Leander war bewusstlos viel erträglicher als im wachen Zustand, wie Ria fand. Man sah nicht dieses unheimliche Funkeln in den Augen und man hörte auch nicht seine eingebildete Stimme. Nun hatte sie Gelegenheit ihn zu betrachten, ohne Szenarien zu entwickeln wie sie ihn verletzen könnte und stellte fest, dass er nicht nur in seinem Verhalten, sondern auch durch sein Aussehen perfekt an Nahnhafen angepasst war. Er war groß, schlank und blond, wie die meisten in Grüneneb, obwohl seine grauen Augen eher nach Ostschar gepasst hätten. Bestimmt hatten schon viele wohlhabende Händler ihm die Hand ihrer Tochter angeboten, und waren jedes Mal enttäuscht abgezogen. Selbst wenn Leander eine Frau gefiel, würde er nie mit ihr zusammen sein, denn die Institution untersagte alle ungenehmigten Beziehungen. Es war allein ihre Aufgabe zu entscheiden wann, ob, und mit wem man eine Bindung einging und wie weit diese reichen würde. Ria würde nie Kinder haben, es kümmerte sie auch nicht, schließlich hatte sie auch nie daran gedacht. Schon immer wurde ihr gesagt, dass das nicht ihr Schicksal sei, keine weibliche Makeii, von denen es nur wenige gab, würde je dieses Schicksal haben. Die Weitergabe war Aufgabe der Männer. Ein schönes Wort, um, wie Ria fand, eine schlimme Sache zu beschreiben. Im Prinzip bekamen die Männer irgendwann den Auftrag jemanden zu schwängern, nur um dann wieder zu gehen und die Frauen im Stich zu lassen. Nie durften ein Makeii sein eigenes Kind sehen, die Bindung, die dadurch entstand war laut der Institution hinderlich. Auch Leander würde irgendwann ein Kind zeugen, dass er nie sehen durfte, aber wie Ria ihn mittlerweile einschätzte, würde er damit kein Problem haben, solange man ihm nicht sein Dienstmädchen wegnahm. Doch das Schicksal der Frauen war ihrer Meinung nach das Schlimmste an der Weitergabe, auch wenn ihr diese Meinung nicht zusatnd. All diese einsamen Mütter, die ihr Kind allein aufziehen müssen, nur um es ein paar Jahre später zu verlieren.
Leander stöhnte und Ria ging vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Er hustete und setzte sich langsam und verwirrt auf, urplötzlich schien ihm wieder seine Situation klar zu werden, denn sofort sprang er auf die Beine und sah Ria mit einem tödlichen Funkeln in den Augen an. Diese hob nur beide Hände, um ihn zu beruhigen, vergeblich.
„Das...“, Leander versuchte zu sprechen aber er kam nur ein Krächzen heraus, was ihn Husten ließ.
„...war reine Zeitverschwendung, ich stimme dir zu“, vollendete Ria seinen Satz, fügte aber nach kurzem Überlegen hinzu, „Aber du warst besser als ich erwartet habe, vermutlich besser als die meisten Beobachter in deiner Situation.“ Das er sich noch mehr aufregte, war nicht ihr Ziel, schließlich benötigte sie noch immer Informationen von ihm. Sein Gesicht lief noch dunkler an, aber bevor er sie mit Worten oder Fäusten angreifen konnte, sprach Ria weiter, „Es hilft auch nicht bei der Aufgabe die vor uns liegt, also lass uns das ganze vergessen. Erzähl von Zerian, dann hast du mich für die nächste Zeit los.“
Leander überlegte einen Moment aber entspannte sich zumindest äußerlich so weit, dass er sich wieder setzte.
„Zerian von Abal ist ein einflussreicher und beliebter Mann, es wird nicht leicht sein ihn allein anzutreffen“, begann er noch immer mit krächzender Stimme, „Er soll nächste Woche Richter werden. Seine Ansichten, sind... radikal anders.“
Leander erzählte ihr noch eine Weile von Zerian von Abal, seine Gewohnheiten, Termine, Pläne. Sie merkte sich die wichtigen Details, wie sie zum Beispiel am einfachsten in das Haus kam, aber bevor Zerian letzte Stunde schlug, musste sie ihn noch eine Weile beobachten, und herausfinden mit wem er sich noch im Geheimen traf. Als sie davon erfuhr stöhnte sie auf, ursprünglich wollte sie nur höchstens zwei Tage wegbleiben.
Es dämmerte bereits, als Ria das Haus verließ und sich auf den Weg zum Salzkönig machte, dem Ort an dem sich Zerian von Abal zu dieser Zeit laut Leander aufhielt. Der Salzkönig erwies sich als mittelmäßig schummriges Wirtshaus. Es war nicht die Sorte in der sich Kopfgeldjäger oder Mörder rumtrieben, in der man nicht einmal versuchte die getrockneten Blutflecken von der Theke zu wischen und in der man niemandem den Rücken zudrehen durfte, aus Sorge sonst eine Dolch zwischen den Schulterblätter zu haben, aber es war auch nicht die Sorte in der man zukünftige Richter erwarten würde. Wie zu erwarten waren die meisten der Gäste Matrosen, Fremde aus ganz Kronland und darüber hinaus, die hier niemanden kannten und nur auf ein vollen Becher aus waren, um danach am Tresen einzuschlafen. Trotz mäßigem Licht erkannte Ria sofort, dass Zerian nicht unter ihnen war, jedenfalls noch nicht, und verzog sich unauffällig in eine dunkle Ecke des Raumes. Wehe deine Informationen sind so gut wie deine Kampfkünste Leander und ich verbringe meinen Abend umsonst hier. Was sollte ein Adliger hier wollen? Sich im Dunkel mit einem geheimnisvollen Fremden treffen? Ria knirschte schon bei dem Gedanken mit den Zähnen. Ein mysteriöser Fremder würde noch mehr Zeit mit Leander bedeuten. Sie hüllte sich schon fast aus Gewohnheit in die Schatten der Wände und verschwand vor ungewollten Blicken. Misstrauisch sah sie sich um, doch niemand schien sie mehr zu bemerken.
Die Zeit verstrich, immer mehr Männer strömten in die Schenke, der Lärm schmerzte bereits in Rias Ohren und die Kälte der Dunkelheit drang in ihre Knochen, sodass sie zu frösteln begann. Schon seit Stunden beobachtet sie jede einzelne Person im Raum und das Traurige war, dass kein einziger interesaant genug war, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Da waren die einheimischen Matrosen an einem der Tische, die ein Kartenspiel spielten und dabei all ihr Geld setzten. Ganz am Anfang hatte sie mitbekommen wie der Jüngste von ihnen von einem Mädchen schwärmte, dass wie er meinte, die Liebe seines Lebens war und um deren Hand er anhalten wollte. In seiner Geldnot hatte er seine Kameraden zu diesem Spiel überredet ohne dabei zu merken wie die ihr hämisches Grinsen verbargen und nun wurde der arme Teufel von ihnen hemmungslos ausgenommen. Ria war es schleierhaft wie man so naiv sein konnte, um nicht zu bemerken wie alle, bis auf den Jungen, betrogen was das zeig hielt. An einem anderen Tisch betranken sich zwei schweigende Männer, die mit stumpfen Augen in ihre Becher starrten, dem einen lief schon seit geraumer Zeit der Speichel in langen Fäden aus dem halbgeöffneten Mund und bildete auf dem Holz eine Pfütze. Der Wirt hinter seinem Tresen füllte immer mehrere Krüge gleichzeitig und schnauzte seine Bedienungen an, wenn die nicht schnell genug auslieferten. An den restlichen Tischen saß eine bunt gemischte Ansammlung von Menschen, ein Mann mit langen Ledermantel, der seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte und sein Wein nicht anrührte. Noch auffälliger kann man sich gar nicht verhalten, es fehlt nur noch, dass er sich alle paar Sekunden hektisch umschaut oder an seinen Fingernägeln kaut. Sie musste auf Grund soviel Klischeehaftigkeit schmunzeln und betrachtete weiter den Raum. Es gab noch eine Gruppe von Kapitänen die über eine Karte gebeugt waren, weitere einsame Männer mit tiefen Augenringen, denen die Sorgen ins Gesicht geschrieben waren, ein paar Freudenmädchen die sich mit den nun reicheren Matrosen des Kartenspiels unterhielten und auch ein paar Reisende aus dem Süden. Am liebsten hätte sich Ria die Ohren zugehalten, um das monotone Stimmengewirr, das Klappern von Geschirr und die Schreierei des jungen Matrosen auszublenden, der mittlerweile begriffen hatte, warum er im Spiel so viel Pech hatte, doch eine winzige Bewegung ließ sie sich aufrichten. Die Tür des Salzkönigs war die ganze Zeit auf und wieder zu gegangen und außer dem Wirt schien es niemanden zu interessieren, doch nun richtete sich auch der mehr als auffällige Mann mit dem dunklen Mantel auf und umfasste fast krampfhaft seinen Becher. Eine ähnlich gekleidete Person betrat das Wirtshaus und gesellte sich zu ihm, die Kapuze so tief im Gesicht, dass es vermutlich nur den Boden vor ihm sehen konnte.
Rias Instinkt erwachte und noch immer in die Schatten gehüllt näherte sie sich den beiden Tarnexperten. Nach ein paar Schritten erkannte sie unter der dunklen Kapuze eine lange gerade Nase, silbergraues Haar und einen grimmigen Mund, Zerian von Abal. Also hatte Leander doch mal etwas richtig gemacht. Der andere Mann, der schon länger wartete, war deutlich jünger und schien eher besorgt-grimmig als wütend-grimmig, wie Zerian es tat. Sie überprüfte noch einmal ihre Schattentarnung, bevor sie sich noch ein Stück näher wagte.
„...ist Wahnsinn. Komm doch zur Vernunft!“;knurrte der Jüngere.
„Nein, komm du zur Vernunft, wie kannst du nur so engstirnig und egoistisch sein?“ Zerian schien mehr als wütend, seine Augen funkelten auf eine Art die Ria zu gut kannte. Der jüngere Mann raufte sich die Haare, wobei ihm seine Kapuze von der Stirn rutschte. Nun konnte Ria auch sein Gesicht erkennen. Er war älter als sie zunächst angenommen hatte und zu sagen, er sähe Zerian ähnlich wäre untertrieben.
„Wenn du so weiter machst kannst du dich auch gleich ins Schwert stürzen, denn der Tod ist das einzige was am Ende deines Weges wartet.“
„Der Tod wartet auf uns alle.“
„Oh, jetzt hör doch mit diesem geistigen Blödsinn auf. Ich für meinen Teil würde gern noch ein wenig länger leben. Weißt du überhaupt welcher Gefahr ich mich ausgesetzt habe, indem ich mich mit dir treffe? Unsere halbe Familie hält sich bereits von dir fern, weil sie deinen Irrsinn erkannt haben, deine hetzerischen Ansichten, werden uns alle den Titel kosten, vielleicht sogar das Leben. Das tust du uns damit an, deiner eigenen Familie. Sei doch nicht so naiv, größenwahnsinnig, besessen...“
„Naiv? Wer ist von uns beiden naiv? Du hast keine Ahnung wie weit das ganze reicht, ich bin nicht der einzige. Nur ein Blatt eines gewaltigen Baumes, dessen Wurzeln ein gewaltiges Ausmaß haben.“
„Hör mit den verfluchten Metaphern auf, du weder Dichter noch Philosoph! Ich hab dein Gerede satt. Du bist einfach verrückt!“ Der Mann schrie fast die letzten Worte und sein Gesicht war mittlerweile dunkelrot. Man sah ihm an, wie schwer es fiel, sich wieder zu setzten und sich zu beruhigen. Zerian dagegen schien nun bemerkenswert ruhig zu sein und fegte win paar Krümel vom Tisch bevor er fortfuhr.
„Sieh nur ein Mal über den Tellerrand und über deine eigenen Bedürfnisse. Dir geht es nur um Titel, Geld und Ansehen. Du hast Angst deinem Namen und Einfluss zu verlieren, doch denk nur einen Moment über alles nach. Über unser Regierungssystem und die Aufgabe die jeder von uns hat. Glaubst du wirklich, dass nur ein einziger der Hochadligen nur eine davon erfüllt? Und was ist mit dem Volk, das leidet und hungert? Mit den Armutsvierteln die sich bilden?“
„Siehst du hier irgendwo hungernde und leidende Menschen?“, fragte der Jüngere entmutigt.
„In Nahnhafen sieht man niemandem von dem der Stadtherr es nicht will.“
„Vater... Du begehst Hochverrat. Gibt es eine Chance, dass du von das Ganzen ablässt?“
„Es tut mir leid, doch wir beide müssen unsere Hoffnung aufgeben.“
Der Jüngere sah betrübt nach unten und atmete schwer ein und aus, bevor er aufstand und zum Abschied: „Dann kann ich nichts mehr für dich tun. Leb Wohl.“
„Kester“, Zerian griff nach der Hand seines Sohnes ehe dieser gehen konnte, „Obwohl wir unsere Ansichten nicht teilen wünsche ich dir alles Glück dieser Welt.“ Danach ließ er ihn gehen ohne das dieser sich noch einmal umdrehte.
Ria verschwand unauffällig zwischen den anderen Gästen und beobachtete den weiteren Verlauf aus der Entfernung zu beobachten. Sie konnte kaum atmen, so sehr waren ihre Gefühle in Aufruhr geraten. Freude, Kummer, Neugier...zu viele Emotionen ihrer Meinung, konnte ihr Körper sich nicht endlich für eine entscheiden? Diese ganze Verwirrung war doch mehr als hinderlich. Ruhig besann sie sich auf die Methoden der Institution, um sich zu entspannen und die Kontrolle zu übernehmen. Nach einigen Augenblicken hatte sie sich so weit im Griff dass sie bemerkte, wie ihre Schattenumhang sich begann aufzulösen und sie ihn rasch wieder aufrichtete auch wenn sie mittlerweile durchgefroren war und es sie so langsam Kraft kostete, nicht in der Form von körperlicher Kraft, Müdigkeit oder ähnlichem. Das Problem war eher ihre geistige Verfassung, sie wurde von Minute zu Minute reizbarer, angespannter und unkonzentrierter.
Ria straffte die Schultern und verbannte all ihre Gedanken und konzentrierte sich wieder voll und ganz auf Abal und ihre Umgebung. Der Möchtegern-Philosoph hatte bezahlt und verließ den Salzkönig, lautlos und dunkel wie die Nacht folgte ihm Ria zu einem der größten und prachtvollsten Häuser in ganz Nahnhafen. Es war in einem leuchtenden Gelb gestrichen, die selbe Farbe wie die zahllosen Rosen, die den Pfad zur Haustür schmückten, auch wenn zu dieser Zeit nichts davon seine volle Schönheit zeigen konnte. Ria blieb in der Nähe des Eingangs stehen und begutachtete die Sicherheitsmaßnahmen. Lachhaft. Eine Wache am Tor, noch dazu ein alter Mann. Wahrscheinlich befinden sich im Haus keine, nur Bedienstete, auch wenn deren ständiges herum Gewusel zum Problem werden könnte...
Ria blieb noch einige Zeit bei dem gelben Haus und lauschte auf das kleinste Geräusch, doch konnte selbst sie auf diese Entfernung nicht allzu viel hören. Nur das Zerbrechen einiger Teller, Geschrei das daraufhin folgte. Danach vernahm sie nur das Knistern der Rosenbüsche und das Quietschen des Tores. So leise wie sie schon den ganzen Abend gewesen war schlich sie nun zurück zu Leanders Haus, wo sie endlich die Schatten loslassen konnte. Ihre Nerven lagen mittlerweile blank und dankbar bemerkte sie, dass das Hausmädchen eine Bettflasche in ihr Bett gelegt hatte. Ihre Finger waren mittlerweile taub und die Wärme des vorgewärmten Bettes war das Schönste, was sie seit langer Zeit erlebt hatte.
Der nächste Morgen begann mit einem grimmigen Leander, der sie wütend ankeifte, als Ria ihn unsanft wachrüttelte.
„Was fällt dir...“
„Steh endlich auf, die Sonne ist bereits aufgegangenen.“
„Du meinst, die Sonne ist erst aufgegangen. Und was willst du eigentlich hier? Verschwinde sofort aus meinem Schlafzimmer!“ Leander sah sie mit vor Wut, oder Scham, errötetem Gesicht von unten an, eine Hand hatte er unter sein Kissen geschoben. Hatte es dieser Idiot noch nicht begriffen, dass er gegen sie keine Chance hatte?
„Dieses ganze 'Bei Sonnenaufgang muss aufgestanden werden' Zeug war mir schon immer zu wieder, das war nur eine der unzähligen Arten uns in der Ausbildung zu quälen. Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, doch draußen ist zu dieser Zeit noch keine Menschenseele unterwegs! Und jetzt verschwinde und schließe die Tür hinter dir.“ Leander ließ sich wieder in die Kissen fallen und wickelte sich wieder in die Decke ein. Ria schnaubte belustigt, dieser Kerl lebte eindeutig zu lange von seinem Volk entfernt. Das hier sollte ich in meinem Bericht erwähnen, eine Weile in den Tuffkratern würden ihm gut tun.
„Ich fasse es nicht, dass ich so mit dir umgehen muss“ Erbarmungslos zog sie ihm die Decke weg und warf sie auf den Boden, „Zum Einen herrscht draußen schon ein munteres Treiben und dazu kommt, dass ich einen Auftrag erfüllen muss. Warst du es nicht der die ganze Aufgabe noch ernster nimmt als ich? Also beweg deinen faulen Hintern aus dem Bett und sag mir wo ich Zerian finde. Sofort!“
Leander wehrte sich gegen ihre Grobheit und blieb sogar noch einige Momente im Bett liegen bevor er sich ächzend erhob. Wütend funkelte er sie an und zog sich einen Morgenmantel, natürlich aus Seide, über.
„Zerian von Abal findest du zu dieser Uhrzeit am selben Platz wie jeden anderen Adeligen. Im Bett! Glaubst du wirklich er wäre schon wach?“
„Ich weiß es nicht. Du bist doch derjenige, dessen Aufgabe es ist genau das zu wissen“, erwiderte sie giftig. Leander lachte freudlos auf und gab ihr ein Zeichen ihm nach unten zu folgen.
„Irgendwann wirst du es noch bereuen so gehässig zu sein. Dein Ziel und das versichere ich dir, wird sich den ganzen Tag bei sich zu Hause aufhalten. Vielleicht geht er spazieren, aber soweit ich weiß, besser gesagt, es steht fest, dass er in der nächsten Zeit keine Termine hat. Töte ihn einfach so schnell wie möglich, seine Ernennung zum Richter steht bevor. Außerdem bin ich dann endlich los.“
„War das jetzt so schwer?“ Ria konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und zu ihrer Überraschung lächelte Leander müde zurück.
Leander behielt Recht, Zerain blieb den ganzen Tag bei sich zu Hause, meistens im Garten, wo ihn Ria von ihrem Standpunkt aus gut beobachten konnte. Sie hatte sich zwischen den Schornsteinen eines Hauses verborgen, wo sie niemand außer den Vögeln entdecken konnte. Nach einigen Stunden verflog Rias Aufregung und die Situation begann sie zu langweilen. Nur am späten Nachmittag wurde ihre Routine unterbrochen, als ein Mann mit schulterlangen, schwarzen Haaren versuchte in das Haus zu gelangen. Allerdings wurde er von den Bediensteten abgewiesen und verließ mit verdrossenem Gesicht das Anwesen. So verlief die Zeit bis die Sonne unterging und sich die Nacht über die Stadt legte, Ria war schon im Begriff zurück zu Leander zu gehen, als sich etwas im Halbdunkel regte.
Selbst für ihre Augen war die Person die am Zaun des Hauses entlang schlich nur sehr schwer zu erkennen. Alles was sie sah war ein schemenhafter Schatten, bis eine zweite Person aus dem Haus trat. Sie sah sich auffällig unauffällig um und schlich ebenfalls zum Zaun. Wie auf Katzenpfoten kletterte Ria von ihrem Versteck hinunter und landete leise auf dem grauen Pflaster. Sie musste herausfinden was dort gesprochen wurde und wer der mysteriöse Schatten war. Die zweite Person war unverkennbar Zerian von Abal, sein silbergrauen Haar reflektierte das Mondlicht und wie schon im Salzkönig verstand er sich noch immer nicht darauf, sich unauffällig zu verhalten. Ria näherte sich nur soweit, bis sie die Personen verstehen konnte, aber obwohl sie Zerian klar erkennen konnte, blieb der Unbekannte noch immer unklar und verschwommen.
Zerian fuhr sich gerade aufgebracht durch das Haar und unterdrückte seine Stimme nur mühsam: „Du musst das verstehen, ich habe darauf keinen Einfluss.“
„Natürlich haben Sie den!“ der mysteriöse Fremde wirkte aufgeregt, sprach leiser als Zerian.
„Hat den die Sonne einen Einfluss darauf ob sie unter geht oder nicht? Es ist der natürliche Lauf der Dinge, manches ist nicht abwendbar.“
„Aber denken Sie doch an ihre Familie, an ihren Sohn...“
„Ich habe es ihm bereits erklärt, oder es jedenfalls versucht. Er ist ein guter Junge, also sein nicht zu hart in deinem Urteil über ihn.“
Der Fremde verstummte und umfasste mit den Fäusten die Stäbe des Eisenzaunes, der ihn von Zerian trennte. „Wann?“
„Ich weiß es nicht. Ich denke bald.“
„Und Sie sind davon überzeugt? Denken Sie daran was sie damit auch uns antuen. Wir brauchen Sie!“
„Ich weiß nicht was der Untergrund braucht, aber ich bin es nicht. Und jetzt Leb wohl und viel Glück.“
„Danke. Ich hoffe sie behalten Recht.“ Mit diesen Worten verschwand er in den Schatten der Häuser ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ria blieb unschlüssig zurück während Zerian wieder das Haus betrat und starrte hinter dem Fremden her. Sie sollte ihn verfolgen, doch sie sollte auch bei Zerian bleiben. So unwahrscheinlich es auch war, aber sie sollte noch eine Weile hier bleiben falls noch ein Besucher kam. Seufzend ließ sie sich die Wand hinuntergleiten und lauschte auf die Geräusche im gelben Haus.
Erst tief in der Nacht kehrte sie zu Leander zurück und ließ sich wie die Nacht zuvor sofort in das Bett fallen, doch in dieser Nacht wollte sie nicht so leicht Schlaf finden. Zu viele Fragen durchschwirrten ihren Kopf und sie konnte nicht aufhören zwanghaft nachzudenken.
„Ich wurde heute morgen ja gar nicht brutal geweckt? Respektieren sie seit neustem meine Wünsche oder ist etwas passiert von dem ich wissen sollte?“ Leander lehnte am Türrahmen und riss Ria aus ihren Gedanken.
„Verzeih mir, morgen werfe ich dich wieder aus dem Bett.“ Ria stand am Fenster und starrte hinaus, während sie sich immer noch mit den selben Fragen wie in der Nacht beschäftigte.
Leander lachte auf, er war heute Morgen wohl in guter Stimmung: „Da freue ich mich. Ich bin gestern ganz sentimental geworden, so sehr hat es mich an die Ausbildung erinnert. Aber ernsthaft, Ria. Was ist gestern passiert? Du stehst da, starrst trübsinnig auf die leere Straße und hast mich nicht einmal bemerkt.“
Ria warf ihm einen wütenden Blick zu. „Ich habe nichts zu berichten.“ Aus irgendeinem Grund wollte sie Leander nicht von dem Fremden erzählen, nicht so lange sie nichts genaues wusste und das würde noch dauern. Leanders Miene versteinerte sich und er verschränkte die arme vor der teuren Strickweste.
„Sag es mir, wenn du dich dazu entschieden hast mir die Wahrheit zu sagen.“ Er wollte schon beleidigt den Raum verlassen doch Ria hielt ihn zurück.
„Leander, ist Zerian heute Abend zu Hause?“
„Nach seinen üblichen Gewohnheiten schon und er mit er hat keinen Termin mit seinen Beziehungen. Weshalb?“
„Ich werde es heute Abend tun. Befehl 72.“