»Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dich noch einmal zu Gesicht zu bekommen.«
Kayden erschrak. Er hatte niemanden kommen gehört, noch hatte Less ihn vorgewarnt. Vorsichtig, darauf bedacht unvorhersehbare Bewegungen zu vermeiden, drehte es sich herum.
»Mir scheint, dein Wachhund hat die ganze Nacht über kein Auge zugemacht? Er schläft tief und fest.«
Mit schmollendem Mund sah er hinab zu seinem Begleiter, der unerwartet die Läufe von sich streckte, und begann im Liegen laufende Bewegungen vorzuführen. »Scheint so«, waren die einzigen Worte, die er fähig war, von sich zu geben.
Der Blaubluter, der ihn tags zuvor unwirsch in den Dreck schubste und sich als Hauptmann der Wache herausstellte, kam näher. »Hast du den Schrecken von gestern überwunden?« Zu Kaydens erstaunen beugte er sich herab, um Less vorsichtig zu streicheln. »Ein schönes Tier. Mir war nicht bewusst, dass Bauern sich auch Jagdhunde halten.«
»Er ist mir zugelaufen«, stotterte jener, dem das Volk Agreas eines Tages folgen solle.
Besagter Hauptmann sah mit runzelnder Stirn auf. »Ist das so?«
Außer einem nicken entnahm er dem Jungen nichts. Er musste ihn eingeschüchtert haben und so beschloss er, sich zu erklären. »Willst du mir erzählen, was es gestern mit dem Soldaten auf sich hatte? Ich hatte das Gefühl, dass du ihm am liebsten angegangen wärest.«
Kayden horchte auf. Was war mit diesem Mann? Irgendetwas war anders an ihm. Ausgenommen Serfem, ist er in Memnach nur Thulenen begegnet, die einen jeden Missachteten. Mehr noch, mit Füßen traten, spuckten und wahllos hiebe verteilten. Dieses Volk war es, welches Leid und Verderben brachte.
»Nun gut. Ich weiß, dass Du und deine Freunde nicht von hier seid. Auch habe ich gesehen, dass du dich mit einem der Torwachen unterhalten hast, oder vielmehr dieser mit dir. Er war dir gefolgt und ich bin euch nachgegangen. Ebenso deine Reaktion hinsichtlich der Notzucht ist mir nicht entgangen. Sag mir, warum seid ihr nach Memnach gekommen? Du solltest dich fernhalten.«
Kayden zwinkerte mehrmals, verzog die Mundwinkel und warf das noch immer gehaltene Holzstück zu Seite. Er hob den Blick und sah zu Less, der die Streicheleinheiten sichtlich genoss. Der Mann schien ohne böse Absichten, gleichwohl sich selbige abrupt ändern mochte. Ihm lief es kalt den Rücken hinab und seine Härchen auf den Armen mahnten ihn zur Vorsicht. Diese Person stand zwischen seinem hiesigen und einem leben im Martyrium. Ohne jeglichen Zweifel bedurfte es eines einfachen Pfiffes dieser gestandenen Autorität und seine Lebenstage würden schlagartig enden. Wieso er ihm die lange Leine hielt, verstand Kayden genauso wenig wie die Zustände Memnachs.
»Wir sind hier, weil der Hof meines Vaters ...« Er stockte und biss sich auf die Zunge. Verdammt, und wieder war sein Mund schneller, wohl wissend, nichts von Belang erzählen zu dürfen.
Der thulenische Hauptmann hob die Brauen und nickte. »Bauer Klarich ... ist dein Vater?«
Wie viel wusste der Mann? War ihm die Geschichte ihres Ablebens zu Ohren gekommen? Wie auch immer ... er musste weg. Schleunigst.
»Mmh. Wenn das so ist, erklärt das, das eine oder andere. Die Leute auf den Straßen zanken sich um das bisschen, was in die Stadt kam.« Er sah dem Jungen ins Gesicht und wartete auf eine Regung. Irgendeine. »Ich kenne die Abmachung, die dein Vater bei den Obristen erwirkte, weißt du? Zwei Drittel für sie und eines für die breite Masse. Auch wenn ich die Verteilung als ungleich betrachte, ist es dennoch ein Gewinn.«
Immer noch schien Kayden nicht gewillt sich ihm zu öffnen und versteifte sich zusehend, sodass der Thulene einlenkte. »Was wir beide hier ...« Sein Blick wandere hinab zu Less, der sich von dem Blaubluter bereitwillig die Brust kraulen ließ. »... drei bereden, bleicht doch unter uns?«
Kayden schluckte und nickte sodann zustimmend.
»Du bist seit der Früh auf den Beinen. Beobachtest und ergründest das Verhalten der Stadt ohne nennenswerte Fortschritte. Du verstehst nicht was hier passiert oder aus welchem Grund sich das Volk all die Jahre diese unaussprechlichen Schändereien gefallen lassen kann. Du geißelst dich. Siehst dir an, was die gemeinen Tag ein Tag aus erdulden. Was mag in deinem Kopf los sein, sich dies alles hier freiwillig anzutun? Ich möchte dir einen gut gemeinten Rat geben.« Er wartete und hoffte das der verschüchterte Bursche endlich sein Schweigen brach. »Ihr habt die Waren des Bauern geliefert. Geht dorthin zurück, woher ihr gekommen seid.«
Er nickte indes und erhob sich. Abschließend klopfte er dem Hund die Flanke und kraulte ihm hinter den Ohren. »Pass auf ihn auf. Er scheint ein guter Junge.