Jemand oder etwas kam ihnen auf die Schliche. Abermals brach ein vermutlich abgestorbener und trockener Ast unter der Last des sich nähernden. Erschrocken griff Kayden an seines Bruders Schulter und drückte zu.
»Au«, keuchte dieser für seine Ohren viel zu laut und klatschte auf die Finger, die ihn immer noch Schmerzen durch die Schulter jagten. So Jung und drahtig er auch sein mochte, hatte einen derart festen Griff, welcher gestandenen Männern gerecht wurde.
Veyed vernahm es als Erster, seine Augen weiteten sich und er begann aufgeregt zu schlucken. Mit der Rechten schien er nach etwas Greifbaren zu suchen. Seinem jüngeren Bruder hingegen stellten sich die Härchen an den Armen auf, ein ihm nicht fremdes Zeichen. Furcht durchströmte seinen Körper.
Der Mund stand ihm offen und sein Unterkiefer mahlte auf Luft von links nach rechts. Er hörte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen.
In rascher Abfolge atmete jemand oder etwas ein und aus. Der Weg des Suchenden führte ihn von der einen zur anderen Seite und einmal um den Baum herum. Der Widerschein der sich nähernden Fackeln wurde rastloser und die Hunde begannen aufgeregt Laut zu geben. Rufe gesellten sich zu dem Gebell. Aufs Neue erklangen jene Laute, die sie anhörten, wie hecheln und dieses kam unaufhaltsam näher.
Ein fremdes Geräusch mischte sich hinzu, eines, welches sie noch nie zu Gehör bekamen. Es klang, wie das Kreischen eines Meißels, der auf dem Amboss kratzte. Lang gezogen, schrill und ... mahnend. Erschrocken beide auf.
Durch getrübte Augen blickte er zerschlagen zu seinem kleinen Bruder und atmete schwer. Er flüsterte und ihre Blicke trafen sich, sie wussten, es war vorbei.
***
Mit weit gespreizten Schwingen glitt ein ungleiches Paar auf den Böen der hohen Lüfte und überflogen wiederkehrend das Rabengehölz.
Fachkundige Beobachter würden den größeren der beiden auf nahezu drei Ellen Spannweite einschätzen, den kleineren hingegen immerhin noch mit zweien.
Gemeinhin dürfte keines dieser Tiere überhaupt am Himmel zu sehen sein, schon gar nicht zu zweit in unmittelbarer Nähe einander. Diese galten wenn nicht ausgestorben, so doch als vertrieben. Sie zogen nicht unbestimmt des Weges oder überflogen das Gehölz. Sie suchten, sie beobachteten, sie waren auf der Jagd.
Ihre überaus feinen Sinne und ihr scharfer Blick vermochten Dinge zu erkennen, die ein Mensch nicht oder nur erschwert sehen konnte. Sie realisierten selbst die geringsten Bewegungen. Aus hohen Gestaden stoben sie annähernd zeitgleich mit eng anliegenden Flügeln hinab in die Tiefe. Ungebremst schnellten sie in die Baumkronen und durchbrachen das oberste Blattwerk, als sich ihre gesamte Spannweite zeigte und sich aus einem Sturzflug ein gezielter Angriff erwies. Der größere des ungleichen Paares öffnete den nach unten geformten Schnabel und stieß einen lang anhaltenden schrillen Schrei aus. Seine Augen leuchteten im fahlen Licht eisblau und noch etwas war in ihnen. Etwas Unsagbares, etwas was nicht sein konnte, nicht sein durfte. Sein kleinerer Begleiter, ebenso imposant anzusehen, war zu flink und wechselte um es näher beurteilen zu können zu schnell die Flugrichtung, um deren Ziel von der Seite her zu bedrängen.
Ihre Achtsamkeit richtete sich in alle Richtungen. Dieser befremdliche Schrei, ungezählte schwarze Vögel, die panisch auseinanderstoben und vor Schreck aufschreiende Bälger.
Nahe einer riesigen Linde sahen sich zwei der Soldaten des hiesigen Lords aufmerksam um, da einer der Hunde sich für diesen unsäglich zu interessieren schien. Ausgerechnet das mitgeführte Jungtier, machte sich bemerkbar und eilte mit gesengtem Kopf und peitschender Rut drum herum. Einer der beiden hob den linken Zeigefinger und wies nach oben, nachdem er den Ursprung dieses seltsamen Geräusches erfasste. »Verdammt was soll das?«, ereiferte dieser sich und zog hastig den Kopf ein.
Der Angriff erfolgte bis auf den Schrei geräuschlos und so war der Schrecken um so lebhafter. Sein Pferd warf das massige Haupt wiehernd von der einen zu der anderen Seite, stieg und machte einen Satz voran. Ihm blieb keinerlei Zeit sich sorgsam festzuhalten und sprichwörtlich aus dem Sattel katapultiert. Hart stieß er mit dem Steiß auf, der ihm einen Schwall Schmerzen durch Brust und Rücken einbrachte. Ein unangenehm klingender Jauchzer entwich seiner Lunge, noch bevor er aufgrund des Schwunges hinten überkippte und mit dem Hinterkopf auf eine hervorstehende Wurzel auftraf. Benommen blieb er mit Armen wie Beinen von sich gestreckt liegen, sein Pferd hingegen stürmte davon.
Der Zweite jedoch vermochte es, unter Auferbieten jeglicher Mühen, sein Gleichgewicht zu halten. »Brrr. Ruuhhiig - ruuhhiig.«, versuchte er es stupide unter Kontrolle zu halten. Weit gefehlt, hatte er nicht mit dem kleineren Vogel seitwärts gerechnet.
Der Falke schnellte ungesehen heran, drosselte abrupt seine Fluggeschwindigkeit und malträtierte mit weit gespreizten Krallen die Flanke des Zossen.
Dessen Reiter sah verständnislos zu und versuchte den Angreifer mit der bloßen Hand fortzuscheuchen und fing sich einen schmerzhaften Biss ein. »Verdammt, heia.« Er schnalzte, peitschte die Zügel und trat in die Fersen.