Toni drehte den Zündschlüssel im Schloß und auch, als der Motor schon komplett verstummt war, war er nicht in der Lage, auszusteigen. Stattdessen lehnte er den Kopf gegen den Sitz und schloß die Augen. Genau wie die letzten Tage zuvor bezweifelte er, dass es eine gute Idee gewesen war, herzukommen, aber er hätte auch nie im Leben absagen können.
Das feine Piepsen seiner Armbanduhr wies ihn darauf hin, dass es jetzt 15 Uhr war und er ab jetzt erwartet wurde. Also holte er noch einmal tief Luft und stieg aus.
Er klingelte an der Tür des sorgfältig restaurierten Hauses und sofort ertönten laute Stimmen, die Tür wurde aufgerissen und vor Toni stand ein etwa zehnjähriges Mädchen, das ihn keck angrinste. "Halloooo!" rief sie. "Wer bist du denn?!"
"Als ob du das nicht weißt meine liebe Klara!" ertönte eine Stimme hinter ihr, die Tonis Herz einen heftigen Sprung machen ließ und als er den Kopf hob, stand da Gregor. Und hinter Gregor mit einem weiteren Kind auf dem Arm und einem Bauch, der sich unter dem Pullover wölbte und zeigte, dass es bis zum dritten auch nicht mehr lange hin war, strahlte Xenia ihn an.
Die Begrüßung war herzlich, Gregor umarmte ihn so fest, als wollte er ihn gar nicht wieder loslassen und zeigte ihm dann das Haus, dass er und Xenia mit nur wenig Hilfe selbst fertig gemacht hatten, während die Kinder zwischen ihnen herumrannten und angesichts des fremden Besuches ziemlich aufgedreht waren.
Gregor konnte seinen Stolz auf sein Haus, seine Kinder und die drei Bücher, die er inzwischen veröffentlicht hatte und die sich mit der Geschichte seiner Familie beschäftigten und einen Ehrenplatz in seinem Bücherregal einnahmen, nicht verbergen und Toni kam sich angesichts dessen mit seinem kleinen Journalistendasein absolut farblos und langweilig vor.
Aber Gregor wollte trotzdem alles wissen, was ihm in den letzten Jahren passiert war und angesichts ihrer Vertrautheit, die sich gleich wieder zwischen ihnen eingestellt hatte, fing Toni an, sich mit jeder Minute mieser zu fühlen. Aber glücklicherweise sorgten Klara und ihr Bruder für Auflockerung und auch Toni konnte sich das Lachen hin und wieder nicht verkneifen.
Auch beim Abendessen ging es sehr lebhaft zu und wenn Toni beobachtete, wie liebevoll Gregor sich um die Kinder kümmerte und immer wieder zärtliche Blicke und Gesten mit Xenia austauschte, kam er sich unglaublich fehl am Platz vor.
Nach dem Abendessen brachte Gregor die Kinder ins Bett und Toni saß mit Xenia im Wohnzimmer und während sie sich unterhielten strich sie immer wieder mit der Hand sanft über ihren Bauch. Toni vermutete, dass sie das unbewusst tat, aber trotzdem sorgte es dafür, dass er sich noch mehr wie ein Außenstehender fühlte.
Aber trotz seiner Niedergeschlagenheit brachte er den Abend mit Würde hinter sich und war heilfroh, als er endlich in seinem kleinen Hotelzimmer stand. Er machte sich gar nicht die Mühe, sich umzuziehen, weil er wusste, dass er sowieso nicht würde schlafen können. Stattdessen würde er die ganze Nacht wach liegen und auf den Morgen warten. Und dann erwarteten Gregor und Xenia natürlich, dass er noch mit ihnen frühstückte, bevor er zurückfuhr, aber so, wie er sich grade fühlte, würde er sich wohl eine Ausrede einfallen lassen, um nicht daran teilzunehmen und dann gleich zurückfahren.
Aber über das ganze Nachdenken hin war er dann anscheinend doch eingeschlafen, weil ein leies Klopfen an der Tür ihn plötzlich aufschrecken ließ.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war halb zwei und wer würde um halb zwei hier an seine Tür klopfen? Es war vermutlich nur ein Versehen gewesen. Er legte sich wieder hin aber dann klopfte es ein zweites Mal und damit war klar, dass es kein Versehen war.
Toni stand auf und ging zu Tür und er hatte sie kaum geöffnet, da lag Gregor schon in seinen Armen. Toni war nur kurz überrascht und erwiderte dann seinen heftigen Kuss, während er die Tür hinter ihm wieder in Schloß warf.
Als sie das Bett erreichten, waren sie beide schon fast komplett ausgezogen und nachdem sie auf die Matratze gefallen waren, entledigten sie sich rasch auch noch der letzten Kleidungsstücke.
Sie brauchten keine Sekunde, um wieder zueinander zu finden und die erste Runde war heftig und leidenschaftlich, die zweite schon etwas ruhiger und bei der dritten ließen sie sich viel Zeit, sahen sich immer wieder tief in die Augen und küssten sich liebevoll.
Nachher, als sie schweratmend nebeneinander lagen und die erste Euphorie abgeklungen war, realisierte Toni erst, was sie hier grade gemacht hatten. "Du hast deine Frau betrogen!" sagte er tonlos. "Mit mir!"
Zu seiner Überraschung lachte Gregor neben ihm einmal. "Nein, hab ich nicht. Sie weiß Bescheid. Sie wusste von Anfang an Bescheid."
Toni glaubte sich verhört zu haben. "Was?!" rief er, Gregor wandte sich ihm zu und grinste einmal. "Damals während des Studiums, als wir uns getrennt hatten, war es nicht, weil ihr zu ihr gesagt hab, dass ich mich selbst finden muss. Ich hab ihr gesagt, wer du bist und was zwischen uns gewesen ist und, dass ich es mir nie verzeihen könnte, es mit dir nicht wenigstens zu versuchen."
Toni fühlte sich, als habe man grade einen Eimer eiskaltes Wasser über ihm ausgeleert. "Du willst also damit sagen..." fing er an, aber Gregor, der wusste, was er sagen wollte, beendete seinen Satz. "Dass sie heute die ganze Zeit wusste, was zwischen uns gewesen ist? Ja genau so ist es! Und genau wie damals hat sie akzeptiert, dass es Dinge gibt, die einfach nur du mir geben kannst."
Toni hörte das Unausgesprochene, das in Gregors Satz mitschwang. "Bitte, lass uns nicht darüber reden. Ich will jetzt hier einfach nur neben dir liegen und es genießen."
"Ja," erwiderte Gregor nur, griff nach Tonis Hand und spielte mit seinen Fingern, während sie ansonsten einfach nur schweigend da lagen und die Nähe des anderen genossen.
Diesmal war es Gregor, der die Stille durchbrach. Er räusperte sich einmal. "Ich hab mich wirklich unglaublich gefreut, als du meine Einladung angenommen hast. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht an dich denke. Und ich dachte, vielleicht könnten wir so etwas öfters machen."
Für eine Sekunde war die Aussicht für Toni mehr als verlockend, aber dann wurde ihm bewusst, dass ihn dieses Arrangement, auch, wenn Xenia Bescheid wusste, wie einen heimlichen Geliebten aussehen ließ und er in Gregors Leben immer die zweite Geige spielen würde. Und wenn dann doch mal irgendetwas passieren würde, was daran etwas änderte, dann wäre durch Tonis Schuld eine glückliche Familie zerstört worden und das wäre etwas, mit dem er nie im Leben klar kommen könnte.
"Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist," erwiderte er deswegen mit fester Stimme. "Es ist glaube ich am besten für uns beide, wenn das hier eine einmalige Sache bleibt."
Gregor schwieg für ein paar Sekunden, dann seufzte er einmal tief und drückte Tonis Hand. "Ja, du hast Recht."
In diesem Moment piepste Tonis Armbanduhr. Er hatte keine Ahnung, wie spät es genau war, aber es war auf jeden Fall Zeit für Gregor, zurück zu seiner Familie zu gehen.
An der Tür verabschiedeten sie sich mit einem letzten langen Kuss und einer ebenso langen Umarmung.
"Kommst du morgen noch zum Frühstück?" fragte Gregor dann leise und er war nicht überrascht, als Toni den Kopf schüttelte. "Nein, ich werde morgen früh gleich wieder zurück fahren."
"Okay," erwiderte Gregor, sie warfen sich noch einen langen Blick zu, bevor er sich umdrehte und den Flur hinunter ging.
Toni sah ihm nach, bis er verschwunden war, dann schloß er die Tür wieder und legte sich aufs Bett.
Er ließ die letzten Stunden noch einmal Revue passieren und bei der Gewissheit, Gregor nie wiederzusehen fühlte er sich innerlich vollkommen leer und es war ihm unverständlich wie er sein Angebot hatte ablehnen können. Aber tief in ihm drin, abseits der vollkommenen Leere wusste er, dass er richtig gehandelt hatte.
Erst, als er schon fast wieder auf der Autobahn zurück war und er im Rückspiel einen letzten Blick auf den hohen Burgtum warf, da spürte er, wie etwas in ihm zerbrach. Er bog in den nächsten Feldweg ein und folgte ihm, bis er vor eine Zaun endete und schon während er den Motor ausstellte, merkte er, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Der Weinkrampf, der folgte, war heftig und Toni versuchte gar nicht, gegen ihn anzukämpfen. Er weinte, bis er keine Tränen mehr hatte und sich wie erschlagen fühlte.
Dann startete er den Motor wieder, wendete und fuhr zurück zur Straße und dann auf die Autobahn, zurück in das Leben, für das er sich damals enschieden hatte.
ENDE