In den nächsten Tagen bestand Tonis Leben aus nichts anderem als aus Sex mit Gregor, seiner Arbeit im Kino und, hin und wieder, seinen Vorlesungen. Denn auch wenn es ihm damals als Ausrede gegenüber Anna sehr gelegen gekommen war, war es doch nicht gelogen gewesen, dass er ein wenig Angst vor der Bachelorarbeit hatte. Er bekam zwar kaum etwas mit von dem, was die Dozenten redeten, weil er mit seinen Gedanken die ganze Zeit nur bei Gregor war, aber es beruhigte sein Gewissen trotzdem, wenn er hinging.
Früher hatte es Toni nie verstanden, wenn er von irgendjemandem gehört hatte, dass er mit seiner neuen Flamme die erste Zeit gar nicht aus dem Bett gekommen war – bis er es selbst erlebte. Denn Gregor und ihm war es beinahe unmöglich, die Finger voneinander zu lassen und so legten sie auf dem Studentenwohnheimteppich Runde um Runde hin, bis sie schließlich so kaputt waren, dass es dann doch nicht mehr weiterging. Am Anfang war Toni dann immer noch nach Hause gegangen,bis er sich schließlich fragte, wieso er das tat. Schließlich kam er ja nach e.in paar Stunden sowieso wieder her. Also brachte er beim nächsten Mal einfach Klamotten zum Wechseln, seine Zahnbürste und seine Sachen für die Uni mit.
Es war schön, mit Gregor in einem Bett zu schlafen, auch, wenn die Bettdecke von seinem Einzelbett eigentlich zu klein für sie war. Aber dann schliefen sie halt ganz eng zusammen und wenn sie nachts aufwachten konnten sie, ganz unkompliziert, noch eine Runde einlegen. Oder auch zwei.
Auf diese Weise ackerten sie dreimal das Schwule-Kamasutrabuch durch, das Gregor irgendwann mal als Scherz zum Geburstag geschenkt bekommen hatte und danach war ihr Verlangen dann doch soweit gestillt, dass sie nicht mehr nur die ganze Zeit Sex hatten, bis sie nicht mehr konnten, sondern, dass es ihnen manchmal auch ausreichte, einfach nur zu kuscheln, zu reden oder auf Gregors Laptop irgendeine Serie zu gucken und sich Essen zu bestellen.
Toni fühlte sich unglaublich wohl in diesem kleinen Kokon, den sie sich da geschaffen hatte und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er ihn nie im Leben wieder verlassen. Nur leider war das unmöglich. Nicht wegen Anna, die sich ganz der Lernerei für ihr Staatsexamen verschrieben hatte und das Einzige, was Toni von ihr hörte, waren kurze Textnachrichten darüber, wieviel Stoff sie noch vor sich hatte und wie froh sie war, wenn sie es endlich überstanden hatte.
Nein, es waren Tonis Freunde, die sich irgendwann darüber beschwerten, dass sie ihn kaum noch zu Gesicht bekamen. Und Toni wollte natürlich nicht, dass sie näher nachforschten, warum das so war. Denn dann würden sie sehr schnell herausfinden, dass Anna im Moment nur noch mit Lernen beschäftigt war und sich fragen, was stattdessen Tonis Aufmerksamkeit so fesselte. Deswegen beeilte er sich, dafür zu sorgen, dass alles so schnell wie möglich wieder beim Alten war. Und er schlug dann sogar zwei Fliegen mit einer Klappe, indem er nicht nur als Ausrede dafür, wieso er so lange Zeit abwesend war, sondern auch, wieso Gregor jetzt andauernd mit ihnen unterwegs war, die Tatsache benutzte, dass der sich erst vor kurzem von seiner Freundin getrennt hatte und jetzt dringend Ablenkung brauchte.
Dafür hatten natürlich alle Verständnis und hätten sie Gregor nicht vorher schon in ihrer Mitte willkommen geheißen, dann wäre das jetzt auf jeden Fall passiert.
Jetzt, wo Toni und Gregor einige Abende in der Woche nicht mit Sex sondern mit Bier und Billard verbrachten, mussten sie sich mit Blicken und Berührungen natürlich zurückhalten was Toni auch gar nicht schwerfiel. Er hatte zwar die Angst, in Gregors Zimmer von seinen Mitbewohnern erwischt zu werden inzwischen abgelegt, aber an einem öffentlichen Ort umringt von mehr oder weniger fremden Menschen war etwas ganz anderes. Allerdings, einen flüchtigen Blick oder eine Berührung wenn er sich vorher vergewissert hatte, dass ihn niemand dabei beobachten konnte, konnte er sich dann doch nicht verkneifen. Ebensowenig wie Gregor und sie entdeckten, wie anregend es war, sich auf diese Weise gegenseitig heiß zu machen und wenn sie dann zurück in Gregors Zimmer waren, war der Sex nochmal eine Stufe unglaublicher als überhaupt schon.
Aber das Treffen mit Tonis Freunden hatte ihnen noch einmal bewusst gemacht, dass es eben nicht funktionierte, die ganze Zeit nur auf ihrem eigenen kleinen Planeten zu bleiben und die Außenwelt einfach abzuschalten.
Gregors Freunde waren zwar nicht so fordernd wie die von Toni und, wie Toni ja erfahren hatte, war die Freundschaft auch nicht ganz so eng, aber das bedeutet ja nicht, dass keiner von ihnen Interesse daran hatte, Gregor nicht auch ab und zu mal zu sehen. Und als Toni von der Uni kam und nach ihrem sehr intensiven Begrüßungskuss sagte Gregor: "Ich hab eine Einladung zu einer Party für diesen Samstag bekommen. Die ist leider etwas weiter von hier weg aber ich würde trotzdem gerne hingehen. Und ich fänds natürlich schön, wenn du auch mitkommen würdest." Er strich Toni über den Arm und lächelte ihn liebevoll an. "Denn natürlich brauch ich auch weiterhin jemanden, der mir über den Kopf streichelt, wenn mich die Trennung von Xenia wieder allzusehr schmerzt."
Toni erwiderte das Lächeln. "Ich komm natürlich gern mit, als moralische Unterstützung."
Um zur Party zu kommen mussten sie eine halbe Stunde mit dem Auto fahren und Toni war während der ganzen Zeit dann doch etwas angespannt. Er hatte bisher noch keinen von Gregors Freunden näher kennengelernt und er ging davon aus, dass sie alle Bescheid wussten, dass sich Gregors Interesse nicht nur auf Frauen beschränkte. Vielleicht würden sie deswegen ja die richtigen Schlüsse ziehen, wenn Gregor anstatt mit Xenia mit ihm da auftauchte und die Ausrede des moralischen Unterstützers ganz leicht durchschauen. Und so sehr Toni sich auch selbst davon zu überzeugen versuchte, dass sie damit kein Problem haben würden, denn schließlich hatten sie ja auch keins mit Gregor, die Vorstellung, dass irgendjemand über ihn in dieser Art und Weise Bescheid wusste, gefiel ihm überhaupt nicht und für einen Moment bereute er es, mitgefahren zu sein.
Das Bereuen verschwand zwar ziemlich schnell, als sie endlich in dem Dorf angekommen waren, in dem die Party stattfand und sie im Wohnzimmer eines Hauses auf einige gutgelaunte und nette Menschen trafen, die überhaupt keinen Verdacht schöpften, aber trotzdem blieb Toni die ganze Zeit wachsam und Gregor, dem seine Anspannung natürlich nicht verborgen blieb, hielt sich deswegen auch nicht allzu oft in seiner Nähe auf. Was Toni natürlich auf der einen Seite sehr entgegenkam, ihn aber auch unter Druck setzte, sich mit ihm völlig Fremden zu unterhalten. Da er in dieser Situation auf keinen Fall auch nur ein winziges bisschen Kontrolle verlieren wollte, beschränkte er sich den ganzen Abend lang auf zwei Bier und so dauerte es etwas, bis er es schaffte, wenigstens einigermaßen aufzutauen. Wofür dann nicht nur die netten Menschen, die es ihm einfach machten, sorgten, sondern auch, dass Toni sich irgendwann doch so sicher fühlte, dass er und Gregor wieder ihr Spielchen der flüchtigen Blicke und Berührungen spielen konnten.
Nur waren sie diesmal ja leider nicht in der Nähe von Gregors Zimmer, sondern dazwischen lagen einige Kilometer, die sie erst einmal zurücklegen mussten, als sie es schließlich schafften, sich von der Party loszueisen. Sie waren länger geblieben, als Toni erwartet hatten und als sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, fuhren sie im Stockdunkeln über eine ziemlich einsame Landstraße. Und im Auto zu sitzen ganz dicht neben Gregor während es draußen aussah, als gäbe es außer ihnen und dem Auto nichts weiter auf dieser Welt sorgte dafür, dass Toni irgendwann nicht mehr in der Lage war, seine Selbstbeherrschung aufrecht zu halten. Er legte die Hand auf Gregors Bein und fing an, langsam nach oben zu streichen.
Gregor sog einmal scharf die Luft ein. "Findest du, dass es eine gute Idee ist, das jetzt zu machen?" wollte er wissen und Toni grinste. "Hier vielleicht nicht, Aber wenn du jetzt gleich in einen von diesen kleinen Feldwegen fährst, dann stören wir ja keinen," erwiderte er unschuldig. "Mal ganz davon abgesehen, dass hier sowieso niemand ist."
Gregor lachte, nahm die rechte Hand vom Lenkrad, legte sie auf Tonis, drückte sie einmal fest und bog dann in den kleinen Feldweg ein, der in diesem Moment auftauchte. Sie folgten dem Weg bis er in einem Waldstück verschwand; Gregor stellte den Motor ab und schaltete das Licht aus, sodass es nun komplett dunkel um sie war.
Natürlich war der zurückgeklappte Beifahrersitz nicht der bequemste Ort, um Sex zu haben und jetzt, wo die Heizung aus war, war es schnell so kalt geworden, dass sie nur das Nötigste auszogen, aber das änderte nichts daran, dass es auch diesmal wieder einfach großartig war.
Nachher lagen sie engumschlugend da, Gregors Kopf lag auf Tonis Brust, er strich ihm durch die Haare und beide sahen sie aus dem Fenster in den Himmel voller Sterne hinauf.
Irgendwann seufzte Gregor einmal tief und obwohl er kein Wort gesagt hatte, wusste Toni trotzdem sofort, was ihm grade im Kopf herumging. "Willst du noch raus?" fragte er und er spürte, die Gregor nickte. "Ja, total gerne. Wenn das für dich auch okay ist."
"Na klar," erwiderte Toni sofort, Gregor richtete sich auf, öffnete die Beifahrertür und stieg aus. Er hielt Toni die Hand hin und zog ihn auch aus dem Auto, bevor er den Schlüssel abzog, die Tür zuschlug und abschloss.
Toni schaltete die Taschenlampe an seinem Handy an, griff mit der freien Hand nach Gregors und dann gingen sie einfach los in den Wald hinein. Toni leuchtete ihnen mit der Lampe, die einzigen Geräusche um sie herum waren das Rauschen des Windes in den Baumkronen und ein gelegentliches Knacken und in diesem Moment wurde Toni von einer Welle von Erinnerungen getroffen. Der Rückweg damals von Phillips Geburtstagsfeier in den Herbstferien als er schließlich alle Bedenken einfach über Bord geworfen und Gregor geküsst hatte.
Er hatte schon seit Jahren nicht mehr daran gedacht, aber in diesem Augenblick stand es ihm so deutlich vor Augen, als wäre es grade erst passiert. Er drehte den Kopf und sah Gregor an und auf die Art, auf die der seinen Blick erwiderte, erkannte Toni, dass er in diesem Moment auch genau daran dachte. Mit einer schnellen Handbewegung schaltete Toni die Taschenlampe aus und schlang die Arme fest um Gregor, der ihm entgegenkam und dann küssten sie sich eine ganze Weile und dieser Kuss war ganz anders als die vorher, denn diesmal gehörte er nicht zum Vorspiel sondern war einfach nur ein Ausdruck der tiefen Gefühle, die sie füreinander hatten.
Als sie schließlich weitergingen, legte Toni, nachdem er die Taschenlampe wieder angeschaltet hatte, den Arm um Gregor und zog ihn ganz dicht an sich.
Zu ihrer Überraschung war der Wald, kurz nachdem sie weitergangen waren, schon zuende und vor ihnen lag die See. Toni nahm den Arm wieder von Gregors Schultern, griff nach seiner Hand und und so legten sie die letzten Meter zum meschenleeren Strand zurück.
Natürlich war es in der Zwischenzeit nicht wärmer geworden und trotz seiner Jacke konnte Toni nicht leugnen, dass er ein wenig fror.
Aber das hielt ihn nicht davon ab, sich neben Gregor in den Sand zu setzen und in diesem Moment fiel ihnen auf, dass es im Osten schon leicht dämmerte. Toni legte den Kopf auf Gregors Schulter, ignorierte seinen kalten Hintern und zusammen warteten sie auf den Sonnenaufgang. Der fiel wegen des herbstlich trüben Tages zwar nicht besonders spektakulär aus, aber schön war es trotzdem.
Danach waren sie beide verdammt müde, sodass sie sich beeilten, zurück zum Auto zu kommen um nach Hause zu fahren.
Nach ihrem spontanen Sex im Auto und dem anschließenden Strandbesuch hatte Toni plötzlich das Bedürfnis, Gregor mehr zu bieten als den Teppich und die Wolldecke, auf die sie ja auch nur seinetwegen beschränkt waren. Allerdings waren sie trotzdem ziemlich alternativlos, denn hier wusste Toni ja jetzt, dass sich absolut keiner für sie interessierte.
Das würde zwar auch keiner tun, wenn sie mit dem Auto wieder irgendwo in einen Feldweg fuhren, aber wie Toni jetzt ja wusste, war Sex im Auto ziemlich ungemütlich, vorallem, wenn es dazu noch so kalt war. Und Toni wollte nicht, dass es auch nur ansatzweise ungemütlich oder kalt war. Im Gegenteil.
Und was lag da eigentlich näher, als ein Hotelzimmer zu buchen? In dem würde es warm und gemütlich sein und sie würden es dann auch zum allerersten Mal in einem richtigen Bett tun.
Toni war ganz begeistert von seiner Idee, die natürlich auch ziemlich einmalig bleiben würde, schließlich würde er sich bei seinem schmalen Budget ein Hotelzimmer auch nicht so oft leisten können. Denn natürlich sollte es auch keine billige Absteige sein, sondern schon etwas Gehobeneres.
Er fand schließlich auch ein Hotel mit einem schönen Zimmer, das er bezahlen konnte, ohne sich dafür in Unkosten zu stürzen. Und da er es nicht mehr abwarten konnte und das Hotel nicht weit weg von der Uni war, fuhr er gleich nach seiner letzten Vorlesung hin, um das Zimmer zu buchen.
Dass Gregor erst eine Stunde nach ihm Schluss hatte, kam Toni sehr gelegen. Denn so konnte er noch in die Stadt fahren und ein paar Kerzen kaufen, die er dann im Zimmer verteilte und anzündete.
Dann schickte er Gregor eine Nachricht mit dem Namen des Hotels und der Zimmernummer, zog die dicken Vorhänge so zu, dass auch wirklich kein Lichtstrahl ins Zimmer kam, dimmte das Licht und setzte sich anschließend aufs Bett und wartete. Er wusste nicht wieso, aber auf einmal war er tierisch aufgeregt.
Als es schließlich leise klopfte, machte sein Herz einen aufgeregten Sprung und er hatte es so eilig an die Tür zu kommen, dass er fast über seine eigenen Füße gestolpert wäre. Um aber nicht vor Gregor wie ein totaler Trottel dazustehen, atmete er einmal tief durch, bevor er schließlich die Tür aufmachte.
Gregor sah ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Gespanntheit an. "Was wird das denn jetzt?" wollte er wissen, konnte sich aber ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Toni erwiderte das Lächeln. "Komm rein und guck's dir an," erwiderte er und trat zur Seite. Als Gregor an ihm vorbei ins Zimmer getreten war, konnte er sich aber nicht verkneifen, noch einen Blick über den Flur zu werfen, ob irgendjemand da war, der gesehen hatte, wie Gregor zu ihm reingekommen war. Niemand war zu sehen und als Toni die Tür schloß, ärgerte er sich für einen Moment wieder einmal maßlos über sich und seine Paranoia.
Aber als er sich zu Gregor umdrehte und der ihn mit glänzenden Augen anstrahlte, da war sein Ärger von einer Sekunde auf die andere verpufft.
"Du bist ja verrückt," sagte Gregor, trat zu ihm hin und schlang die Arme um seinen Hals.
"Ich hoff, du findest das jetzt nicht allzu kitschig," erwiderte Toni, der sich jetzt, wo die Angespanntheit verschwunden war, aus irgendeinem Grund unsicher fühlte, und zog ihn dicht an sich.
"Spinnst du?!" erwiderte Gregor entrüstet. "Das ist absolut perfekt!"
Sex in einem richtigen Bett zu haben war noch einmal eine ganz andere Dimension von großartig und das nutzten sie auch reichlich aus. Genau wie alle anderen Annehmlichkeiten, die ihnen das Hotelzimmer bot. Toni ließ ihnen in der großen Wanne, in die sie ohne Probleme gemeinsam reinpassten, ein Bad ein und dann saßen sie zusammen im warmen Wasser, tranken überteuertes Bier aus der Minibar, Gregor lehnte seinen Hinterkopf gegen Tonis Schulter, der strich ihm durchs nasse Haar und war fest davon überzeugt, dass es grade auf der ganzen Welt keinen Menschen gab, der glücklicher war als er.