Wie jeden Abend, lag Emilia in ihrem Bettchen und freute sich riesig auf ihre Gutenachtgeschichte.
Sie war erst 6 Jahre alt. Da waren Märchen doch etwas wunderbares. Sie hatte sich in ihre Decke gekuschelt und wartete auf ihr Tante. Sie liebte sie heiß und innig. Denn sie konnte so toll Geschichten erzählen. Von Dingen, die Emilia sich niemals vorstellen konnte.
Da waren so mystische Dinge wie Regen, Wolken, Schnee … Alles Sachen, die Emilia nicht kannte. Manchmal erzählte die Tante auch Geschichten über Feen, Hexen, Zauberer und Einhörner. Aber die fand Emilia gar nicht so spannend.
Die Tante kam rein wie jeden Abend. Mit ihrem lieben Lächeln.
„Na meine Kleine! Was möchtest du denn heute hören?“
Emilia schaute ihre Tante erwartungsvoll an.
"Erzähl von Wolken, und ihren Freunden, dem Regen, dem Schnee."
Das Gesicht der Tante war ledrig. Dunkel, und voller Falten. Etwas, was man heute nicht mehr kannte. Die Tante war ja auch schon uralt. Ganz sicher schon 10000000000 Jahre alt, dacht das Mädchen.
Dabei war die ältere Frau erst 55. Aber sie hatte die Zeit des Klimakolapses noch live erlebt. Als die Welt, die mal grün war, verbrannte. Als die Flüsse verdorrten. Die Wälder starben und nichts blieb außer Dürre und Hitze.
Es gab keinen Regen mehr. Keine Wolken. Der Aufenthalt im Freien bei mehr als 60 Grad war nicht mehr möglich. Es gab keine Abkühlung mehr. Nur noch das eigene Heim. Wer das nicht hatte, der war des Todes. Dörrobst. Geschuldet den Sünden der Vergangenheit.
Heute, im Jahr 2090 wurden alle Räume automatisch und zentral klimatisiert. An Energie mangelte es nicht. Denn Sonnenenergie gab es genug. Wasser wurde über die Ausscheidungen der Menschen gewonnen. Wieder und immer wieder. Flüsse waren längst versiegt. Seen ausgetrocknet. Meere, gab es längst nicht mehr. Ihr Wasser wurde schon lange entsalzt und in riesigen Speichern gesammelt. Wer dieses Wasser wollte, der musste zahlen. Nur, das konnten nur wenige. Der Rest trank immer wieder seine eigenen Ausscheidungen. Duschen gab es nicht mehr. Körperreinigung erfolgte chemisch.
Es blieb nur noch die Erinnerung an früher. An ein heißes Bad. Bevor es so heiß wurde, dass sowas an Folter grenzte. An eine kühle Dusche, bevor es verboten wurde. An Kühlschränke, in denem man echte Lebensmittel lagern konnte. Ja, sogar Tiefkühlschränke gab es. Mit Eiscreme. Heute kannte das niemand mehr. Es gab nur noch Pillen. Die deckten alles ab. Reine Chemie. Aber es hielt am Leben.
Davon wollte die Tante ihrer Nichte nicht erzählen. Sie selber wollte nicht traurig sein. Sie hatte gekämpft. Sie hatte gewarnt. Doch so viele wollten nicht hören. Bis ...dann war es zu spät. Sie wollte ihrer Nichte die vergangenen Dinge zeigen. Auf das sie nicht in Vergessenheit gerieten.
Und genau das erzählte die Tante ihrer Nichte. Die Kleine hörte gespannt, mit roten Wangen zu. Versuchte sich vorzustellen, was Regen war. Wie die Erde nach dem Regen roch. Wie eine Wolke aussah. Wie schön ein Regenbogen strahlte.
Was sie am meisten faszinierte war aber, dass es Schneeflocken gegeben hatte. Die angeblich jede einzigartig waren.
Emilia wusste genau: das alles war nur ein wunderschönes Märchen. Aber sie wünschte sich doch sehr in dieses Märchen hinein.
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Wir, die wir heute leben, wissen noch, wie das alles ist. Wir leben in diesem Märchen, welches leider aber schon zu viele dürre Stellen hat. Es ist so traurig.