Angelina
Sophia und Gio waren wieder bei sich daheim, Sandro und ich mussten erstmal realisieren, dass wir uns noch hatten behalten dürfen.
Jetzt hatten wir ein wenig Zeit für uns.
Nach der Dramatik der letzten Wochen mussten wir emotional einiges aufarbeiten.
Noch fühlte es sich unwirklich an, ich erwischte mich dabei, dass ich mich ständig vergewisserte, ob Sandro auch wirklich da war. Ich hatte ein intensives Gefühl entwickelt, meine beiden Herzschläge wahrzunehmen, Nach meiner Flucht war ich nicht in der Lage gewesen, darauf zu achten, darum hatte ich die Gefahr nicht erkennen können. Wenn mich nicht Sophia rechtzeitig gefunden hätte ... Ich schob diesen furchtbaren Gedanken schnell von mir weg. Dafür ging ich hinüber zu Sandro, der am Küchentisch saß und umarmte ihn von hinten, legte meinen Kopf auf seine Schulter und wisperte in sein Ohr: »Geht es dir gut?«
Er legte Brot und Messer beiseite, drehte sich halb auf dem Stuhl, um mich auf seinen Schoß zu ziehen.
»Wenn du da bist, geht es mir immer gut, mein Schatz«, kam es prompt zurück und er küsste mich.
Ich musste lachen. »Du weißt, wie ich das meine.«
»Ja, ich weiß. Ich fühle mich schon sehr gut, es wird jeden Tag besser, mach dir keine Sorgen.«
Natürlich machte ich mir noch Sorgen, obwohl mir alle versichert hatten, dass es nur ein paar Tage dauern würde, bis das Band wieder vollständig geheilt wäre. Ich konnte sehen, dass er noch erschöpft war. Ich riss mich von seinem Blick los und legte mein Ohr an seine Brust, um seine Herzschläge zu hören. Nur das konnte mich ein wenig beruhigen. Die Wirkung setzte sofort ein.
»Ein paar Tage noch, dann bin ich wieder der Alte«, versicherte er mir nochmals und ich gab endlich ein zustimmendes »Hmmm« von mir, entwand mich seinen Armen und stand auf.
»Etwas anderes - fühlst du dich schon in der Lage, etwas auf die Suche zu gehen? Wir sollten über unsere Gedanken reden und das ganze Drumherum. Das wäre doch eine Beschäftigung, die nicht zu anstrengend ist, oder? Ich bin ehrlich, es interessiert mich brennend, was es damit auf sich hat. Oder die rote Farbe in unseren Augen. Wo könnten wir darüber etwas herausfinden? Es kann doch nicht sein, dass wir die einzigen sind, die dieses Phänomen haben?«
Seine Mimik war zunächst ernst und aufmerksam, zum Schluss schlich sich aber ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Ich fragte mich, was so komisch sei, da gab er mir bereits die Antwort.
Es sieht immer noch zu süß aus, wenn du den Zeigefinger an die Nase legst, weil du dich konzentrierst ...
Gespielt beleidigt zog ich meine Augenbrauen zusammen, versuchte ihn missbilligend anzusehen, da lachte er laut auf und zog mich wieder an sich.
»Nicht böse sein. Ich bin nur so unendlich froh, dass ich das nochmal sehen konnte.« Ich legte meine Arme um seinen Kopf und mein Gesicht auf seinen Scheitel, er lauschte meinen Herzschlägen an meiner Brust. Ein Moment der Stille trat ein.
Endlich lösten wir uns und wechselten zum Sofa, um uns weiter zu unterhalten.
»Es stimmt, wir müssen uns überlegen, wo wir Informationen herbekommen können. Am naheliegendsten wäre es, Sophia und Gio einzuweihen. Ihnen vertraue ich vollkommen und sie sind auch immer leicht für uns zu erreichen, solange wir hier noch wohnen bleiben. Wird ja noch eine Weile dauern. Was denkst du?« Er hatte seinen Arm um mich gelegt und wir sahen gemeinsam in den Kamin.
»Du vertraust ihnen doch auch, oder?«, schob er noch nach.
Ich nickte sofort. »Außer dir niemandem mehr als ihnen. Immerhin sind sie so etwas wie meine Ersatzeltern und wenn sie jetzt nicht gewesen wären ...« Ich seufzte.
»Aber so lange wir nicht wissen, ob das Wissen über uns sie eventuell in Schwierigkeiten bringen könnte, sollten wir trotzdem vorsichtig sein«, gab ich zu Bedenken.
»Was könnte es denn als Schwierigkeiten geben?« Sandro klang zweifelnd.
»Vielleicht ist es nur eine Laune der Natur, wie man so schön sagt. Ich meine, ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass wir jemandem damit schaden könnten. Eigentlich, es ist doch nur eine andere Farbe? Und es sieht nichtmal ein anderer Savanto. Wenn wir es niemandem sagen, wird es auch keiner erfahren?«, überlegte er laut.
»Was denkst du denn, warum es kein anderer von den Savantoj sehen kann? Das wird vielleicht einen wichtigen Grund haben. Und wenn - wer sagt, dass der nicht doch etwas Negatives bedeuten kann?«
Sandros Kopf fuhr zu mir herum, er starrte mich überrascht an. Plötzlich saß er kerzengerade auf dem Sofa und ballte seine Fäuste vor sich. Er wirkte aufgebracht. »Warum sollte es etwas geben, dass man einem Savanto mitgibt, wenn es nichts Postives ist? Wie kommst du auf solch eine Idee, Angelina?«
Ich spürte in seiner Antwort einen Anflug von Ärger, das machte mich traurig, aber so schnell gab ich nicht auf.
»Mein bester Freund aller Zeiten, mein Mentor, mein Lehrer und mein Geliebter, hat mir sehr eindringlich klar gemacht, dass man nichts als gegeben hinnehmen sollte, sondern immer alles hinterfragen. Sollte er sich so getäuscht haben?«
Er zog die Augenbrauen zusammen und schloss für einen Augenblick die Augen. Hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten, aber er hatte seine Gedanken eingeschlossen, sodass ich keinen Zugriff hatte. Meine Annahme musste ihn aus der Bahn geworfen haben, das konnte er wohl nicht so einfach verkraften.
Nach einer Weile sah er zu mir hinüber. In seinem Blick lag Betroffenheit.
»Dein bester Freund hat dir bestimmt einen guten Rat gegeben. Er sollte ihn selbst befolgen. Auch wenn es mir immer noch mehr als unwahrscheinlich vorkommt, ist dein Hinweis sehr gut. Ein Risiko sollten wir deshalb wirklich vermeiden. Hast du einen Vorschlag, wie wir das hinbekommen? Ich habe den Eindruck, ich bin nicht so kritikfreudig in dieser Angelegenheit. Denn wenn du Recht hast ... vielleicht will ich das im Moment dann gar nicht wirklich wissen? Ich will irgendwie nicht sofort wieder ein Problem bekommen, von dem ich nicht weiß, wie ich es lösen kann.« Er ließ den Kopf hängen und starrte auf seine Hände, mit denen er nervös herumspielte.
Diesmal zog ich ihn zu mir, um ihn zu umarmen.
»Dafür sind wir zu zweit. Was einer nicht sieht, sieht vielleicht der andere. Probleme - wer weiß. Bevor wir nicht wissen, was auf uns zukommt, versuchen wir einfach nur neugierig zu sein. Neutral. Verrückt machen im Vorfeld bringt nichts. Ich würde vorschlagen, wir wenden uns an Sophia und Gio und fragen sie, ob sie schonmal von einer anderen Farbe gehört haben. Ich könnte behaupten, dass ich davon mal gehört hätte und mir das jetzt wieder eingefallen wäre.«
»Gio ist nicht blöd, das durchschaut er gleich!«
»Davon gehe ich aus, mein Schatz«, gab ich zu. »Aber gerade weil er nicht blöd ist, wird er ahnen, dass es um uns geht und dass wir vorsichtig sein wollen mit dieser Info. In jedem Fall bin ich sicher, dass er uns alles erzählt, wenn er etwas weiß. Und dann ... sehen wir weiter.«
Endlich hellte sich Sandros Miene wieder auf und er nickte irgendwann zögernd.
»Das könnte klappen«, meinte er zustimmend.
Damit hatten wir einen ersten Plan.