Pochender, dumpfer Schmerz war das erste deutbare Gefühl, das Ben wahrnahm, dazu ein unangenehmes sausen in den Ohren. Er traute sich weder zu rühren, noch zu atmen. Bewusst langsam und flach begann er die dringend benötigte Luft in seine Lungen zu zwingen, obgleich sein gesamter Körper nach viel mehr verlangte. Wie lange er bereits so dalag, vermochte er nicht zu sagen. Allzu lange dürfte es nicht gewesen sein, sonst wäre Katrin schon bei ihm.
Boa, was für ein beschissener Tag - tut mir der Schädel weh. Was ist eigentlich passiert? Ich bin gestolpert und Kopf über in dieses dämliche Loch geflogen, dann wurde es Dunkel. Hoffentlich kann ich weiter am Event teilnehmen und bin nicht zu sehr verletzt. Hätte ich bloß auf sie gehört, verdammt.
Ben versuchte vorsichtig seinen geschundenen Körper in eine andere Stellung zu bemühen, darauf achtend sich nicht abrupt zu bewegen, um der Achterbahn in seinem Kopf keinen Anlass zu vermitteln so richtig auf Touren zu kommen. Er stöhnte peinvoll und wurde zudem dem Gefühl gewahr, das er nicht allein war – dass er beobachtet wurde. Stimmen, die für ihn nur wirres Zeugs redeten und sich seinem Verständnis entzogen.
»Krom hada es di wat? Etu vig Hal?«
Wa? Was reden die für‘n Mist?
Ben versuchte dem gesagten einen Sinn abzuringen, verhielt sich nahezu ruhig und lauschte angestrengt. Das Tosen in seinen Ohren war hierbei alles andere als hilfreich, aber mit jedem gesprochenem Satz klangen die Worte deutlicher.
»Des mcket de vu herasfin Eric, vahg Bögen kar de gesen. Ih we nicht, dass us Unachtskeit denveh, das wi danch schme könnt. Seid uf der Hut, mans«
Das gehörte ergab unter Zuhilfenahme der Fantasie stetig mehr Sinn und das pochende Rauschen schwoll spürbar ab.
Scheiße, was passiert hier?
Sie sprachen eindeutig von ihm wie auch von einem Aufblitzen und einem seltsamen Geräusch. Sie beschrieben seine Rüstung und irgendeinen Kampf, dessen Spuren man nicht ersichtlich schienen.
Verflucht, was auch für einen Kampf ihr Klappspaten. Das Spiel startet doch erst Morgen! Anstatt mir zu helfen, schnacken die nur Müll. Verdammt helft mir auf ihr Penner!
Schallte Ben wohl wissend in Gedanken und versuchte allmählich seine Haltung zu verlagern, sodass er leicht kniend und benommen vorerst eine Gleichgewichtspause einlegen musste, um sich weiter sammeln zu können. Alles drehte sich und sein Blick gewann nur langsam an Schärfe.
»Arrg tut das weh. Helft mir lieber, anstatt dumm rum zu labern«, stöhnte Ben schmerzerfüllt und mit hängendem Kopf.
»Vorsicht, er erhebt sich«, äußerte einer der Männer unnötigerweise.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und verharrte. »Geht es Dir gut Fremder? Du trägst eine böse aussehende Wunde am Auge. Woher kommst Du und vor allem … wie kamst du her«, vernahm Ben die ihm geltende Frage. Obwohl zuvor noch seltsam skurril klingend, verstand er letztlich jedes Wort und sein Ohrensausen hatte sich beruhigt.
Fremder? Wunde? Wie komme ich hier her? Wie wohl du Arschloch, natürlich mit dem Bus, der mich hier abgeladen hat, weil ich das Ticket nicht zahlen konnte. Man was sind das für Penner?
Die Gedanken behielt er jedoch für sich. »Uuh, mein Kopf. Verdammt, der fühlt sich an, als hätte ich einen Lastzug geküsst.«
Alle Anwesenden, ausgenommen Ben selbst, starrten sich unverständlich an, nur Jarik räusperte sich fragend an ihn. »Ein was geküsst? Du bist nicht nur ein Fremder, du scheinst dich auch seltsamer Ausdrücke zu bedienen. Was bitte ist ein Laßtzuk? Sei so frei und erkläre dich.«
Ben, vollkommen überfordert der Situation war sich seines Umfeldes beim Aufrichten bewusst und versuchte, das ihm bekannte Landschaftsbild mit dem hiesigen in Einklang zu bekommen, doch nichts von alledem wollte zueinanderpassen. Die Burg war nicht dort, wo sie sein sollte, Berge waren ebenfalls vorhanden, wo sie nicht hingehörten und der Himmel war leuchtend Blau und nicht dämmernd. Ein solch leuchtend strahlendes Blau hatte er noch nirgends gesehen. Die seichten Briesen, die sich an ihm schmiegten, waren ebenfalls wärmer als in seinen Erinnerungen sowie der Duft, der die Luft schwängerte. Irgendwie sauberer.
Was zum Teufel wird hier für ‘n Film gedreht?
Ben schaute sich weiter um und brabbelte verwirrt vor sich hin, bis er Jarik fixierte. »Wo, wo bin ich? Ihr seid gerüstet wie Jäger, demnach bin ich also noch in Herzberg. Was geht hier vor und was soll die blöde Frage nach dem Lastzug? Wo habt ihr mich hingetragen, soll das eine Verarschung sein? Ich find‘s alles andere als komisch.«
Daraufhin erntete er nichts als verständnislose Blicke, die ihn weiter in die Verwirrung trieben und der zuvor abgeklungene Schwindel gewann wieder an Intensität. Er schloss die Augen und versuchte langsam und ausgiebig zu atmen.
»Wir wissen weder wer du bist, woher du kommst, was dieser Laßtzuk sein soll, geschweige denn, wo sich diese Herzberg befindet. Wenn du also die Güte hättest, dich hier und jetzt zu erklären, können wir uns derweil um deine Verletzung kümmern. Sie muss gesäubert und genäht werden, ansonsten besteht Gefahr, dass sich diese entzündet. Fang am besten mit der Nennung deines Namens an«, räusperte sich Eric hörbar genervt, ging vor ihm in die Hocke und begutachtete die sich bemerkbar machende Wunde, die reichlich pochte und drückte. Ben, der immer noch nicht recht verstand, was gespielt wurde, versuchte sich die Gegebenheiten als Inhalt des LARP´s vorzustellen und reihte sich in die Geschehnisse ein. So begann er den Versammelten zu erzählen, was sich ereignete. Beginnend mit seiner Reise von Kiel nach Herzberg, der Zuordnung seines Stellplatzes für sein Zelt, die Besichtigung der Burg, dem seltsamen Ereignis im Wald und dem darauf folgenden Sturz. Was ein Lastzug ist, deutete er nur sporadisch an um das Thema aus dem Spiel zu bekommen und erklärte ihnen, dass sein Name Benjamin, oder für seine Freunde Ben laute. Derweil der Ausführungen reinigte Eric behutsam die Platzwunde und offenbarte ihm, das er reichlich Glück gehabt habe. Das austretende Blut verkrustete sich bereits, verschloss die Wunde und schütze sie so vor Infektionen. Da unterwegs seltenst ein Beruhigungsmittel mitgenommen wurde und man ihn hätte unbetäubt nähen müssen würde ihm somit eine menge Schmerz erspart geblieben. Als Demonstration drückte Eric ihm mit einem seiner Finger auf die geschwollenen Wundränder, an der ihm sofort eine explosionsartige Qual die Sicht vernebelte.
»HEY, Du verfluchtes Arschloch! Du bist doch wohl total bescheuert! Ich reiß dich in Stücke du dämlicher Penner«, schrillte Bens Fluch durchs Wäldchen, sprang leichtfüßig auf die Füße und zog sein Schwert Blank.
Während des Ziehens aus der Scheide erklang das übliche ›Tschsch‹, so als würde Stahl über Stahl gestrichen werden. Bis zum Erbrechen trainiert und mit jeder Faser seines Seins unwiderruflich verbunden vollführten seine Bewegungen vom Aufstehen, zur Kampfstellung und dem ersten Streich einen nahtlosen Übergang – einem Tanz gleich. Das Schwert beschrieb, beginnend von seiner linken Hüfte und dem Verlassen der Scheide, einen halbmondartigen Aufwärtshaken, der durch die behände Führung des Handgelenkes einen vollkommenen Kreis sirrend auf Höhe des Halses beendete. Mit einem abwärtsgeführten Rechtsschwung auf Abmessung der Hüfte, hielt Ben seine Klinge sodann in der Luft und starrte durchdringend in die Runde.
Er vermisste den Applaus, den er fortwährend bekam. In seiner Heimat nannte man ihn zurecht den ›Klingentänzer‹ oder belustigend ›der, der mit dem Schwert tanzt‹.
Ausschließlich der schnellen Reflexe Erics war es zu verdanken, dass dessen Kopf noch auf seinen Schultern ruhte, da der in Rage befindliche Ben ihn diesen sonst mit seinen fließenden Bewegungen sauber vom Rumpf getrennt hätte. Es herrschte Grabes Stille, niemand wagt auch nur einen Muskel zu zucken, geschweige denn zu atmen. Die Szene vor seinem inneren Auge zerriss. Erschrocken weiteten sich Bens Augen und blickte überrascht, die Hand drehend ungläubig auf sein Schwert – betrachtete dieses wie einen unbekannten Gegenstand. Er zitterte, hob langsam den Blick, begegnet den Erics, der in argwöhnisch angaffte und schwerfällig schluckte.
Wieso, ist das blöde Ding so schwer, es ist doch aus Schaumstoff?
Unverständlich klopfte Ben auf Klinge und Heft nur um festzustellen das sein Schwert nicht länger aus besagtem Material, sondern aus reinem gehärteten Stahl und die Parierstange nicht bemalt, stattdessen aus feinsten Silber- und Goldeinlagen bestand.
»Bist du von Sinnen? Du hättest mir fast den Kopf abgeschlagen. Wir helfen dir und als Dank bringst du uns um?«, setzte Eric besorgt an, um die angespannte Situation zu entpflichten.
»Ich, ich verstehe das nicht. Dieses Schwert ist nicht echt, es ist – war – eine Attrappe aus Kunststoff. Und jetzt? Was zum Teufel ist hier los und wo bin ich?«, versuchte Ben sich zu verteidigen, der von der augenblicklichen Lage wohl am überraschtesten schien.