Donnerndes Getöse erscholl in seinen Ohren. Vom gellenden Befehl bis hin zum geordneten Anritt, vergingen nur wenige Augenblicke. Die vom Feldhauptmann geschliffenen Männer waren gut vorbereitet.
Wenn sie nicht beim Aufbau der Burg halfen oder ihre freie Zeiten nutzten, wachte Sebold über seinen Männern wie eine unheilvolle Geißel. Er war stur und herrisch, was die Ansichten eines ordentlichen und funktionierenden Trupps anbelangte. Auch ließ er Einmischungen und Widerspruch nur dann gelten, wenn ihm der Sinn dessen in wenigen Worten klar und verständlich dargelegt wurde. Geboren und aufgewachsen ward er auf einer der fünf Inseln. Was ihm nebst der kulturellen Statur auch die Störrigkeit und Loyalität einbrachte.
Mit seinen fast zwei Schritt Körperlänge, seinem massiven Kreuz und unverwechselbaren Muskeln kam die Beschreibung eines Hünen eine vollumfängliche Bedeutung. Sein gesamtes Wesen vereinnahmte Respekt und Ehrfurcht. Holmfirth verlor mit ihm einen robusten und gestandenen Stadt- und Landwehrhauptmann. Dieser wie weitere kampferprobte Männer hatten sich aus freien Stücken dazu entschlossen sich einer neu formierten Truppe anzuschließen, die sich die ›erste Rotte‹ nannte.
Rekrutiert aus dem Umland des befreiten Agrea wie auch Zulauf seitens der fünf Inseln, bot die Herrschau derer eine Front aus muskulösen Mannen. Einzelne mahnten bereits zu Respekt, eine Schar hingegen zu fluchtartigen Aufeinandertreffen. Nicht auszudenken, wenn diese Gruppierung Ausmaße eines Schwarmes oder gar eines Korps erreichen würde.
Bereits unter dem stehenden Befehl der einstigen ›Obristen‹ in Holmfirth bediente sich Sebold einer stattlichen Schar, auch wenn diese von seiner geistigen Umnachtung wussten.
Als Knabe viel er in eine tiefe Liturgie, aus welcher er allein keinen Weg zurückfand. Die thulenischen Begünstigten nutzen sein Wesen und seine Befähigung schamlos aus. Sie redeten ihm Dinge ein, die ein gesundes Bewusstsein keinesfalls für richtig gar Ehrhaft halten würde. Herz und Geist waren gebeutelt und krank.
Erst durch Alrics Bemühungen und Dolvis Einfluss gelang es dem Widerstand sein Naturell, seine Erinnerungen und den gelähmten Verstand aus den sumpfigen Abwegen hervorzulocken.
Es hieße, es sei ein wahrlich bleiernes stück Arbeit gewesen und ein noch viel längerer Weg mit Hindernissen und Rückschlägen.
Seine Seele, so wusste Dolvi zu erklären, sei mit jener seiner Nährmutter auf letzte große Fahrt gegangen und treibe orientierungslos im Schleier der Gespinste und Ränke. Der Mann wuchs im Ränkespiel des falschen Adels auf und hatte sich tag ein Tag aus erneut unter Beweis zu stellen. Dolvi fand ihn eines Abends mit einem Medaillon der Seewacht in der Hand vor, welche die Inseln mit einem hell leuchtenden Feuer vor Gefahren vorwarnte. Der Jarl fand heraus, wessen Abkömmling er war und bot ihm seine Hand. Ein Leuchtfeuer, welches in den klebrigen Schwaden des Irrsinns lodernd aufflammte.
Nach und nach begann Sebold seinen geistigen Rettern zu vertrauen und im Schutze der Nacht, direkt unter den Nasen jener, die die Verantwortung im Namen Thules trugen, ausgewählte Männer zu trainieren.
Zu Wachzeiten vertrauten ihm die Schwadrone der Ortsmilizen und jene der zum thulenischen Reich involvierten Reiche ihr Leben an.
Eigensinnig wurde er geboren, eigensinnig führte er sein Leben und ebenso eigensinnig wollte er sterben.
Er lehrte einem jeden, was er bereit war zu lernen und was er zu lehren wusste. Lediglich wem er sein Leben anvertraute, wusste er zu klassifizieren.
Am Tage ein thulenisch bekundeter Hauptmann, im Schutze der Nacht ein bekennender Dolvis. Erbjarl der fünf Inseln.
»Mit wie vielen bekommen wir es zu tun«, rief ein in derselben Art gekleideter Mann an der Spitze des reitenden Trosses.
Sebold wendete trotz vollen Galopps seinen Kopf und schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. Er vertraute ihm, er würde für diesen sein Leben geben.
Seltsam, war er doch um so viele Jünger als er selbst. Dennoch sein Herz gebot ihm, diesem einen gefunden zu haben, dem es zu folgen lohnte. Sie waren auf Augenhöhe, das war ihm bereits nach dem ersten Zusammentreffen deutlichst bewusst.
Allein sein Lächeln; diese wissenden Züge, welche sich um seine Mundwinkel legten, verursachten selbst bei gestandenen Männern einen nicht zu formulierenden Schauer. Dieses unanfechtbare Selbstvertrauen und Zuversicht in sich selbst und die Ausbildung seiner begleitenden Männer gab ihm und übrigen etwas Heroisches.
Allesamt jedoch waren sie nur eines - Männer, wenn auch trainiert und zu töten bereit. Das starke Geschlecht der Schöpfung würden halb wissende prusten. Eines allerdings teilten sie mit einem oder einer jeden. Sie bluteten und starben wie jene, die nicht selber wehren oder kämpfen konnten. Diese Männer wussten sich ihrer zu erwehren - mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen und dafür wiederholten sie ihre Kampferprobungen jeden Tag erneut. Sie konnten darauf vertrauen, dass der Tag des Aufeinandertreffens bevorstünde.
Verträumt schloss der hünenhafte Hauptmann die Augen und beinahe, so als würde er einer Geliebten ins Gesicht blicken, öffnete er diese wieder. »Zu wenige.«
Veyed verzog die Brauen und sein Gesichtsausdruck verriet Unverständnis. Er musste annehmen, sein Feldhauptmann wäre erneut dem Wahn anheimgefallen. »Sebold?«
Angesprochener lachte herzhaft und zuckte mit der linken Wange. »Der Späher sprach von gerade einmal vier Scharen.«
Kaydens Bruder sah sich um und ein vielsagender Ausdruck stahl sich auf seine Züge. Er schob die Unterlippe über die Obere, hatte er seinem Bruder doch versprochen, Damerels Grenzen zu sichern.
»Ein jeder von uns zählt mindestens vier der ihren«, beschwor er seinen noch jungen Anführer.
»Deine Zuversicht möchte ich haben.«
»Glaub mir einfach junger Freund. Auch wenn wir alle nur halb so gut kämpfen, wir du es tust ... würden wir mit gerade einmal der Hälfte hier siegreich sein.«
Veyed konnte nicht anders und bedankte sich mit einem Lächeln. Unbewusst nickte er.
In und um der verfallen geglaubten Burg waren kaum mehr als zwei Scharen einsatzbereit. Eine durchritt Agrea und besuchte Ausgangpunkte der Wende. Im Leumund würde es heißen, sie wären auf Anwärter aus, die sich Veyeds Mannen anzuschließen gedachten.
Eine Weitere unterstützte die Wehrhaftigkeit Usnals und leistete Dienste bei derer Wiederaufbau. Die übrigen Männer des stehenden Kontingentes waren unabkömmlich oder lagen verletzt in ihrer Bettstatt.
Hingegen der auswärts reitenden Männer trugen die hiesigen ihre erst kürzlich eingetroffene Wahluniformen mit sichtlichem Stolz. Sie würden diese bereits kurz nach Anlegen mit Ruhm und Ehre nähren.
Ein Tross aus fünfundvierzig in nahezu schwarz gerüsteter Männer ritt eiligst in westliche Richtung. Ein in gleichem Ton gefärbter Umhang wehte hinter einem jeden und ließ den in silbrig funkelnden Fäden aufgestickten Falken fliegen.
Die geschmeidigen Ledergarnituren, die Kayden für die Schattenjäger hat anfertigen lassen, ließ Veyed in Abstimmung mit seinem Feldhauptmann in abgewandelter Form nun auch für die seinen fertigen. Grundsätzlich war an diesen nichts einzuwenden, nur bestanden sie für den Hünen aus zu wenig schützendem Metall und boten keinen Halt für die Wahlwaffen seines Volkes - die einschneidige Streitaxt.
Wie eine verheißende Woge schwappten die Reiter durch die üppig gewachsenen Haine. Ritten durch Senken und überritten Hügel, bis sie jene erblickten, die nicht in ihrem Land willkommen waren.
Wut entbrannte, als sie die Botschaft des fremden Wappens erkannten. Ohne das es einer Anweisung bedurfte, griffen die Männer zu jenen Waffen, mit denen sie der Ansicht waren bestmögliche Ergebnisse zu erlangen.
Streitaxt und Schwert galten unter ihnen als erste Wahl. Gleichwohl sie ebenso mit Speer, Lanze und Bogen zurechtkämen, doch wurden diese als ehrlos betrachtet und brachten weniger Ruhm. Es waren Waffen des Abstandes und zeugten von Furcht.
Altbacken, dennoch sinnbildlich und in Tradition der Männer der See so in die Ausbildung der Männer in Schwarz vereinheitlicht. Durchweg muskulös gewachsen und vereint durch Wut, Trauer und Leid. Geboren beim einfachen Volke oder im verarmten Adel. Allesamt fochten sie für dasselbe Bestreben - Frieden und Freiheit.
Sebold sah hinüber zu Veyed, der ihm zunickte. Ein stiller Befehl.
Dieser hob den rechten Arm, reckte seine Axt voran und entblößte dadurch sein Handgelenk. Ein in die Haut gestochenes Abbild stierte hervor und beäugelte den Feind. Ein Abbild des Auges ihres Leittieres.
Die Übrigen taten es ihm gleich und folgten ihrem Anführer und Feldhauptmann in den bevorstehenden Kampf.
4.1.2 ***
Nachdem Ogriir in bezeichnete Richtung wies, glitt ihm ein eisiger Schauer beginnend des Nackens bis hinab zum Steiß. Wie als würde er frieren, schüttelte er ruckartig und kurz, den Kopf. Egal wie oft der Junge das machen würde, vermutlich würde sich niemals daran gewöhnen.
Dessen Augen, nein das Innere dessen. Die Pupillen waren es, die sich verengten. Betrachter, sofern sie es wagen würden zu glauben und sich nicht erschrocken abwandten, würden meinen, sie wären nicht menschlich. Die Augen eines Tieres, welches es gewohnt war zu beobachten und zu jagen.
Obgleich er selbst als Thulene geboren und vielerlei Völker kennenlernen durfte, empfand er die südöstlichen Gestade am seltsamsten.
Er hatte Kayden so manches zu verdanken. Sein Leben, Ehrfurcht, sogar den Glauben und die Kraft für das Richtige einzustehen, notfalls gar dafür zu kämpfen. Der ›Falke‹ war es auch, der ihm eine andere Sicht der Dinge vor Augen führte und ihm dazu brachte, seine Befehle zu überdenken. Ihm, wie viele andere auch, war er zu Dank verpflichtet, dass er den berüchtigten ›flüsternden Wald‹ unbeschadet betreten durfte.
»Mindestens drei Scharen. Ich sehe ein Banner ... einen Falken und einen Trupp, der sich ihnen aus südlicher Richtung nährt.«
»Freund oder Feind?«
Kayden schüttelte den Kopf. »Steht nicht auf dem Banner drauf.«
Memnachs Bataillonshauptmann hob fragend die Brauen und erhaschte ebenso nervöse Blicke seiner Leute. Noch so eine gewöhnungsbedürftige Eigenart Situationen zu begegnen. Nicht weit entfernt befand sich nebst der Siedlung auch die Grabungsstätte. Es war an den ›Falken‹ zu entscheiden, wie sie vorzugehen haben.
»Mindestens drei Scharen und ein weiterer unbekannter Trupp. Kayden ...« Ogriir schloss beide Hände zur Faust, sodass die Knöchel unangenehm zu knacken begannen.
»Rasch, ein Reiter nach Aardale. Wir versuchen sie aufzuhalten.«