Es dauerte nicht lange, bis sich die Lieder der Jungen schlossen, um den einkehrenden und erholsamen Schlaf willkommen zu heißen. Nächtliche immer wiederkehrende Geräusche drangen monoton durch das geöffnete Fenster und wiegten die Zwei tief in Entspannung.
Aus dem Rabengehölz erklang das ferne Geschrei eines Kauzes. Grillen zirpten ihre Lieder und das leise knacken und klacken deutete auf die Jäger der Nächte hin. Immer dann, wenn Ruhe einkehrte und die Menschen schliefen, wagten sie sich heran, um einen Zugang zu den Gelegen zu finden. Mäuse suchten nach verwertbaren, was die Hühner übrig ließen.
Leise und gedämpft drangen Wortfetzen zu ihnen hinauf ins Zimmer, welches sich zur Rechten des Wohnhauses direkt unter dem Dach und oberhalb der Veranda befand. Man musste schon die Luft anhalten und mucksmäuschenstill sein, wollte man einen zusammenhängenden Satz verstehen.
Kayden schlief tief und fest. Seine Lieder zuckten unstet und seine Lippen bewegten sich, als wollen sie etwas von seinem Traum preisgeben. Veyed hingegen wälzte unruhig von der linken auf die rechte Seite. Bei jedweder Bewegung entwich ihm ein Stöhnen. Er schien den Tag nicht so erholsam zu verarbeiten wie sein jüngerer Bruder.
***
Licht tanzte hell und bedrohlich vor seinem inneren Auge und herrische Rufe hallten in seinen Ohren. Das Atmen fiel ihm stetig schwerer und eine unsagbare Last breitete sich auf seiner Brust aus. Sein Körper wurde mit jedem Atemzug bleiern und verweigerte sich ihm.
Aus Misslichkeit erwuchs Angst, angesteckt aus hysterischem Geschrei und der wenigen Luft, die seine Lungen nur notdürftig füllten. Diese Lichter griffen nach ihm und taten ihm unsäglich weh.
Quälend und schmerzerfüllt entwich dem vom Rauch geschwängerten Halse ein peinigender Schrei. Der Schall eines Kleinkindes, welches nach sofortiger Aufmerksamkeit verlangte. Rufe, polternde Geräusche und trampelnde Schritte wurden Laut, doch das Feuer fraß sich unaufhaltsam näher und dessen Verbündete, jene betäubenden Rauchschwaden, forderten ihren Anteil. Die kläglichen Töne des Kindes glichen einem Wimmern, doch es schien den Lebensfunken fest an sich zu binden. Das Kleine war nicht bereit kampflos von dieser Welt zu gehen und trotzte der Gewalt.
Abrupt wurde das grell flackernde Licht milder und jemand klopfte hektisch auf seinen Körper, ergriff ihn unsanft und trug ihn rasch davon. Die zuvor noch weit entfernt klingenden Schreie und Rufe nahmen an Lautstärke zu, als es unvermittelt Nass und angenehm kühl wurde. Es wurde heller und er konnte den Nachthimmel deutlich erkennen, so auch die tanzenden Lichter. Flammen, die sein Zuhause verzehrten.
***
Jäh schreckte er auf und blickte sich gehetzt um. Scheiß stand ihm nicht nur auf der Stirn. Sein Hals war unangenehm trocken, doch nirgends erblickte er Flammen. Er zwang sich zu schlucken, sodass der Speichel den Schmerz beruhigen konnte.
Es war wieder derselbe Traum, der ihn seit Jahren heimsuchte und von einem erholsamen Schlaf abhielt. Ein brennendes Haus, vermutlich er als Kleinkind, welches aus der Flammenhölle gerettet wurde. Er griff sich unter das Nachthemd an die linke Schulter und kratzte.
Stets, wenn das Wetter umschlug oder ihn sein persönlicher Albtraum verfolgte, plagte ihn seine Narbe. Er selber konnte sie nicht sehen, wusste aber durch Beschreibungen, wie sie aussehen würde. Das Feuer vermochte ihn damals als Kleinkind nicht habhaft werden, hinterließ im jedoch ein mahnendes Andenken, an welches er sich stets und ständig erinnern solle.
Flammen verbrannten seine noch junge Haut an der hinteren linken Schulter. Beginnend des Schulterblattes bis hinauf zur Halsmuskulatur und dem Oberarm, würde er sein lebelang mit dem vernarbten Gewebe leben müssen. Kayden umschrieb das Mal wie den übergroßen Kopf eines Vogels, dessen Schnabel sich mit heben und senken seines Armes öffnete oder schloss. Er machte sich einen Spaß daraus, wenn er ihn beim Umkleiden beobachtete. »Und der Piepmatz spricht«, begann er stets seine ulkigen Bemerkungen.
Er vernahm knarzende Laute, ganz so als tapse etwas über die Schindeln des Daches. Leisen Fußes, bedacht seinen Bruder nicht zu wecken, begab er sich hinüber zum Fenster und sah hinaus. Warm wehte der Wind und ein Ausläufer einer Böe schmiegte sich um seinen verschwitzten Oberkörper. Spielte mit seinen Haaren und blies ihm eine Strähne vors Gesicht.
Ihm fröstelte und seine Hand glitt von der Schulter. Mit offen stehendem Mund glaubte er zu spüren, dass sich beide direkt ins Antlitz stierten. Dem Zwielicht geschuldet konnte Veyed nicht eindeutig erkennen und rieb sich die Augen. Es war kein Traum und was er erblickte, blieb wahrhaftig. Ein nahezu schneeweißes Federkleid mit vermutlich braunen oder dunkelgrauen Punkten zierten dessen Brust und es schien im fahlen Licht zu strahlen. Mit weit gespreizten Flügeln und vorgerecktem Haupt stand es da. Die obere Seite der Flügel sahen aus wie die Schuppen eines Drachen. Eines Fabelwesens, gewiss, aber gleichwohl täte er es umschreiben. Aus dunklen knopfgroßen Augen blickte ein riesiger Vogel in seine Richtung und er war sich sicher, er würde ihn ebenso beobachten wie er ihn. Ein stummer Schrei entwich seinem geöffneten Schnabel, als er vom Dach der Veranda hüpfte und sich geschmeidig in die Lüfte erhob.
Langsam zog er sich rückwärtsgehend vom Fenster zurück und schluckte erneut. Hatte er da eben tatsächlich etwas gesehen, was Onkel Alric als Greifvogel beschrieb? Einen jener, die vor vielen Jahren gejagt und als ausgestorben galten? Er kannte die Geschichte über die alberne Weissagung, dass sich die Vögel eines Tages erheben.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen weißlichen Schimmer nahe seiner Bettsatt. Er beugte sich hinunter und hielt eine weiße Feder in der Hand. Bräunlich schimmerte deren Spitze und schien in Länge schätzungsweise zwei Drittel Fuß zu bemessen. Gedankenverloren begab er sich mit seinem Fund zurück zu Bett. Albern oder nicht, er hatte ihn gesehen, den Beweis auf seiner Brust liegend.
***
Aufsteigende Winde trugen den Jäger der Nacht, den Späher der Majestäten der Lüfte, hoch hinaus. Der Mond spiegelte sich in seinen dunklen Augen, in denen die Zuversicht funkelte. Die Gewissheit, dass eine lang anhaltende Suche endlich einer Fügung wich, ließ ihn in ungeahnter Geschwindigkeit vorankommen.
Er musste zurück, zurück um Bericht zu erstatten.
Schlussendlich waren es die Majestäten die entschieden und den Bestimmten maßen. Ihr Urteil galt als Geheiß und konnte die allzeit ersehnte Erlösung bedeuten.
Die Zeit jedoch hielt keinerlei Bündnis mit ihnen, wurden vielerorts potenzielle Ziele von Ihresgleichen, selbst für ihre Moralvorstellungen, bestialisch ermordet. Der Flug zu den Horsten und zurück erstreckte sich über zwei volle Tage. Er konnte, nein er durfte sich keine Pause gönnen.