Während sie am Heck der schiffsförmigen Passagiergondel stand und das grünlichschwarze Land unter sich vorbeiziehen sah und der Zeppelin fast vollkommen lautlos durch den smaragdgrünen Himmel schwebte, schienen Raum und Zeit auf einmal wie aufgehoben. Eine seltsame Nachdenklichkeit überkam Xantin. Plötzlich tauchte wieder das Gesicht ihres letzten Opfers vor ihrem inneren Auge auf. Immer wenn sie einen ihrer schwachen Momente hatte und zum Glück hatte sie den selten, begann sie sich über ihre Opfer Gedanken zu machen. Was hatten sie wohl für ein Leben geführt? Hatten sie Familie? Hatten sie den Tod überhaupt verdient? Doch dann schob sie diese Gedanken wieder von sich. Es lag nicht an ihr zu viele Fragen zu stellen. Sie wollte es auch gar nicht, denn sie erfüllte einfach ihren Job und beseitigte schlussendlich die Feinde ihres Volkes. Auch dieser Blutelf war indirekt ein Feind ihres Volkes gewesen, denn er hatte sich von seinem eigenen Volk abgewandt und so auch von der Horde. Das forderte sein Blut. Auch wenn Xantinas Vater Thralliok, diese immer wieder davon zu überzeugen suchte, dass nicht alles mit Blut vergolten werden musste. Sie war da jedoch anderer Ansicht. Ihr Vater war einfach zu schwach. Die neue Horde war schwach geworden. Einst vor langer Zeit, war die Horde noch mächtig gewesen und hatte alle Widersacher bis aufs Blut bekämpft. Da waren sie noch richtige Krieger gewesen. Heute waren sie nur noch darum bemüht, möglichst wenige Kriege zu führen. Doch davon hielt Xantina wenig.
Sie war eine glühende Verehrerin von Neeru Feuerklinge, der auch nicht viel von der neuen Horde hielt. Diesen hatte sie einst während ihrer Ausbildung zur Assassine kennengelernt. Er hielt sich oft in der „Kluft der Schatten“ in Ogrimmar auf und er hatte ihre einst versprochen, dass wenn sie ihre Sache gut mache, er dafür sorgen würde, dass sie einst eine wichtige Position in seiner Organisation einnehmen würde. Er erzählte ihr oft von der „Bruderschaft der Brennenden Klinge“, die er anführte. Diese kämpften darum die einstige Macht der Horde wieder aufleben zu lassen. Feuerklinge war ein enger Vertrauter von Thrall, dem grossen Orc- Häuptling und so hatte er Einblick in vieles was ihm von Nutzen war, um dessen Macht, wo immer es ging, zu untergraben. Xantina's Vater hingegen, war ein ergebener, loyaler Diener des Häuptlings und er unterstützte, als einer der wichtigen Schamanen seines Volkes nichts, was Thrall den er sehr verehrte, schadete. Er wusste nicht, dass seine Tochter mit Neeru Feuerklinge und seiner Bruderschaft sympathisierte und er war auch gar nicht begeistert von ihrem Beruf als Assassine. Die Schurken wurden beim Volk mit Argwohn betrachtet, ebenso wie die Hexenmeister, die ihr Quartier gleich neben den Assassinen hatten. Beide Bruderschaften, umgab ein Hauch von Bosheit und man wusste sie nicht richtig einzuschätzen. Bei den Schurken (Assassinen), die oft als Söldner dienten, wusste man, dass ihr Geschäft meist der Tod war. Doch man sprach nicht darüber, denn schliesslich dienten sie auf ihre eigene Weise, auch dem orcischen Volk.
Ebenso die Hexenmeister, von denen Xantina eine Frau besonders gut kannte. Diese hiess Asurania. Thralliok kannte sie auch, hielt aber nicht viel von ihr. Er konnte sich nie mit ihrem Beruf als Hexenmeisterin anfreunden, da sie ständig mit dämonischen Mächten zu tun hatte und es einst auch die Hexenmeister gewesen waren, die die Orc's ins Verderben gestürzt hatten und welche die einst tief spirituelle, schamanische Kultur selbiger, tilgen wollten. Der Kriegshäuptling Thrall, selbst ein Schamane, führte die Orc's in ein neues Zeitalter und die „Neue Horde“ entstand, die nicht mehr die blutrünstige, grausame Horde von einst war.
Im letzten Krieg, als die Brennende Legion den Weltenbaum zerstören wollte, taten sich die Orc's sogar mit den Menschen zusammen, die einst ihre erbittertesten Feinde gewesen waren. Bei einigen des Volkes, stiess dieser Pakt auf wenig Begeisterung und es bildeten sich gewisse extremistische Gruppierungen, wie eben z.B. die Bruderschaft der „Brennenden Klinge“, welche die Alte Horde wieder aufleben lassen wollten. Zwar wollten sie keine Sklaven der Brennenden Legion mehr sein, wie die Orcs von damals. Aber sie wollten mehr Macht und Einfluss in der Welt und sie waren deshalb Feinde des grossen, weisen Kriegshäuptlings Thrall.
Zwar sahen ihn die meisten als Retter der Orc's und verehrten ihn zutiefst. Aber es gab eben auch die andern, die ihn als schwach ansahen, weil er so sehr um ein friedliches Miteinander bemüht war. Xantina hielt nichts von der Thrall- Verehrung. Neeru Feuerklinge hatte ihr erzählt, dass der grosse Kriegshäuptling unfähig war, das Volk der Orc's richtig zu führen. Durch seine charismatische, idealistische Art, welche stets die gewaltige Kraft und Macht der alten Horde pries, schlug Neeru die noch junge, unerfahrene Orcin in seinen Bann.
Dazu kam eben noch, dass sie auch die Hexenmeisterin Asurania sehr mochte. Diese schwärmte auch stets von der einstigen Macht der orcischen Hexenmeister, die heutzutage stets ein Schattendasein fristen mussten und von keinem so richtig geschätzt wurden. Ebenso war es ja auch mit den Assassinenen und das verband die beiden Frauen. Xantina hatte damit einen gänzlich anderen Weg eingeschlagen, als ihr Vater. Alles was sie tat, widersprach sich völlig mit seiner Philosophie. Asurania untersützte und achtete sie. Sie hatte das schon immer getan und durch sie war sie auch erst mit der „Bruderschaft der Schatten“ in Berührung gekommen und hatte die Lust am Töten entdeckt. Sie glaubte fest ihrem Volk mit ihren Morden etwas Gutes zu tun, denn man gab ihr stets Aufträge, die der inneren Sicherheit dienten. Neeru Feuerklinge lobte Xantina ständig für ihre Leistungen und hatte ihr auch schon selbst gewisse Aufträge erteilt, die auch nicht selten die „Brennenden Klinge“ betrafen. Bald würde sie ein festes Mitglied dieser Bruderschaft werden und dann konnte der Kampf gegen die Feinde der Orc's- vornehmlich gegen die Allianz in aller Härte beginnen.
Xantina wusste nicht, dass sie durch das Paktieren mit den orcischen Extremisten immer mehr in einen Sumpf der Bosheit und Verderbnis geriet. Dass sie damit das tat, was sie eigentlich immer glaubte zu vermeiden: Sich der brennenden Legion verschreiben- dem Bösen, aus dem der Schattenrat einst entstanden war. Denn die „Brennende Klinge“ tat genau das, was der Schattenrat einst getan hatte: Sie infiltrierte die Gesellschaft und brachte Verderben über ihr Volk. Xantina durchschaute nicht, welcher Gefahr sie sich eigentlich aussetzte und dass sie drauf und dran war ihre Seele zu verlieren...
Ihr Vater war durch seine spirituelle, friedfertige Haltung, die auch dem Kriegshäuptling Thrall eigen war, noch die einzige Stimme, die ihr Gewissen teilweise berührte. Zwar lehnte sie sich immer dagegen auf, aber etwas wirkte in ihr. Etwas das sich gegen die Bosheit und Grausamkeit auflehnte und erkannte, dass sie auf den falschen Pfad gelangt war. Zwar drang diese Stimme noch nicht gänzlich in ihr Bewusstsein, aber immer wenn Xantina ihre nachdenklichen Momente hatte, dann war sie da. So nun auch wieder, als die junge Schurkin mit dem gewaltigen Zeppelin über das Land Tirsifal und schliesslich über das Grosse Meer flog, das sich endlos unter ihr auszubreiten schien. Auf einmal glaubte sie aus dieser blauen Tiefe unter sich Stimmen zu vernehmen. Nein, es waren nicht nur Stimmen. Es waren Schreie- die Schreie ihrer zahllosen Opfer, die hörbaren und unhörbaren. Das alles wurde zu einem gewaltigen Getöse, wie eine Sturmflut erhob es sich aus den glitzernden Fluten. Es waren die Geister der Toten! Sie fragten sie, warum sie das getan hatte, fragten sie, ob sie eigentlich gewusst habe, warum sie alle den Tod finden mussten. Sie fragten sie, ob sie sich eigentlich bewusst sei, wie es um ihre Seele bestellt war. So laut wurde das Getöse in ihrem Kopf auf einmal, das Xantina auf die Kniee sank und sich die Ohren zuhielt, nur um nichts mehr zu hören. Sie wiegte hin und her, ein schmerzhaftes Stöhnen entrang sich ihrer Brust. Sie hatte das Gefühl in einen dunklen Strudel hineingesogen zu werden, der sie gänzlich zu verschlingen drohte. Und überall diese Stimmen, sie widerhallten endlos, wollten einfach nicht weichen. Und dann hörte sie die Stimme ihres Vater über all dieses Getöse hinweg: „Die Geister der Elemente sehen alles und ihre Blicke dringen tief in deine Seele. Sie wissen wer du bist, sie wissen was in deinem Herzen ist. Sie sehen die Dunkelheit und Finsternis und sie sehen auch das Licht und das Strahlen! Sie sind immer gegenwärtig und sie können dich heilen, oder verderben, ganz nach dem wie du lebst und wer du bist! Nichts Böses kann für immer bestehen. Es wird einst aufgelöst und Das Gute wird obsiegen. Doch das Böse ist oft gut verhüllt, es kann dich täuschen und es kann im Gewand der Tugend auftreten. So gut kann es dich täuschen, dass du es gar nicht merkst. Nur wenn dein Herz selbst tugendhaft ist und du wahrlich dem Licht dienst, wirst du es entlarven können.
Solange du gefangen bist in Machtgier, Grausamkeit und Hass, wird das Böse immer weiter auf dich wirken und es wird dich einst...verwandeln und verderben.“
Verderben... dieses Wort klag in Xantina nach, wie ein endloses, nie enden wollendes Echo. Doch dann riss sie sich aus diesen Gedanken heraus. Sie erhob sich und sprach: „Nein! Lasst mich in Ruhe! Ich diene meinem Volk und ich will meinem Volk helfen, sich aus der Schwäche und Lethargie zu erheben! Ich erfülle einen wichtigen Auftrag und alle die ich getötet habe, haben es verdient!“ Jemand muss handeln und ich handle richtig!“ Immer wieder redete sie sich das ein und langsam kehrte wieder etwas Ruhe in ihrem Kopf und ihrem Herz ein. Als sie schliesslich die Ufern von Durotar vor sich auftauchen sah, schämte sie sich schon wieder ihrer Schwäche und war wieder... die alte Xantina...