ICH KENN DICH DOCH
von Martina Hoblitz
„Warum hab ich mich bloß von dir zu diesem Blödsinn überreden lassen?“ schimpfte ich mit meiner Freundin Caroline auf dem Weg zum Lokal, wo ein Speed-Dating stattfinden sollte.
Sie lachte nur. „Aus Neugier, Langeweile, Frust … was weiß denn ich? Jedenfalls schienst du ganz begeistert von meiner Idee.“
Ich zog die Stirn kraus und gab zu: „Ich war nicht begeistert, sondern ziemlich beschwipst.“
„Ist doch egal! Du suchst dir gleich einen Typ aus, mit dem du ein wenig Spaß hast. Musst ihn ja nicht gleich heiraten.“
„Das tu ich sowieso nicht mehr“, schnaubte ich verächtlich.
Da hatten wir auch schon das Lokal, welches etwas außerhalb lag, erreicht und fanden nach kurzer Suche einen Parkplatz. Wir schienen so ziemlich die Letzten zu sein, für mich eher ungewöhnlich, denn ich war meist überpünktlich. Aber ich musste mich ja Caroline anvertrauen, und die kam immer auf den letzten Drücker.
Uns wurden Plätze nebeneinander an einem langen Tisch zugewiesen, und ich musterte mein männliches Gegenüber ungeniert. Seine azurblauen Augen nahmen mich gleich gefangen. So sprudelte ich, als die Glocke erklang heraus, noch ehe er den Mund aufmachen konnte: „Ich heiße Anita, bin Witwe, kinderlos, lebe allein in meinem Elternhaus, das ich geerbt habe. Hab ein recht gutes Auskommen, kann also in aller Ruhe meinem Hobby nachgehen. Ich male und zeichne gern.“
Endlich musste ich Luft holen, sodass er auch zu Wort kam. Doch ich stutzte, als er bedächtig zu sprechen begann: „Ich heiße Rainer, war Architekt, bin jetzt in Rente und auch Witwer. Besondere Hobbys hab ich nicht, aber zwei erwachsene Kinder. Und übrigens … ich glaub, wir kennen uns.“
Genau diese Erkenntnis war mir auch gekommen, als ich seine Stimme hörte und er seinen Namen nannte. Aber so richtig fassen konnte ich es nicht. Vor mir saß tatsächlich … meine erste große Jugendliebe!
Doch wie hatte er sich verändert! Wo waren seine goldblonden Locken geblieben? Der Mann vor mir hatte eine Glatze und ein unrasiertes Doppelkinn. Nur seine blauen Augen leuchteten noch so herrlich wie damals.
Natürlich machte ich mir keine Illusionen über mein eigenes Aussehen. Auch an mir waren die Jahre nicht spurlos vorüber gezogen. Statt einer dunkelbraunen langen Haarpracht trug ich jetzt einen pflegeleichten graumelierten Kurzhaarschnitt. –
Plötzlich sprang Rainer auf, wodurch mein Blick auf seinen kleinen Bierbauch fiel, deutete zur Theke und forderte mich auf: „Komm, Anita, lass uns diese Peinlichkeit beenden und lieber was trinken!“
Ich folgte ihm gern, nachdem ich Caroline angegrinst hatte, die mich verblüfft anstarrte. –
Bei einem Cocktail fragte ich ihn: „Wer hat dich zu diesem Schwachsinn überredet?“
„Mein Sohn … er meint, ich hätte noch Chancen. Und du bist wohl auch nicht allein auf diese Idee gekommen?“
„Meine Freundin meint, ich hätte Frust.“
„Weißt du, ich hab immer bedauert, dass es bei uns nur Fummeln im Auto gab. Ich wär dir gern näher gekommen.“
„Na, das lässt sich doch nachholen.“
„Gut … zu dir oder zu mir?“
„Halt! Erst lass uns essen gehen. Aufregung verursacht mir immer gewaltigen Kohldampf.“
Worauf Rainer lachend die Drinks bezahlte, und wir Arm in Arm das Lokal verließen.
ENDE