Spärliche Feuer brannten in zwei umstehenden Feuerschalen. Nicht der Wärme wegen, sie dienten zur Orientierung und Lichtschein in dem sich zusehend verdunkelndem Haus.
Die Sonne neigte sich unlängst hinter den Bergen der begrenzenden Wälle aus unerreichbaren Bergkämmen und tauchte die Silhouette der umliegenden Natur in blutrote Farbentrachten. Bäume, Aufbauten und einfache zu Eis gefrorene Skulpturen glichen einer einfallenden Armee von unbeweglichen Schattenwesen, die kamen, um einzufordern, was sein Volk bereits vor unzähligen Generationen begann zu säen.
Das aus Hartholz gefertigte doppelflügelige Tor, welches sein Haus und so auch den Saal der Zusammenkunft zu dieser Stunde stets geschlossen hielt, stand seit vielen Tagen weit geöffnet.
Er erwartete Kunde. Verlautbarung von solcher Art, derer Verkündung ein neues Zeitalter würde einleiten können.
Sein Geist war unruhig aber bereit. Er hatte längst mit der alten Zeit abgeschlossen und sehnte sich die nahende mit offenen Armen willkommen heißen zu dürfen. Die bekannte Welt war im Wandel und so dachte er freudig an unbekümmerte Tage zurück. Jene, an welchen er zum Manne reifte und besseren Wissens tat, wozu man ihm abriet. Außer seinem abtrünnigen Vetter und der Tochter seiner Base war ihm von seinem Blut nichts mehr geblieben. Eigene Kinder vermochte er nicht zu zeugen und so würde seine Erbline mit ihm vergehen.
Er saß in seinem Hoheitsstuhl und seine Hände fanden, was sein Herz ihm vor vielen Jahren riet. Er war sich sicher, dass seine Wahl, sein Urteil, einer Bestimmung folgte. Seine Aufgabe schien noch nicht erfüllt, würde jedoch bevorstehen.
Neben ihm, zu seiner Rechten wie auch Linken, ruhten und wachten seine persönlichen Leittiere, Kroff und Shiva. Seit er die beiden im Welpenalter zu sich nahm und großzog, folgten diese zwei treuen Seelen ihn auf Schritt und Tritt.
»Sohn, du darfst diese Tiere nicht an dein Leben binden«, hatte sein Vater einst prophezeit und gedrängt die beiden auszusetzen oder besser noch zu töten. »Sie werden dir niemals treu dienen und eines Tages dein Untergang sein. Auf ihnen Reiten wirst du ebenso wenig.«
Er hatte recht behalten, für wahr. Weder Kroff noch Shiva waren bereit ihn auf ihren massigen Rücken zu tragen. Treu hingegen ... nun ... sie waren noch immer bei ihm.
Als er vor Jahren, die zwei gerade einmal handtellergroßen Geschöpfe mit sich in die Siedlung führte, wusste niemand, wie geschweige denn wo er sie fand.
Alle bis auf seinem Schutzherrn gingen davon aus, sie seien aus dem Wurf der ihren. Sie urteilten fehl.
Als junger Bursche war es in seinem Volk üblich volle zehn Tage, allein und auf sich gestellt in den Bergen zu leben und zu jagen, wollte man seinen Hunger stillen.
Denen, die sich auf den Wegen zur Reife begaben, gestatte man lediglich ein Fell und eine Waffe, freier Wahl, mitzuführen. Übrige zu stillende Bedürfnisse mussten eigenst gefunden, erlegt oder hergestellt werden.
Er wusste es und wurde einem jeden, auf dem Weg des Reifens, unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die wilden Scrawt Rudel gefährlich und somit zu meiden seien.
Bei den Göttern, sie waren Thulenen. Das Volk der Völker und erhaben in allem Erdenklichen. Die seinen trugen diese ehrbaren Geschöpfe als Leittier nicht nur auf ihren Bannern, sondern auch im Herzen. Was sollte ihm schon widerfahren? Zudem war er der Abkömmling der zweitwichtigsten Person im gesamten Reich.
Einen Tag vor Beendigung seines Weges und bereits auf dem Abstieg vorbereitet, vernahm er Klänge, die nicht hätten sein dürfen. Seine Ohren waren aufgrund von Entsagung und Einsamkeit geübt jedweden Geräuschen zu lauschen und mit bedacht zu urteilen.
Zarte und klägliche wimmernde Töne eines Kleinkindes gleich, appellierten an sein Innerstes.
Ein Kind, hier in den abgelegenen Gegenden des Landes, in welchem die nächste Ansiedlung noch Stunden entfernt lag?
Vorsichtig und mit einem Speer in der Rechten kroch Togrel näher in jene Richtung und horchte.
Vor nicht einmal einem achtel Tag, weiter in nördliche Richtung wich er einem sechsköpfigen Rudel Silberschnauzen aus. Ein Zweckbündnis wilder und ausgestoßener Scrawt, welche sich keinem anderen mehr anschließen konnten.
Diese Tiere waren zumeist Alt, zu Alt sich noch unterordnen oder nebenher leben zu können. Vermutlich liefen diese nur aus einem einzigen Grund zusammen. Einzeln waren sie nicht wehrhaft genug und so erhoffte ein jedes eine nachhaltigere Überlebenschance.
Sie mussten erst kürzlich gerissen haben, denn ihre Lefzen als auch Tatzen hinterließen eine blutige Fährte auf dem vom Eis und Schnee bedeckten Untergrund.
Wahrhaftig, was dort jämmerlich weinte und versuchte auf sich aufmerksam zu machen, kam in der Tat einem Kleinkind gleich - oder eher zweien.
Der junge Togrel wusste nun, was die Sechs zuvor haben gerissen und zurückgelassen.
Unter einem spärlich gewachsenen Bergvorsprung, geformt wie eine zu klein geratene Höhle, lagen vier bis zur Unkenntlichkeit zugerichtete Graurücken. Allesamt waren es noch Jungtiere im besten Alter. Sein Vater hätte sie als puberal oder unmündig beurteilt. Tiere, die begannen sich selbst als auch deren Platz in der Gesellschaft zu bestimmen.
Diese Vier hier schienen vorgehabt zu haben ein eigenes Rudel zu ergründen oder entfernten sich absichtlich von dem ihren, um diese zwei Welpen zu gebären. Es war nicht unüblich, das große Gemeinschaften ihre frisch geborenen fraßen. Es war ihnen schwierig genug, den Hunger der übrigen Tiere zu sättigen, als dass schwächlicher Nachwuchs eine übergeordnete Rolle spielte.
Seltsam hingegen blieb, das die Silberschnauzen diese Zwei haben am Leben gelassen. Auch wenn das Muttertier sich vor dem Überhang lieber hat erlegen lassen, an die Welpen wären sie ohne Weiteres herangekommen.
Vorsichtig und auf allen Vieren näherte er sich den Jungtieren und streckte sachte seine freie Hand aus. Zweifelsohne hatten sie Furcht und sollten vor ihm nicht auch noch zurückschrecken.
Ihre leidvollen Rufe bleierten ihm das Herz. Wie ein Scrawt es tun würde, griff er dem Ersten ins Nackenfell und hob es sich in den Schoß. Kaum, dass das Zweite daneben lag, fuhr er mit den Fingern vorsichtig über ihr noch weiches Fell.
Beide hatten Andeutungen einer Melierung auf dem Kamm, welche ihnen etwas Besonderes, Erhabenes verlieh.
»Da ich nun weiß, dass du ein Junge und du ein Mädchen bist, werde ich euch Kroff und Chiva nennen. Einverstanden?«
Seltsam, bestätigend erklangen ihre Laute nun wie ein Schnurren, sie schienen zu gähnen. Augenscheinlich fühlten sich die beiden Welpen wohl und behütet; sie beklagten sich nicht weiter.
Trotz der Umstände musste sich Togrel spurten. Noch ein gesamter Tag und eine gehörige Strecke lagen vor ihm, um die Reife zu erhalten. Er durfte nicht eher die Umfriedung seines Heimes betreten, konnte aber auch ebenso wenig Zeit schinden. Die zwei Kleinen benötigten dringend Nahrung. Fernab seines Weges, so wusste er, gab es ein Jägergehöft. Dort wollte er von dem streunenden Wildrudel berichten und um etwas Nahrung für seine Welpen bitten. Keinesfalls durfte er sich unnötig lange aufhalten, wollte er seiner Aufgabe in Abgeschiedenheit nicht entmündigen. Obgleich eine Warnung vor sechs Reißern von Wichtigkeit war und ihm nicht als Absicht dargelegt werden konnte.
Mit frohlockenden Gesichtszügen bemühte sich der Junge in aufrechte Position, um die Kunde des gefährlichen Rudels zu verbreiten.
Kaum dass er sich auf den Knien befand, hielt er inne und erstarrte. Bittere Galle sammelte sich unter seiner Zunge und seine Augen begannen unstet, von der einen zur nächsten Seite zu huschen. Furcht überkam ihn und so versuchte er, seine Muskeln in Starre zu halten. Bloß keine falsche Bewegung, es wäre schlicht die Letzte.
Aus scheinbar allen Richtungen dröhnte mahnendes Knurren auf sein Trommelfell und er glaubte, tapsende Geräusche herauszuhören. Das Rudel war zurückgekehrt, um zu holen, was sie vergaßen. Seine Ohren lauschten angestrengt.
Ein verstohlener Jäger näherte sich ihm mit bedacht. Er kam nicht unbedarft heran, vielmehr verlagerte dieser sein Gewicht schleichend und mit der Gewissheit einer bevorstehenden Gefahr von der einen auf die andere Pfote. Diese Tiere waren gewiss nicht die Silberschnauzen. Dieses Rudel hätte ohne Umschweife angegriffen.
Die Geräusche, die er glaubte zu erahnen, waren koordinierter. Aufeinander abgestimmt und sie verhielten sich eigenartig vorsichtig.
Togrel schluckte und in seinen Gedanken entstanden Bilder. Die, die sich nährten, waren ausgewachsen. Nicht zu Jung und auch nicht zu Alt. Es waren Jäger. Ihre schiere Körpermasse ließ ihre Pranken, gewaltig wie die einer Hand eines erwachsenen Mannes, in die frisch gefrorene Schicht Schnee knirschend einsinken.
Das war es also, sein Ausflug und die Reise zur Manneswürde wurden jäh beendet, weil er den Worten der Alten nichts abgewinnen konnte. Seine Neugierde sollte die Letzte gewesen sein und so schloss er in Ermangelung besseren Wissens fest die Augen.
Er spürte ihn hinter sich. Die feinen Härchen in seinem Nacken richteten sich der bevorstehenden Gefahr gebärdend auf. Er würgte den schweren Kloß herunter und atmete tief aus.
Ein warmer Hauch streifte seinen Hals, der sich sogleich als kühlender Dunst auf diesen niederlegte.
Togrel glaubte anhand der tapsenden Geräusche, mindestens vier Scrawt zu zählen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Wenn er schon sein Leben lassen musste, um zwei noch zu säugende Welpen zu retten, dann mit den Gedanken bei seiner Mutter, seiner Base und seinem Vetter. Er war Thulene. Er wollte Stärke zeigen, keine Furcht und so begann er das Wiegenlied seiner Amme erst zu summen, dann leise zu singen. Die Melodie schwang in seinem Herzen und leitete ihm den Takt.
Die Verderbnis, sie naht.
Glaube, und du wirst wandeln auf rechtem Pfad.
Die Nacht, sie ist herangebrochen.
Es möge der Nordstern leuchten über ihr.
Es möge,
wenn sich Verderbnis über ihr legt,
ihr Herz standhaft sein.
Einsam ist der Pfad, auf dem sie wandelt.
Oh so fern der Heimat weh.
Die Verderbnis, sie ist hereingebrochen.
Glaube, und sie wird wandeln auf rechtem Pfad.
Die Verderbnis, sie ist herabgesunken.
Eine Verheißung lebt von nun an fort in ihr.
Es möge der Schatten Ruf vergehen.
Möge sie die Reise fortführen,
des Tages Licht erhellen.
Ist die Nacht überwunden,
so möge sie sich erheben
und die Sonne erblicken.
Die Verderbnis, sie ist hereingebrochen.
Glaube, und sie wird wandeln auf rechtem Pfad.
Die Verderbnis, sie ist herabgesunken.
Eine Verheißung lebt von nun an fort in ihr.
Eine Verheißung lebt von nun an fort in ihr.
Es blieb ihm unerklärlich, doch sein Herz pochte nach wie vor. Sein Blut pulsierte durch ungeöffnete Adern und spendete ihm Leben.
Die gesamte Situation schien ihm mehr als befremdlich und bizarr. Keines der umstehenden Tiere kam ihm näher, als jenes, welches da vor ihm stand. Sie taten ihm weder ein Leid noch gehabten sie sich in Drohgebärden und so wagte er, die Augen bedacht zu öffnen.
Noch bevor er sah, spürte er sie. Eine feuchte Nase in den Händen, die nicht ihn selbst, sondern die Jungen beschnupperte. Die Scrawt wollten enthüllen, ob er an dieser Missetat Schuld trug, um über seine Tat zu richten.
Das Tier vor seinem Gesicht hob den massigen Kopf und schien direkt durch seine Augen hindurchzusehen. Er wähnte auch nach all Jahren, dereinst einen fremden Geist in dem seinen zu spüren.
Der augenscheinliche Anführer des Rudels schnaubte und tat was kein wildes Tier je tun würde - so mutmaßte er zumindest. Es stupste ihn an der Nase an, wandte den Kopf und heulte ein Klagenlied.
Noch ehe Togrel sich gewahr wurde, dass sie von ihm abließen, sprangen die Scrwat in jene Richtung, in welcher er die Silberschnauzen umging. Sie würden sie jagen und dabei selbst ihr Leben lassen oder das ihrer Gefährten rächen. Ihn jedoch haben sie aus ihm unerfindlichen Gründen, als einen der ihren akzeptiert. Er sollte es sein, der ihre Welpen an sich nehmen durfte.