Der Weg, der von einer ordentlich geteerten Straße abzweigte und zum Parkplatz führte, war nichts für Autos mit lädierten Stoßdämpfern. Teilweise tief eingefurchte Spurrinnen zeugten von vielerlei Benutzung größerer Maschinen. Zu seiner Rechten und Linken erstreckten sich weite Getreideflächen und gerade voraus war der Waldrand auszumachen. Am Ziel angekommen wuselten bereits unzählige Leute, höchstwahrscheinlich Touristen, die die Höhle oder die Burg besichtigen wollten und natürlich auch jene, die dem LARP angehörten. Der Parkplatz war nichts Besonderes, lediglich eine planierte Freifläche. Ben suchte sich, in der mit Flatterband abgegrenzten Parkzone, eine freie Stellfläche. Ausgestiegen und mit gähnend ausgestreckten Gliedern, saugte er gesunde und vollkommen reine Bergluft in die Lungen, um die gelangweilte Müdigkeit während der öden Fahrt zu vergraulen.
Was für ein Trubel. Naja zumindest wird es die kommenden Tage definitiv nicht langweilig.
Mit wenigen Schritten war er ums Auto herum und schulterte sein im Kofferraum befindliches Gepäck, bestehend aus einem Reiserucksack vollgestopft mit einem Saxonzelt, Heilsalben für Schürf- und Prellwunden wie auch verschiedene Lederbeutel für Errungenschaften. Die Schwertmannrüstung, das Breitschwert wie den Bogen inklusive einem gefüllten Köcher voller Jagdpfeile klemmte er sich unter die muskulösen Arme.
Na tolle Wurst und wie kriege ich jetzt den blöden Kofferraum zu?
Unbeholfen rutschte er schwenkend seine Last umher, um so mit einer Hand an die Kofferraumklappe zu kommen – vergebens.
»Moment, ich helfe ihnen. Darf ich?«, ertönte hinter ihm ein weiblicher, süffisant herzzerschmelzender Klang.
»Oh, gern holde Maid.« Warte. Diese Stimme. Entweder ich spinne und unterliege vorzeitigen Hirngebrechens oder mein tiefergelegtes Zweithirn spielt mir einen Streich.
Ein zierlicher mit Lederstulpen umspannter Arm reckte sich von rechts an ihm vorbei, griff zur Klappe und drückte diesen anmutig aber mit Schwung hinab. ›Rumms‹ Noch bevor Ben in der Lage war, sich herumzudrehen, knallte der Kofferdeckel auch schon ins Schloss.
»Wo verstecken sie den Autoschlüssel? So überschwänglich beladen dürfte es schwerfallen, abzuschließen.« Die sprechende Person blieb absichtlich hinter ihm, egal, in welcher Richtung er gerade zu schauen versuchte, sein Rucksack versperrte ihm zu viel der Sicht. Bevor er sich zu der Frage äußern konnte, kam ihm die klingend weibliche Gestalt zuvor. »Ah, ich glaube, ich habe ihn.«
Ben glaubte seinen Sinnen nicht. Unfähig sich zu der Sprecherin hin zuwenden, spürte er eine Hand an seiner Hüfte, die vorsichtig und zugleich zaghaft in seine Hosentasche glitt, in jener er den Schlüssel, nach dem Aussteigen bugsiert hatte. »Mhh«, hauchte ihm die Stimme weit näher ins Ohr als ihm bewusst war. »Da scheint sich mehr zu verstecken, als nur ein Autoschlüssel. Ich bin neugierig, auch den übrigen Inhalt erkunden zu dürfen. Ist ihr Zelt vor schaulustigen Blicken geschützt, oder mögen sie mir diesen im einsamen Wald zeigen?«
Ben wurde bei diesem sinnlichen Getue ganz seltsam zumute. »Hey Lady. Nun mal halblang.« Er trat einen Schritt zur Seite, um sich gefahrlos zu der aufdringlichen Person hin umdrehen zu können, ohne diese mit seinem Gepäck zu erschlagen. Er hatte bereits so eine Vorahnung, wer es hatte sein müssen, aber dieser Anblick ließ ihn mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen, wie einen Trottel drein blicken. Vor ihm stand eine gewandete Jägerin und verdammt sei er, was für eine. Eine in grünlichen Ton gehaltene, eng anliegende, Ledermontur, die ihren Körper nahezu perfekt zur Geltung brachte. Ein wallender, bis zu den Waden reichender braunblauer Umhang und streng zurückgeflochtenen brünetten Haaren, die von einer über dem Parkplatz wehenden Böe zur Seite wehten. Eine einzelne Strähne in ihrem zarten Gesicht umschmeichelte dabei ihren Mund und verdeckte das zur Hälfte, durch den Wind aufgewirbeltem Staub, zugekniffenes Auge.
»Wie ... ich meine ... was ...«, zu weiterem Gestammel kam er nicht, da die Person ihm gegenüber, ihn ungefragt und vor allem unaufgefordert einen saftigen Kuss auf die Lippen drückte.
»Ja mein Lieber, ich habe dich auch vermisst«, hauchte sie verführerisch. »Martin hat mir gestern von deinen Neigungen über weibliche Jäger ausgiebig berichtet, als ich ihm gestand, wie doof ich dein Vorhaben finde. So bin ich heute Morgen in aller Herrgottsfrühe los, um mir dieses Kostüm zu besorgen. Wo ich hin musste, hattest du mir brüh warm erklärt und – tada – da bin ich.« Um ihre Aussage zu unterstreichen, rückte sie ihre Hüfte beflissen zur Seite und streckte ihre Arme schwungvoll in die Höhe, als wenn sie die ganze Welt umarmen wolle. Sie neigte sich Ben wieder entgegen und hielt fordernd ihren rechten Zeigefinger unter dessen Kinn und hob es dadurch leicht an. »Du wolltest zu Hause ja nicht – wie sagt man – die Bettstatt mit mir teilen. So musste ich mir eben etwas anderes ausdenken und bin zu dem Entschluss gekommen, dich im Auge zu behalten.« Bestätigend dessen drückte sie ihm einen weiteren Schmatzer auf.
»Katrin, du meine Güte. Ich, ich weiß nicht was ich sagen soll.«
»Ach Ben, hör auf zu stottern. Kuck anständig und freu dich gefälligst, dass ich hier bin. Ich habe die Umstände nur deinetwegen auf mich genommen. Ich liebe dich und will mit dir alt werden. Nur deswegen tue ich Dinge, die mir absolut nicht zusagen.«
Um sich schauend, ob auch niemand seinen urkomischen Blick bemerkte, besann er sich. »Ich freue mich wirklich, das du da bist Schatz. Du sagtest doch aber, dass du mir niemals auf einen dieser bekloppten Rollenspiele, so wie du es ausgedrückt hast, folgen wirst. Und nun stehst du vor mir, oder spinn ich jetzt total?«
»Stimmt. Ich bin tatsächlich vor Ort, und zwar deinetwegen.« Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger vor die Brust. »Ich habe die halbe Nacht gegoogelt und mich über diese LARPs informiert. Bei solchen kann vieles passieren und vor allem während der Zeiten nach dem eigentlichen Geplänkel. Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass ich dich hier in einem Lager voller sexbesessener Nymphomaninnen, Mutterseelen allein lasse?«
»Aye, wie ihr befehlt, holde Jungfer«, beteuerte Ben. Wenn er die Hände freihätte, hätte er glatt salutiert.
Sie lächelten beide und genossen schweigend den Moment, als Katrin diesen brach. »Hast Du einen Schlafplatz in den Gruppenzelten zugewiesen bekommen oder dich bereits bei mir einquartieren lassen?«
»Wieso, du hast doch ein Zelt dabei oder? Ich habe dem Veranstalter gegenüber beteuert, dass du als mein Verlobter mit einem Stellplatz angemeldet seist. Ich habe ihm erklärt, dass ich nicht eingetragen, aber mein Besuch eine Überraschung sei. Zum Glück führt man hier auch normale Namen und nicht nur diese Fantasiedinger, Nickdingsbums halt.«
»Ist dir gelungen und man nennt sie Nicknamen, mein Schatz. Gut gut, dann wollen wir mal gehen und schauen, dass wir das Zelt aufgebaut bekommen. Ich möchte mir noch die Burg ansehen.«
Katrin griff sich Bens kleinere Rüstungsgegenstände aus dessen Arm, sodass beide – Hand in Hand über den Parkplatz hinweg, auf die Wiesenfläche schlendern konnten. Auf dem ausgeschilderten Weg zum Lagerplatz des königlichen Heeres begegneten sie Zugehörige aus den eigenen Kampfreihen als auch aus den feindlichen. Alle Teilnehmer jedoch, befanden sich in einem Spiel und behandelten sich daher grundsätzlich mit Respekt und vielerlei Freundschaften. So grüßte man sich entsprechend und tauschte gelegentlich das eine oder andere Wörtchen miteinander, wobei Ben selbstredend nicht vergaß, seine Freundin vorzustellen. Viele der Angereisten hatten bereits ihr Zelte aufgeschlagen und liefen gerüstet umher, obwohl die Spiele erst am kommenden Tag begannen – typisch LARP.
»Hallo Rokks, du bist ja auch wieder dabei. Freut mich an deiner Seite zu stehen und die Burg verteidigen zu dürfen. Diesmal in Begleitung?«, wurde Ben von einem jüngeren Mann, in voller Montur bekleidetem Ritter begrüßt, der ihnen entgegen kam.
»Ah, Sir Bremer. Hab ich recht? Freut mich ebenso, mit dir zusammen die königlichen Reihen zu sichern. Das ist meine Zukünftige, Katrin. Sie ist das erste Mal mit auf einem Event. Hast du eine Ahnung, wo ich unseren Quartiermeister finde, um mein Zelt aufbauen zu können?«
»Schau da oben, bei der aufgepflanzten Fahne. Dort habe ich ihn vor etwa zwei Minuten noch am Tisch, die Gästelisten überprüfen sehen. Bis später Rocks ... My Lady.« Ohne weiteren Blickes marschierte der junge Mann an ihnen vorbei.
»Danke, wir sehen uns«, rief Ben seinem Kameraden hinterher. Sir Bremer war bereits zweimal mit ihm zusammen an der Seite der königlichen Heere und kannte ihn als einen tüchtigen Kämpfer, wenn auch nur sporadisch und per Nicknamen. »Nun gut, dann wollen wir mal schauen, wo wir uns für die nächsten Tage niederlassen dürfen.«
Der berufene Quartiermeister zu dem diesjährigen Auftakt, begrüßte Ben, überprüfte die Einladung und teilte ihm die Stellnummer seines Platzes mit, auf dem er sein Zelt aufstellen durfte.