seite an Seite. Mit kräftigen Flossenschlägen brachten sie das Wasser vor sich in Bewegung und tasteten sich darüber voran, da sie jede widergespiegelte Welle spürten.
"Rin!", riefen sie ab und zu. Ihre Stimmen klangen verloren durch die Tiefe. Der Druck von allein Seiten nahm zu.
Schließlich bemerkte Alja einen bläulichen Schimmer unter ihnen. Verwirrt sah sie hinab. Nach einer Weile wurde auch Jaak langsamer.
"Siehst du das auch?", flüsterte Alja.
Jaak nickte. Er klammerte sich an ihren Arm.
Eine Weile schwammen die beiden auf der Stelle und sahen fasziniert in die Tiefe, deren Schimmer sie hypnotisierte.
Dann hörten sie ein Lachen.
"Rin!", brüllten Alja und Jaak gleichzeitig. Sie wirbelten herum und schwammen zur Quelle des Geräusches, die irgendwo unter ihnen lag. Schließlich erblickten sie ihre Tochter, die sich kichernd im Kreis drehte, als wolle sie tanzen. Doch sie hatte keinen Partner ...
Doch, den hatte sie. Aljas Herz schien einen Schlag auszusetzen, als sie einen Hai aus dem Graben jagen sah, der direkt auf ihre Tochter zuhielt.
"Rin!" Sie preschte vor, Jaak war nur wenig hinter ihr. Alja hob den Speer und warf ihn, aber sie war zu weit entfernt und die Waffe sank wirkungslos in die Tiefe. "Rin!"
Der Hai hatte ihre Tochter erreicht. Und jagte vorbei.
Rin lachte, während der Hai um sie herumwirbelte und wieder in die Dunkelheit glitt. Dann kehrte er wieder - oder ein anderer Hai, denn bald tauchten zwei weitere auf. Sie umkreisten Rin vor den Augen ihrer geschockten Eltern und schienen fast mit dem Mädchen zu tanzen. Auf ihren grauen Körpern schimmerten tiefblaue Flecken und unregelmäßige Kreise.
"Rin!", rief Alja erneut.
Diesmal sah ihrer Tochter auf und winkte ihnen fröhlich. "Seht mal! Sind sie nicht hübsch?"
"Rin, komm da weg. Das ist gefährlich."
Ihre Tochter schüttelte ernst den Kopf, während sie einen der Haie kraulte, sich dann an seiner Rückenflosse festhielt und zu ihren Eltern ziehen ließ.
"Sie sind ganz harmlos, seht ihr?"
"Offenbar ...", murmelte Jaak.
Alja ergriff Rins Arm.
"Au!"
"Du hast Höhlenarrest, junge Dame! Wie kannst du es wagen, dich einfach so davonzuschleichen! Hast du eine Ahnung, was für Sorgen wir uns gemacht haben?"
Rin senkte zerknirscht den Blick. "Tut mir leid."
"Du wirst deine Freundinnen eine Woche lang nicht sehen, verstanden? Und jetzt komm." Grimmig zog Alja sie nach oben. Dann stoppte sie und zog ihre Tochter in eine feste Umarmung. "Ich bin so froh, dass es dir gut geht!"
Zögerlich erwiderte Rin die Umarmung. "Ich mache es nie wieder. Aber darf ich wieder hierher zurück? Ich mag die Haie."
Alja spannte sich an, um ihre Tochter zusammenzubrüllen.
"Vielleicht später", warf Jaak besänftigend ein. "Und auf keinen Fall alleine!"