Noch immer klingen die Worte der Pfarrerin in meinen Ohren. "Lasst uns noch etwas beisammen sitzen. Wenn ihr jetzt geht, kehrt ihr in ein leeres Haus zurück und da ist niemand außer eurer Trauer und euren Gedanken und dann seid ihr allein". Und so erinnerten wir uns zusammen an sie und die gemeinsame Zeit mit ihr zurück und lachten und weinten über all die alten Geschichten und schönen Erinnerungen, die jeder von uns in seinen Herzen trug. Die Gedanken und die Rückkehr in ein kaltes Heim schoben wir auf, solange es ging, und in diesem Moment war es wirklich etwas einfacher.
Viele Wochen sind seit diesem Mittag vergangen und vor allem in den letzten Tagen wird mir immer wieder schmerzlich bewusst, dass die Pfarrerin Recht hatte. Ein Haus, das mal ein Zuhause war, kann so viel seiner Wärme verlieren, wenn einer seiner Bewohner plötzlich aus dem Leben gerissen wird. In diesen Räumen hat sie gelacht, geweint und gelebt. Diese Räume waren ihr Heim, ihre Zuflucht und diese Räume sind noch hier, doch sie ist weg und wird nie wieder hier her zurückkehren. Vieles hat sich hier seit ihrem Tod verändert. Ihre Kleidung hängt nicht mehr in den Schränken, ihre Schuhe stehen nicht mehr im Flur. Es sind die kleinen Dinge, die fehlen, die den Verlust deutlich machen und das "Nie wieder" fest an die alltäglichen Gedanken binden. Sie hätte Geburtstag gehabt, vor wenigen Wochen erst, aber diesen Tag werden wir nie wieder feiern, weil wir nie wieder aufhören werden an sie zu denken und sie so sehr zu vermissen, dass es unser Herz zerreißt.
Aber auch wenn so vieles sich verändert hat, sind doch überall Spuren von ihr zu finden. Ihr geliebter Rosenstrauch blüht noch immer und ihr lachendes Bild wacht über ihn. Er, der lernen musste ohne sie zu leben. Noch immer wacht auf, weil er im Traum dachte, dass sie seinen Namen gerufen hätte. Noch immer versucht er nachts leise zu sein, weil er sie nicht aufwecken will. Noch immer hat seine Liebe zu ihr nicht das kleinste bisschen nachgelassen.
So viel Zeit ist seit ihrem Tod schon vergangen und doch ist es für keinen von uns wirklich leichter geworden. Die Erinnerungen schleichen sich einfach an und erwischen mich immer wieder. Sie lassen meinen Körper zittern, nehmen mir de Atmen und verdammen mich zu leisen Schluchzern, obwohl ich all den Schmerz am liebsten herausschreien würde. Diese Erinnerungen rollen aus meinen Augen um stumm über mein Gesicht zu fließen und auf mein Kissen zu fallen. Ich versuche sie festzuhalten so gut es geht, aber dennoch verwischt die Erinnerung an sie immer mehr und ihre Spuren beginnen zu verblassen. Zur Traurigkeit, die mich mit der Fessel des Vermissens fest umklammert hält, mischen sich zunehmend auch Zweifel, Unsicherheit und Vergessen. Es beginnt mit den kleinen Dingen, aber es wird schlimmer und schlimmer. Wie hat nochmal ihr Kuchen geschmeckt? Was war doch gleich ihr Lieblingslied? Wie hat ihr Parfüm eigentlich gerochen? Wie hat sich angefühlt sie zu umarmen und wie klang nochmal ihre Stimme? Jedes Vergessen wird schlimmer und ich habe Angst, dass irgendwann nichts mehr von ihr übrig bleibt. Mit dieser Angst sitze ich in ihrem leeren Wohnzimmer, lasse den Blick über ihren Garten schweifen, er bleibt an dem Rosenstrauch hängen und ich kämpfe mit den Tränen, die bereits beginnen, die Worte auf meinem Papier zu verwischen. Heute ist es genau ein Jahr her und die Zeit hat im Wunden heilen versagt. Es wurde nicht einfacher, es wurde nicht besser, es tut immer noch weh und der Schmerz lässt uns abstumpfen. Wir gewöhnen uns daran mit ihm zu leben, können ihn in manchen Momenten gar verdrängen, aber jedes Mal schafft er es in neuer Heftigkeit zurückzukommen, vor allem in der Nacht, wenn wie allein uns ausgeliefert sind.
Draußen schneidet er die schönste Rosenblüte vom Strauch ab, so sanft, als befürchte er sie zu verletzen und seine Tränen vermischen sich mit dicken Regentropfen. Später wird er die Blume auf ihr Grab legen und danach wird er zurückkehren in ein kaltes Heim, wo er irgendwann wieder mit seinen Gedanken, seinem Schmerz alleine sein wird. Die Pfarrerin hatte Recht mit ihren Worten und jetzt, nach einem ganzen Jahr ohne sie, ist das so deutlich, wie nie zuvor.