Es war endlich vollbracht. Nach einer müßig anstrengende, mit hinreichend Kaffee durchzechte Nacht und stetig abschweifenden Gedanken, zu seiner Katrin und ihrem Übergriff im Duschraum, waren die Zeichnungen für den Weiler doch noch rechtzeitig fertig geworden. Sich an die Vorgaben des Auftraggebers gehalten, ohne seine persönliche Meinung hineinzubringen, überprüfte Ben letztmalig die Legende zu den Aufbauten und verpackte im Nachhinein alle Unterlagen sorgsam in eine verhärtete Papprolle. Er gähnte herzhaft und streckte seine, vom vielen Sitzen steifen Glieder. Er schaute angespannt zur Uhr und entschied, dass er eine belebend kalte Dusche und ein ordentliches Frühstück dringend nötig hatte. Im Anschluss wollte er zwei Stunden das einladende Kopfkissen genießen – bis zum Abgabeschluss blieb noch Zeit.
Nachdem er sich ausgiebig abgebraust und in frische Kleider gestiegen war, biss er zwischen Packen und kauen immer mal wieder von seinem eiligst geschmiertem Brot ab. Für die anstehende Reise in den Harz gehörte nebst privaten Klamotten, natürlich seine geliebte Ausrüstung verstaut.
Schade, dass Katrin mein Hobby nicht teilt. Eine verdammt hübsche Jägerin wäre sie, mit der ich nur zu gern eine einsame Waldlichtung teilen würde. Sei‘s drum, der gestrige Abend war auch nicht von schlechten Eltern.
Laut Bestätigungsmail des Veranstalters, die im Laufe der Nacht eintraf, durfte er sein Zelt innerhalb der Zeltstadt des königlichen Heeres aufstellen. Er war wiederholt als Schwertmann einberufen.
»Wie geil ist das denn«, hat er gejubelt und dabei fast seine Tasse Kaffee über die Pappröhre gekippt, als er vor Freude den Tisch anrempelte.
Nachdem er sicher war, alles beisammenzuhaben, trug er sein Reisegepäck die Treppe hinab und belud den Kofferraum seines Nissans. Seine Ausrüstung und Waffen drapierte er hingegen ordentlich neben seinen übrigen Reisekram. Die Papprolle, mit den Skizzen landete achtlos auf dem Beifahrersitz.
»Papa?« – nichts.
»Hey, Papa?« – abermals keine Antwort.
Hm, ist wohl wieder am Schreibtisch seines Arbeitszimmers eingeschlafen oder im Büro.
Obwohl seinem Vater jegliche arbeiten über längere Zeit hinaus im Sitzen und oder Stehen ärztlich untersagt wurden, bestanden sein Tagesablauf nahezu genau in diesen. Ausruhen kann ich mich noch mehr als genug, sobald ich mir die Radieschen von unten ansehe. Hatte er immer wieder von sich gegeben.
Also gut, auf ins Büro und dann auf die Bahn. Mit etwas Glück kann ich gegen späten Nachmittag in Herzberg sein und mein Zelt richten.
Ben warf die Beifahrertür zu und senkte die Kofferraumklappe. Er ging zurück zum Haus, rief nochmals nach seinem Vater und zog mit einem Schulterzucken die Haustür zu.
Als Ben im »Architektenbüro Ralf Lager« ankam und sich am Empfang nach dem Verbleib seines Vaters erkundigte, deutete eine ältere Dame mit dem Daumen zur Seite. »Geh ruhig durch, er wartet schon auf Dich.«
Ralf war tatsächlich im Büro und wanderte ungeduldig auf und ab. »Ah, da bist du ja, mein Junge. Hast du die Entwürfe fertig? Du bist gestern ziemlich spät heimgekommen. Hat dich Katrin noch umstimmen können?«
Die Papprolle unterm Arm geklemmt schaute Ben zu dieser und grinste. »Hey Papa, ich habe dir versprochen mich an die Vorgaben zu halten, um die Zeichnungen so realistisch wie möglich zu bewahren. Hier, schau selber.«
Die Rolle wechselte den Besitzer, als Ralf sich diese griff, den Deckel abzog und den Inhalt auf dem Schreibtisch schüttelte. Er rollte die Papiere auseinander und beschwerte die Seiten mit eigens dafür vorgesehenen Klemmleisten. »Was jedoch meine Reise anbelangt, so muss ich dich enttäuschen. Katrin hat sich ziemlich viel Mühe gegeben ...«, bei dessen Äußerung Ben über beide Ohren hinweg grinste, »... mich zu ermuntern, meine Zeit mit ihr zu verbringen, aber es hat letztendlich nichts genützt.«
Eine gefühlte Ewigkeit verging, ohne dass sich etwas ergab; keine Zustimmung keine ablehnende Haltung – nichts. Die Augen seines Vaters glitten über die Skizzen, den Legenden und den Vorgaben der Auftraggeber. Als er endlich aufsah und sein Blick Bände sprach. »Wie dem auch sei. Du bist einfach grandios, Ben. Du bist mein persönlicher Held. Mit diesen Zeichnungen ...« Ralf tippte dabei auf die vor ihm ausgerollten. »... Können wir die Ausschreibung für uns gewinnen. Kurzum, danke. Ich schicke Dir eine SMS, sobald ich das Ergebnis der heutigen Besprechung vorliegen habe und du, schau zu, dass du zu diesem komischen Spieldings kommst. Ich wünsch dir viel Spaß und mach keine Dummheiten, verstanden?« Den Blick wieder auf den Entwürfen und Skizzen gerichtet schaute er abermals auf und winkte mit der Rechten – Ben war entlassen.
Wow, ein Kompliment, okay. Aber mir viel Spaß wünschen? Mein alter Herr muss echt einen Weg bekommen haben, als er auf der Baustelle gestürzt ist. Wie dem auch sei, es geht endlich los.
Raste es ihm durch den Kopf.
Ben verabschiedete sich, besorgte sich aus der Pantry noch eine Cola und nickte zum Abschied der Empfangsdame, die ihm hinterher winkte. Er schwang sich nahezu in den Fahrersitz seines Nissans, startete den Motor und drehte das Radio lauter. Wenige Minuten vergingen, als er auf die Umgehungsstraße ›215‹ auffuhr und Kiel verließ. Unterwegs ließ er sich mit aktuellen Hits aus den Lautsprechern belullen und malte sich die tollsten Gegebenheiten aus, die er in Herzberg erleben mochte. Welche Begegnungen er sich im Zweikampf wünschte und welche eher nicht; mit welchen Kameraden er die ersten Wachen meistern und vor allem, welche Freunde aus anderen Events und neue Freundschaften ihn erwarten sollten.
Schade nur, dass Katrin mich nicht begleiten mag oder gefallen an solch Veranstaltungen hegt. Sie könnte mich in den Pausen pflegen und in den einsamen Nächten, die gekonnten Verführungen aus der Dusche wiederholen. Wo lernen die Frauen eigentlich, was uns Männern gefällt?
Ben bekam indes bei dem Gedanken an die heißen Abenteuer hochrote Ohren und fühlte einen ansteigenden Druck im Schritt, den er alsbald niederzwang.
Es ergab keinen Sinn sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, er passierte das Ortsschild von Herzberg und sollte nach einer beinahe dreieinhalbstündigen Fahrtzeit sein Ziel bald erreichen. Richtungsweiser wiesen Anreisenden des Spektakels ausgeschriebene Stellflächen. Da er zum königlichen Heer gehörte, durfte er die Parkflächen nahe der Einhornhöhle nutzen und somit nur wenig Fußweg bis zum Zeltplatz.